Afghan_innen in Österreich – Interview mit Wagma Rahman

Wagma Rahman engagiert sich in Wien für afghanische Flüchtlinge. Ihre Eltern flohen selbst 1993 vor den Mujaheddin nach Österreich. Rahman studiert Medizin und machte nebenher ihren Bachelor in Politikwissenschaften. Im Interview mit Linkswende spricht sie über die aktuelle Situation in Afghanistan und der Menschen, die von dort nach Österreich kamen.
2. April 2022 |

Du warst selbst schon häufig in Afghanistan. Hast du Gemeinsamkeiten festgestellt mit dem Afghanistan, von dem deine Eltern erzählen? Was hat sich geändert?

Auf jeden Fall. Dadurch, dass ich Afghanistan seit meiner Kindheit immer wieder besucht habe, konnte ich die Veränderungen dort selber mitansehen. Ich habe Afghanistan das erste Mal mit sechs oder sieben Jahren besucht, und bin danach fast jährlich dort gewesen. Ein großer Fortschritt war der der Frauen. Immer mehr Frauen gingen studieren und übten Berufe des öffentlichen Lebens aus, im Journalismus-Bereich und auch generell in den Medien waren viele junge Frauen zu sehen. Die Menschen lebten sehr frei, und wollten aktiv ein Teil der Gesellschaft sein, viele Cafés und Restaurants machten neu auf, wo sich Afghanen und Afghaninnen frei hinsetzten und unterhielten. Mit den Taliban hat sich natürlich einiges verändert. Nicht nur, dass die Menschen anfangs Angst hatten, es würde dem Regime von 1996 ähneln, sie hatten generell vor Veränderungen Angst. Viele jedoch sahen mit dem Kommen der Taliban endlich das Ende des langen Krieges, was auch tatsächlich so war. Mit der neuen Regierung hat sich zwar die Demokratie verabschiedet, man kann jedoch auf keinen Fall von einer Diktatur sprechen. Es ist ein Regimewandel, die Menschen bekommen immer mehr ihre Freiheit zurück, die sie vor dem Umsturz hatten, allen voran die Frauen, die die Unis bereits wieder besuchen dürfen. Klar, es ist nicht dasselbe wie zuvor, dennoch denke ich, dass dieser Umsturz und das Kommen der Taliban die einzige Chance war, um aus dieser Spirale zu entkommen.

Hast du Kontakt zu Menschen in Afghanistan? Wie ergeht es Frauen im Moment dort?

Momentan habe ich nur zu meinen wenig verbliebenen Verwandten und meiner Familie dort Kontakt. Diese sind eigentlich zufrieden mit dem neuen Regime. Sie sind der Ansicht, die Stadt wird gut kontrolliert und der Krieg ist endlich vorbei, was Sicherheit mit sich bringt. Wie bereits erwähnt, leben die Frauen momentan unter Einschränkungen, wobei diese gelockert bzw. komplett abgeschafft werden. Frauen gehen studieren, in vielen Videos auf Youtube und in den Medien ist zu sehen, wie sie wie früher angekleidet, und wie früher auf den Straßen unterwegs sind. Der Unterschied zu früher ist, dass Männer und Frauen so weit wie möglich an den Lehreinrichtungen getrennt werden, wobei Schulen immer schon die Geschlechter getrennt unterrichteten.

Kommen im Moment viele Menschen in Österreich an?

Mein aktueller Stand ist, dass die Afghanen nicht mehr wie früher nach Österreich einwandern. 2015 gehörten Afghan_innen zu der größten Migrantengruppe, inzwischen wurde ein sehr großer Teil wieder abgeschoben, oder sie sind in Nachbarländer wie Frankreich geflüchtet. Zum Regimeumsturz 2021 sind sehr viele Menschen in alle möglichen Länder geflohen. Österreich gehört nicht dazu. Durch die strenge Flüchtlingspolitik, die Österreich betreibt, traut sich auch keiner mehr hierher – wie auch, die meisten wissen, dass es in Österreich inzwischen kaum Chancen gibt, aufgenommen zu werden. Meine engsten Verwandten mussten in andere Länder fliehen und wir selber hatten nicht die Chance ihnen zu helfen.

