Alfons Cervera: Die Farben der Angst

Alfons Cervera erzählt in seinem Roman Die Farben der Angst vom Alltag der ersten Jahre nach dem Spanischen Bürgerkrieg. Die Sieger unter Diktator Franco konnten Angst unter ihren Gegnern verbreiten, den Widerstand brechen konnten sie jedoch nie.
29. Oktober 2020 |

Eine französische Studentin reist nach Los Yesares, einem kleinen Dorf im bergigen Hinterland Valencias, um dort für ein Buch über die ersten Jahre nach dem Spanischen Bürgerkrieg zu recherchieren. Nach dem Krieg heißt nach dem Sieg Francos, und damit dem Beginn der Diktatur, die bis zum Tod Francos im Jahr 1975 andauern sollte.

Der Roman von Alfons Cervera ist Teil eines umfangreichen Zyklus: seit Ende der 1999er Jahre konzentriert sich das Werk des valencianischen Autors auf die Aufarbeitung des Franco-Regimes. Im Mittelpunkt stehen dabei die Verlierer des Krieges: die Roten, die Anarchisten, die Kommunisten. So auch in Die Farben der Angst. Das Buch erschien bereits 2005, jetzt endlich liegt beim Wiener Verlag Bahoe Books eine deutsche Übersetzung von Erich Hackl vor– der österreichische Schriftsteller beschäftigt sich selbst mit der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts, schwerpunktmäßig mit der Nazi-Vergangenheit Österreichs. Der Originaltitel, Aquel invierno, bedeutet wörtlich übersetzt Dieser Winter: die erzählten Erinnerungen trugen sich zum Großteil innerhalb eines Winters zu. Der Bürgerkrieg dauerte von Juli 1936 bis April 1939, daher ist anzunehmen, dass die erinnerte Zeit in Aquel invierno im Winter 1939/40 anzusiedeln ist.

Die deutsche Übersetzung des Titels – Die Farben der Angst – ist trotz ihrer Abweichung vom Original überzeugend gewählt. Was zunächst als eine Sammlung unzusammenhängender Erinnerungsfetzen erscheint, ergibt schnell die Innenansicht eines ganzen Dorfes: Personen, Familienkonstellationen und politische Positionen schälen sich heraus, die Erinnerungen reihen sich aneinander wie Häuser die Dorfstraße entlang. Dabei werden oft die gleichen Begebenheiten geschildert, immer von verschiedenen Personen aus verschiedenen Perspektiven und immer mit neuen Details. Damals Kinder und junge Erwachsene, erinnern sich nun die 80-, 90-Jährigen an die täglich erlebte körperliche und psychische Folter, die vielen Hinrichtungen, mit denen sich Francos Schergen an ihren roten Widersachern und deren Familien rächten. Mit Angst wollten sie die Menschen brechen: Gerardo Torres, einer der Dorfbewohner, wird jede Nacht aus dem Schlaf gebrüllt und daran erinnert, dass sie ihn irgendwann holen werden, jede Nacht in zwei Teile zerbrochen, „vor dem Schlaf und nach der Angst.“ Durch das Dorf hallende Schüsse stellen jede Nacht aufs Neue die Frage, wer am nächsten Morgen tot an der Gefängnismauer lehnen würde.

Kampf gegen das Vergessen

Nüchtern und doch poetisch aufgeladen erzählen die Stimmen von der Angst, die sich einmal wie der Schmerz nach dem Stich eines Skorpions lähmend im ganzen Körper ausbreitet und ein andermal umschlägt in glühenden Hass, einen Hass der die Kraft gibt, nicht vor den Folterern zusammenzubrechen. Die Angst ist es auch, die immer wieder diese Erinnerungen bedroht: die Angst vor dem wieder aufbrechenden Schmerz drängt zum Vergessen, in den verschieden erzählten Versionen zeigt sich, wie sich die mit den Jahren von dieser Angst vergiftete Zeit in die Erinnerung einmischt, manches löscht, anderes hinzufügt.
Genau das macht Die Farben der Angst zu einem brillanten Stück Erinnerungsliteratur – und das ist bitter nötig. Eine Aufarbeitung der Franco-Diktatur geschweige denn eine Verurteilung der Verbrechen hat nie stattgefunden. Durch das Erzählen individueller Geschichten trägt die Literatur zum Wachsen eines kulturellen Gedächtnisses bei, das die Erinnerungen an diese Zeit auch weitergeben kann, wenn die Zeitzeugen längst gestorben sind. Und wir brauchen diese Erinnerungen, sie sind unsere eigene Vorgeschichte.

„Ich will, ob schreibend, ob mit anderen Mitteln, ein Versäumnis wegmachen, einen Mangel loswerden, geschehenes Unrecht nicht akzeptieren, verstelltes Glück wahrnehmen, mir vorstellen, dass eine Geschichte auch anders hätte ausgehen können“, sagte Hackl während den Innsbrucker Poetik-Vorlesungen. Cervera erzählt von denen, die auch damals nicht das Unrecht hinnehmen wollten, und denen man so sehr wünscht, dass ihre Geschichte eine andere, glücklichere gewesen wäre.