Andreas Pittler: Wiener Kreuzweg

echomedia buchverlag, 376 Seiten, 19,80 Euro
14. Juni 2017 |

Mit seinen Kriminalromanen hat der Historiker und Politikwissenschaftler Andreas Pittler schon bisher Geschichte anschaulich und spannend erzählt, wie es oft nicht einmal den teuersten und besten TV-Dokumentationen gelingt. Jetzt liegt der erste Teil seines Triptychons über den Untergang der Habsburger-Monarchie vor.

In „Wiener Kreuzweg“ treffen, verkörpert durch drei exemplarische Familien, Arbeiter, Kleinbürger und Kapitalisten aufeinander, um die Geschichte im doppelten Wortsinn voran zu treiben. Den Glicksteins gehört die Hernalser Brauerei, in der der sozialdemokratische Friedrich Bielohlawek als Fahrer und der Nazi-Sympathisant Hermann Strecha als Buchhalter arbeiten. (Wobei Strecha wohl eine nur alibihalber getarnte Anspielung auf Strache ist.) Nachgezeichnet wird der Weg Österreichs vom Beginn des ersten Weltkriegs bis zum Anschluss an Nazi-Deutschland.

Direkte Sprache

Pittlers Sprache ist dabei, der Zeit geschuldet, etwas altmodisch. Etwa wenn Baron Glickstein eine Stoffserviette „zu ihrer vollen Größe entfaltete, um sie sodann auf seinem Schoß zu platzieren“. Wenn Pittler wirklich treffen will, verlässt er dieses gemütliche Erzähltempo und formuliert ohne jeden Schnörkel.

So sagt der Arbeiter Bielohlawek aus Verzweiflung über seine drohende Einberufung zum Militär zu Beginn des ersten Weltkriegs: „Wenn meine Gebeine irgendwo vermodert sind, dann werden sich die feinen Herrschaften an den Tisch setzen und so tun, als ob nix gwesen wär.“ Oder aber, dass Fleisch bald nach Kriegsbeginn „zum Mythos wurde, wie der fliegende Holländer oder das Donauweibchen“. Und den Baron lässt er über das Ende der Monarchie sinnieren: „Übrig geblieben sind nur Wien, eine Handvoll Dörfer und jede Menge Berg.“

Klassenkampf

Pittler legt seinem Romanpersonal die großen politischen Auseinandersetzungen in den Mund, die damals zwischen den Klassen geführt wurden. Er schafft es dabei, seine Figuren nicht eindimensional wirken zu lassen, aber dennoch von ihrer Herkunft getrieben. So ist Glickstein zwar durchaus ein großzügiger Chef, der etwa einem invaliden Arbeiter eine Rente aussetzt, obwohl er nicht müsste.

Andreas Pittler: Das Totenschiff

Andreas Pittler: Das Totenschiff

Trotzdem bleibt er Kapitalist, der den beliebten Bielohlawek als Betriebsrat für sich einspannt, damit die Produktion reibungslos abläuft. Indes wendet sich der Kleinbürger Strecha aus Enttäuschung über die schwächelnde Sozialdemokratie den Nazis zu und spekuliert darauf, sich die Brauerei Glicksteins im Zuge einer „Arisierung“ unter den Nagel zu reißen. Pittler liefert hier leicht verständlich die marxistische Analyse der Ereignisse gleich mit. Lesenswert!

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.