Antisemitismus bei den Nazis und heute

Wenn derselbe Antisemitismus, den schon die Nazis und ihre Vorläufer gepflegt haben, wieder ziemlich ungeniert in aller Öffentlichkeit verbreitet werden kann, dann ist ein Dammbruch passiert.
12. Februar 2019 |

Der Antisemitismus der Nazis war ein düsteres Sammelsurium von Eigenschaften, die „den Juden“ zugeschrieben wurden:

Die Juden seien demnach reich und mächtig und setzten ihr Geld dazu ein, die deutsche Nation zu unterminieren und die Weltherrschaft an sich zu reißen. Der vermeintliche Reichtum der Juden sei ein unehrlicher, basierend auf dem jüdischen, raffenden Finanzkapital, das durch Spekulation und allerlei Machenschaften die Früchte des fleißigen, produktiven Kapitals an sich reißt.

Aber auch die größten Widersacher des Kapitalismus, die Kommunisten, waren für die Nazis jüdische Banditen. Die russische revolutionäre Bewegung, die 1918 die Beendigung des Ersten Weltkriegs erzwungen hat, war für sie das Werk einer jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung.

„Die Juden“ seien in geheimen Netzwerken organisiert, die die Banken, die internationalen Finanzinstitutionen und einzelne Politiker oder ganze Regierungen kontrollieren würden. Sie hätten kein Vaterland und egal, wo sie lebten, sei ihre Staatsbürgerschaft nur Tarnung, ihre Loyalität gälte der jüdischen Bewegung zur Erlangung der Weltherrschaft.

Außerdem sei Demokratie ein jüdisches Affentheater, und nur dazu gedacht, die deutsche Nation zu schwächen.

Die moderne Version

Heute wird Antisemitismus von verschiedensten Nationalisten instrumentalisiert. Gemeinsam ist ihnen eine gewisse Abscheu vor der liberalen Demokratie und anstelle der deutschen Nation setzen sie Begriffe wie „christlich-jüdisches Abendland“. Aber ansonsten erwecken sie exakt dieselben Assoziationen. Niemand hat den modernen Antisemitismus treffender zusammengefasst als Viktor Orbán in einer Rede gegen George Soros vor Massenpublikum im Frühjahr 2018:

„Wir kämpfen gegen einen Feind, der anders ist als wir. Nicht offen, sondern versteckt! Nicht geradeaus, sondern listig! Nicht ehrlich, sondern niederträchtig! Nicht national, sondern international! Er glaubt nicht an Arbeit, sondern spekuliert mit Geld! Er hat keine Heimat, sondern er glaubt, dass ihm die ganze Welt gehöre!“

Das ist haargenau der Stereotyp, den die Antisemiten von damals strapaziert haben, und der sie bis zur Durchführung des Holocausts radikalisiert hat.

Orbán hat sich in seinem Wahlkampf, aber auch abseits davon, ganz auf George Soros eingeschossen. Auf Anraten seines Beraters Arthur Finkelstein stilisiert Orbán den jüdischen Milliardär Soros zum übermächtigen Feind Ungarns, zu einem Gegner, der so mächtig ist, dass sich die ganze Nation hinter Orbán sammeln müsste, um ihn zu besiegen. Arthur Finkelstein wird kurz vor seinem Tod sagen: „Ich wollte die Welt ändern. Das habe ich getan. Ich habe sie schlechter gemacht.“

Als Marxist_innen nennen wir diese Erzählung vom „jüdischen Großkapital“, das sich gegen die Nation verschworen hat, den Antikapitalismus der Kleinbürger. Und weil sich keine andere Form von Rassismus so gut dafür eignet, den Kleinbürgerlichen ihre Angst vor dem Abstieg zum Lumpenproletariat zu erklären, werden Faschisten und Rechtspopulisten wohl nie ganz darauf verzichten.

