Andreas Malm: Wie man eine Pipeline in die Luft jagt

Andreas Malm ist als „einer der originellsten Denker" in der Klimabewegung (Naomi Klein) bekannt geworden. Sein neuestes Buch Wie man eine Pipeline in die Luft jagt ist von der berechtigten Frustration über den in der Klimabewegung vorherrschenden Pazifismus geprägt. Aber anders als manche Rezensionen behaupten, ruft Malm nicht zum individuellen Terrorismus einer Klima-RAF auf.
25. Mai 2021 |

Richtige politische Praxis ist jene, welche politische Fortschritte erreicht, dieser simplen Erkenntnis von Malm würde niemand widersprechen. In seinen Augen hat sich innerhalb der Zivilgesellschaft jedoch eine Protestauffassung durchgesetzt, die den politischen Kampf lähmt, indem sie behauptet nur pazifistische Protest führen zu Erfolgen.

Unterschiedliche Arten des Pazifismus

Malm differenziert zwischen strategischem und moralischem Pazifismus. Für den moralischen stehen Aktivisten der frühen Klimabewegung wie Bill Mc Kibben. Dieser sieht im Pazifismus eine im „Kern spirituelle Erkenntnis, das Prinzip die andere Wange hinzuhalten, unverdientes Leiden auf sich zu nehmen“. Mit solchen theologischen Fragen will sich Malm nicht aufhalten. Spöttelnd weist er darauf hin: „Würde Mc Kibben tatsächlich unverdientes Leiden auf sich nehmen wollen, könnte er auf Dominica die Staatsbürgerschaft beantragen, eine Kochbananenfarm aufbauen und auf den nächsten Hurrikan warten.“

Moralischer Pazifismus

Für den 65-jährigen Muslim Muhammad Rafiq stellte moralischer Pazifismus keine Möglichkeit dar, als ein mit Schrotflinten bewaffneter Faschist die Al-Noor-Moschee in Baerum nahe Oslo stürmte. Rafiq stürzte sich auf den feigen Mörder, brachte ihn zu Fall, trat die Waffen beiseite und versuchte ihm mit seinen Fingern die Augen einzudrücken. Anstatt darüber zu philosophieren, ob Rafiq ein besserer Mensch gewesen wäre, wenn er sich und seine Glaubensbrüder hätte abschlachten lassen, sollten wir in ihm das sehen, was er ist: ein Held.

Strategischer Pazifismus

Viel wichtiger für eine ernsthafte Diskussion ist der von Malm identifizierte strategische Pazifismus. Malm weiß um die Vorteile des strategischen Pazifismus. Allen voran die Möglichkeit, breiteste Teile der Bevölkerung in Akte des zivilen Ungehorsams einzubinden. Malm erkennt, dass im globalen Norden Klassenkampf auf einem niedrigen Niveau stattfindet (das Buch ist vor Corona geschrieben), Militanz dementsprechend nicht mehrheitsfähig ist.

Malm plädiert nicht für Terrorismus sondern für eine Diversität der Taktiken im Kampf gegen den Klimawandel

Trotzdem diskutiert Malm in seinem Buch unterschiedlichste Strategien der Sabotage gegen die klimazerstörerische Infrastruktur. Die Beispiele gehen vom Aufschlitzen von SUV Reifen bis zur Sprengung von Öl-Pipelines. Als besonders inspirierendes Beispiel nennt er den Angriff der Huthi Rebellen auf die größte saudische Öl-Raffinerie in Abqaiq im September 2019.
Dank dieses Anschlages musste die Hälfte der saudischen Öl-Produktion, etwa sieben Prozent des weltweiten Angebotes, für mehrere Tage vom Netz genommen werden. Malm stellt Sabotage von Öl-Pipelines als Langzeitstrategie antikolonialer Bewegungen von Palästina bis Mexiko dar.

Seine Versuche, Verbindungen von antikolonialen bzw. antiimperialistischen Kämpfen mit der Klimabewegung des Westens zu finden, sind wichtig. Keinesfalls aber argumentiert Malm dafür, sich vom Versuch, möglichst breite Proteste, die revolutionären Sozialist_innen wie auch zivilgesellschaftlichen Aktivist_innen einschließen, zu verabschieden. Viel eher plädiert er für eine Diversität von Taktiken im Kampf gegen die Klimawandel.