Dein Vater zählt zu den Gründern von Afghan Wulas Kultur&Sportverein. Kannst du von diesem Verein berichten? Was sieht er als seine Aufgaben?

Der Verein wurde schon in den frühen 90ern von Afghanen hier in Österreich gegründet. Ziel des Vereins war es, afghanische Migrant_innen und Österreicher_innen hier, die Eltern mit Migrationshintergrund haben, mehr in die afghanische Community einzubinden. Viele kulturelle Veranstaltungen fanden statt und es wurden Kurse für Pashto eingeführt. Leute wie ich kamen so mit der afghanischen Kultur in Kontakt, und in der Schule wurde ich mit der österreichischen Kultur vertraut. 2015 wurde der Verein quasi wiedergeboren, um aktiv den Neuankömmlingen unter die Arme zu greifen, denn in dieser (chaotischen) Bürokratie kann doch schon der eine oder andere verwirrt sein. Viele kulturelle Veranstaltungen und Festlichkeiten führten zu Ablenkung und Spaß. Auch sportlich ist der Verein aktiv, neben Volleyball wird auch Cricket gespielt.

Du organisierst Sprachkurse für Frauen aus Afghanistan und gibst Nachhilfe in Deutsch. Außerdem gibst du auch Sprachkurse in Pashtu für Integrationshelferinnen. Kannst du ein wenig von deiner Arbeit berichten?

Seit ungefähr zwei Jahren haben wir zum Verein auch eine Gruppe für Frauen gegründet, die dabei ist, sich nun zu einem selbstständigen Verein zu bilden. Anfänglich haben wir mit Sprachkursen begonnen, sowohl auf Pashto als auch auf Deutsch. Zusätzlich zu diesen Sprachkursen feierten wir Nawroz (Neujahr), den 8. März, die Zucker- und Opferfeste und veranstalteten Poesieabende. Die Sprachkurse blieben online, da dies für viele Mütter einfach angenehmer ist. Festlichkeiten und Poesieabende sind für das kommende Jahr schon geplant. Zusätzlich haben wir auch Infoabende durchgeführt. Beispielsweise habe ich als Medizinstudentin medizinische Vorträge gehalten. Es gab auch schon Vorträge zu Vorsorgeuntersuchungen oder zu Themen wie E-Card oder anderen Themen, die im Leben eine ganz wichtige Rolle spielen, man aber leider dazu zu wenig im Alltag mitbekommt.

Du bist in Österreich geboren. Machst du rassistische Erfahrungen?  Wie unterscheiden sich Erfahrungen von Frauen und Männern?

Leider ja. Auch als österreichische Staatsbürgerin wird man oft als Ausländerin gesehen oder auch mal rassistisch beschimpft und ist auch mal die „Scheiß Ausländerin“. Ich selber sehe zwischen mir und anderen Österreicher_innen keinen Unterschied, wenn man die Wurzeln außer Acht lässt. Es ist sehr unfair, dass ich aufgrund meiner Haar- oder Hautfarbe anders angesehen werde. Selbst das fließende Deutsch hilft nicht, denn man wird trotzdem immer gefragt „Und, woher kommen Sie?“ und wenn ich dann Österreich sage, heißt es dann „Oh, das glaube ich nicht“. Es stimmt, ich habe afghanische Wurzeln. Meine Eltern haben in ihren fast 30 Jahren hier ihr Möglichstes getan, das beste Beispiel ist das Engagement für die Flüchtlinge und Migrant_innen, was hier die österreichische Regierung nicht auf die Reihe kriegt. Dass sie oder ich von vornherein oft schon in Behörden angeschnauzt werden, aber das fließende Deutsch oder Titel diese dann umstimmt, macht die Situation nicht besser. Die unfassbarste Erfahrung war womöglich die Erfahrung, die ich in der Schule mit meiner Deutsch-Professorin gemacht habe, die mir keinen Einser in Deutsch geben wollte, weil sie der Ansicht war, dass „ausländische“ Schüler_innen diese Note nicht bekommen dürften.