Antisemitismus

Orbán wurde für Rechte auf der ganzen Welt zum Vorbild, auch sein unverrückbarer Fokus auf den Milliardär George Soros. Trump vermutet Soros hinter der Flüchtlings-Karawane aus Honduras, die ihn politisch so in Bedrängnis brachte. Die AfD-Politiker Stephan Brandner und Jörg Meuthen, Nigel Farage von der rechtsextremen UKIP in Großbritannien und Matteo Salvini schießen sich auf George Soros ein, um ihre Gegner zu diffamieren. Und natürlich tun sich FPÖ-Politiker dabei besonders hervor.

Im April 2018 wagte FPÖ-Klubchef Johann Gudenus in einem Interview mit der Presse einen wohlkalkulierten Vorstoß in Richtung antisemitischer Verschwörungstheorie: Er behauptete, der jüdische Milliardär George Soros habe „mit viel Kapitalmacht versucht, alle möglichen Umwälzungstendenzen in Osteuropa zu finanzieren. Und es gibt stichhaltige Gerüchte, dass Soros daran beteiligt ist, wenn es darum geht, gezielt Migrantenströme nach Europa zu unterstützen.“

Der Autor Michael Köhlmeier fand bei seiner Gedenkrede für die Opfer der Nazis 80 Jahre nach dem Anschluss deutliche Worte: „Der Begriff ,stichhaltige Gerüchte‘ wird seinen Platz finden im Wörterbuch der Niedertracht und Verleumdung.“ FPÖ-Politiker haben zwar über diese Verurteilung geschäumt, sie haben Gudenus aber gestärkt und sogar nachgelegt.

Der Delegationsleiter der FPÖ im EU-Parlament, Harald Vilimsky, hat Dokumente veröffentlicht  und in einer Zusammenfassung so dargestellt, als fänden sich SPÖ-, Grüne- und Neos-Abgeordnete auf der Gehaltsliste von Soros. Auf Straches Facebook-Seite ist nach wie vor ein Posting zu sehen, wo er diese irreführende Aussage verstärkt.

Österreichische Tradition

2006 titelte oe24 „FPÖ trug Nazi-Symbol im Knopfloch“. Die FPÖ-Abgeordneten erschienen zur Angelobung des neu konstituierten Nationalrats mit der blauen Kornblume, einem geschichtsträchtigen Symbol, am Revers. Und das nicht zum letzten Mal. Erst 2016 musste Norbert Hofer die Notbremse ziehen und seither verzichtet die FPÖ auf die öffentlich zur Schau getragene deutschnational-antisemitische Gesinnung. Die blaue Kornblume war in Österreich seit den 1890er-Jahren das Symbol der radikalen Antisemiten in Österreich.

Das deutschnationale Lager spaltete sich damals in ein explizit nicht antisemitisches und ein radikal antisemitisches Lager auf. Hitler war übrigens in seinen Wiener Jahren wie sein Vater Anhänger des nicht antisemitischen Lagers. Der radikal antisemitische Flügel des österreichischen Alldeutschtums wurde von Georg von Schönerer angeführt. Er etablierte die Kornblume als Symbol dieser Bewegung. Schönerer rief zur „Ausrottung parasitärer Rassen“ auf, „wie man Giftschlangen und gefährliche Raubtiere eben ausrotten muss.“

Antisemitische Ausschreitungen in Wien kurz nach dem Anschluss 1938

1900 verlangten die Alldeutschen im Wiener Parlament, eine Prämie für jeden „niedergemachten Juden“ auszusetzen. Deutschnationale antisemitische Burschenschaften terrorisierten in der Zwischenkriegszeit jüdische Studierende und prügelten in einer regelrechten Pogromstimmung die jüdischen Studierenden von der Universität.

In den Jahren des Austrofaschismus, als die Nazis illegalisiert wurden, diente den österreichischen Nazis die Kornblume als Ersatz für das Hakenkreuz. Während des Naziregimes benannten SS-Einheiten sich nach der Kornblume. Die Kornblume im Knopfloch der freiheitlichen Abgeordneten war nichts weniger als eine ungeheure Provokation. Dass die Abgeordneten der anderen Parteien nicht entsprechend reagiert haben, ist typisch für die in Österreichs Institutionen übliche Verharmlosung der FPÖ und ihres Antisemitismus.