Die Lüge des strategischen Pazifismus

Der strategische Pazifismus, welcher von Personen wie dem Gründer von Extinction Rebellion, Roger Hallam, vertreten wird, beruht auf einer Uminterpretation der historischen Realität. Die von Extinction Rebellion gern zum Vorbild missbrauchten Suffragetten – eine Frauenbewegung, die in England zentral an der Erkämpfung des Wahlrechts beteiligt war – waren vieles, aber sicherlich keine pazifistische Bewegung. Viel eher war die Zerstörung von Eigentum, genauso wie körperliche Attacken auf reaktionäre Parlamentarier, zentraler Bestandteil ihrer Praxis.

Das „wissenschaftliche“ Buch, welches den strategischen Pazifismus rechtfertigt, heißt Why Civil Resistance Works von Maria Stephan und Erica Chenoweth. Das Buch wurde berühmt für die These, nur 3,5% der Bevölkerung müssten pazifistischen Widerstand leisten, um politische Reformen durchzusetzen. Maria Stephan arbeitete für das US-Büro für Konflikt und Stabilisierungsoperationen (CSO) in Kabul. Diese Institution wurde gegründet um den Widerstand gegen die US-Besatzung zu brechen. Malm demonstriert den absurden Pazifismus-Begriff des Buches. Beispielsweise wird die ägyptische Revolution von den Autorinnen als pazifistisch beschrieben. Im Zuge der Revolution wurden im ganzen Land 40%, in Kairo 50% und in Alexandria beeindruckende 60% aller Polizeidienststellen niedergebrannt. Die Massengewalt führte nicht dazu, dass sich „normale“ Leute von den Protesten distanzierten. Immer mehr Menschen strömten auf die Plätze und kämpften mit Steinen und Molotov Cocktails in der Hand für ihre Freiheit. Soziale Bewegungen und Revolutionen sind viel komplexer als die Gegenüberstellung „friedlich funktioniert, militant nicht.“

Schwäche des Buches

Wer sich für die Auseinandersetzung mit Pazifismus rüsten will, dem sei das Buch wärmstens empfohlen. Trotzdem bleiben im Buch zwei große Leerstellen. Einerseits lässt uns das Buch im Unklaren darüber, ob Sabotage, Massenproteste, staatliche Umrüstungsprogramme usw. reichen, um die Zerstörung des Weltklimas zu beenden, oder ob wir ein anderes Wirtschaftssystem brauchen. Malm ist überzeugter Sozialist. Aus dem Buch selbst geht die Notwendigkeit eines antikapitalistischen Bruchs aber nicht hervor.

Die zweite Leerstelle ist das Ausblenden der Rolle der Arbeiter_innenklasse. Während Malm Seite um Seite die Möglichkeiten von Sabotage der fossilen Infrastruktur diskutiert, wird die Frage, wie die Arbeiter_innen die Infrastruktur abschalten könnten, kein einziges Mal gestellt. So erfolgreich der Angriff auf die saudische Raffinerie durch die Huthis auch war, binnen einiger Wochen war die Produktion wiederhergestellt.

Arbeiter_innen besäßen durch Streiks, Besetzungen und Sabotage die Möglichkeit, diese Infrastruktur nicht nur für immer lahmzulegen, sondern sie in den Dienst einer ressourcenschonenden Energieversorgung zu stellen. Im Kleinen wurde dies von den Arbeiter_innen der Schiffswert Harland and Wolff in Belfast versucht. Dem Werk drohte Konkurs, die Arbeiter_innen besetzten die Werft und forderten die Umstellung der Produktion auf erneuerbare Energien. Solchen Formen des ökologischen Klassenkampfs nehmen global betrachtet zu. Malm selbst erwähnt in zwei Sätzen die Heldentat der Belegschaft eines Bauunternehmens, sich nicht an der Abholzung des Hambacher Forstes zum Braunkohleabbau zu beteiligen. Eine Fokussierung auf diese Formen des ökologischen Klassenkampfes, verbunden mit strategischen Fragen, wie es gelingen kann, in solche Kämpfe einzugreifen, sie auszuweiten und zur Avantgarde einer ökosozialistischen Bewegung zu machen, wäre eine wichtige Ergänzung zur inneraktivistische Debatte um Pazifismus.

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