Viele Menschen in Afghanistan sind von einer Hungerkatastrophe betroffen. Wie sieht deiner Meinung nach sinnvoller Hilfe aus?

Geld. Den Menschen dort wurde das Geld eingefroren. Reicht es der USA nicht endlich, Afghanistan für etwas zu bestrafen, womit es nichts zu tun hatte, und damit meine ich die Ereignisse von 9/11 und was alles danach kam. Dass ein Problem mit den Herrschenden in Afghanistan und der USA bestand, ist nicht neu, dass ein Problem mit den Taliban bestand und besteht, ist auch nicht neu, aber das Volk soll dafür nicht bestraft werden. Humanitäre Hilfe in jeder Weise, und allen voran finanzielle Hilfe ist, was die Leute dort brauchen, um zu überleben.  

Afghanistan wurde jahrzehntelang von ausländischen Kräften besetzt (Sowjetunion, USA), was hat das mit dem Land und den Menschen, die dort leben, gemacht? Wie könnte es weitergehen?

Wo siehst du hier die Rolle Österreichs?

Die Menschen wollten nach diesen Besatzungen, die sich über 40 Jahre hinzogen, nur eins: Ein freies Afghanistan. Denn mit diesen Besatzungen kam auch der Krieg. Millionen von Menschen wurden zu Flüchtlingen und verloren ihr Hab und Gut und ihr aufgebautes Leben. Weitere Millionen starben in diesem Krieg, weitere Millionen verloren Familienmitglieder. Das Land liegt in Ruinen.

Außer in der „Flüchtlingskrise“, in der Österreich eine maßgebende und zugleich auch eine sehr negative Rolle spielte, engagierte sich Österreich nicht in der Afghanistanpolitik. Das einzige, worauf die österreichische Regierung achtete, war, ein Großteil der afghanischen Flüchtlinge zurückzuschicken. Ein Großteil der Mitglieder des afghanischen Vereins Afghan Wulas wurde abgeschoben. Was also war für Österreich das Idealbild eines Migranten, wenn studieren, Deutschkenntnisse und Steuerabgaben nicht dazugehören? Afghanische Vereine erfüllen oft die Aufgaben der Regierung und versuchen die Migrant_innen so weit wie möglich zu unterstützen, damit sie durch das Leben hier in Österreich kommen, oft leider vergeblich.

In den jüngst bekannt gewordenen „Sideletters“, den geheimen Zusatzvereinbarungen zwischen den Regierungsparteien, haben Grüne und ÖVP Posten im ORF gegen ein Kopftuchverbot für Lehrer*innen getauscht. Was bedeutet das für Frauen?

Unterdrückung, Freiheitsberaubung. Aus meiner Sicht geht das gegen die Grundsätze einer jeden Demokratie. Frauen, die Kopftuch tragen, müssen sich entscheiden, ob sie für ihren Beruf und ihre Zukunft und das Kopftuch ablegen, oder aber ob sie lieber einfach zuhause bleiben, das Studium an den Nagel hängen und sich für die Religion entscheiden. In was für einer Welt leben wir denn, in der es verboten ist, das anzuziehen was man will und wo die Religionsausübung rechtswidrig wird? Dass Frauen zum Kopftuch gezwungen werden, kann natürlich in einzelnen Fällen vorkommen, aber das Argument, eine Frau mit Kopftuch sei ein schlechtes Beispiel für die Kinder, ist absolut absurd. Im Gegenteil, es zeigt doch nur, ich bin eine selbstständige, emanzipierte Frau, die für sich entscheidet, in einem katholischen Land wie Österreich, das anscheinend ganz klar ein Kopftuchproblem hat, sich trotzdem nicht zu verstellen. Als ob das Kopftuch nur im Islam getragen wird, auch im jüdischen Glauben verdecken viele Frauen ihre Haare. Doch es lebe das Verbreiten der Islamophobie.