Das heißt aber nicht, dass der Antisemitismus massentauglich geworden ist. Die FPÖ hat wohl aus falschem Selbstbewusstsein heraus das Bekenntnis öffentlich zur Schau getragen. Als Norbert Hofer allerdings während des Präsidentschaftswahlkampfs ins Visier der antifaschistischen Bewegung geriet und er sich in Interviews ständig wegen der Kornblume rechtfertigen musste, ließ er die Kornblume wieder verschwinden.

Antisemitismus nach dem Krieg

Vor etwas mehr als einem Jahr musste der FPÖ-Abgeordnete Johannes Hübner auf seine Wiederkandidatur für den Nationalrat verzichten, weil ein antisemitischer Scherz, den er unter Gleichgesinnten angebracht hatte, für einen Skandal gesorgt hat, den die FPÖ-Spitze als potentiell schädlich für ihren Wahlerfolg einschätzte.

Hübner hatte 2016 bei der vom deutschen Verfassungsdienst als „größte rechtsextreme Kulturvereinigung“ Deutschlands eingestuften „Gesellschaft für freie Publizistik“ über Migration nach Österreich referiert. Er machte in der Rede einen Seitenhieb auf die österreichische Verfassung von 1920 und ihren maßgeblichen Autoren Hans Kelsen. Bei der Gelegenheit brachte er sein Publikum mit dem Kalauer, „eigentlich hieß er Kohn“, zum Brüllen. Denn antisemitische Kreise genießen solche Kunstgriffe. Hübner dürfte diesen antisemitischen „Scherz“ von Taras Borodajkewycz übernommen haben, den berüchtigten ehemaligen Nazi-Historiker und späteren Professor an der Universität für Welthandel.

Kelsen wurde von Nazis wie Borodajkewycz zum Feind auserkoren, weil er für eine demokratische Verfassung verantwortlich gemacht wird, die den alten und neuen Nazis natürlich immer verhasst war. Dass Kelsen nicht jüdisch war, spielt dabei keine Rolle, es geht um die Verwendung einer Methode der Diffamierung, die unter Nazis Gang und Gäbe ist. Hübner redete auch von „sogenannten Holocaust-Überlebenden“, als ob diese Schwindler wären. Auch von „Umvolkung“ war die Rede. Auf alle Fälle musste Hübner, immerhin Mitglied einer wichtigen FPÖ-Familiendynastie, 2017 das Feld räumen.

Ablenkungsmanöver

Deutschnationale Burschenschafter, wie Strache und seine Kameraden, lenken von ihrer Gesinnung ab, indem sie der muslimischen Bevölkerung und insbesondere den Zuwanderern, die 2015 zu uns gekommen sind, pauschal unterstellen, sie hätten einen „Neuen Antisemitismus“ importiert, der sich hinter einer Israelkritik versteckt hält. Unterstützung finden sie für diese Darstellung bei Kanzler Kurz. Man darf ihnen dabei nicht auf den Leim gehen. Es gibt natürlich genügend antisemitische Israelkritik. Ein besonders grausliches Beispiel ist der Text des Liederbuchs der Burschenschaft Germania des FPÖ-Politikers Udo Landbauer: „Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gurion: ,Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million‘.“

David Ben Gurion ist mit Abstand der wichtigste Politiker aus der Generation der Staatsgründer Israels, bzw. der eigentliche Staatsgründer, und gewiss eine umstrittene Figur. Aber ihm nachzusagen, er hätte die Nazis beim Holocaust unterstützt, oder den Holocaust insgeheim begrüßt, ist eine komplette Abscheulichkeit. Aus der Biographie des kritischen israelischen Historikers Tom Segev geht hervor, wie betroffen Ben Gurion über Nachrichten aus Polen im Jahr 1943 war und wie er sich selbst für die Hilflosigkeit geißelte.

Es stimmt, dass solche Verschwörungstheorien auch im arabischen Raum auf fruchtbaren Boden fallen. Der libanesisch-französische Marxist Gilbert Achcar hält sich in seinem Werk The Arabs and the Holocaust nicht mit Kritik an arabischem Antisemitismus zurück. Er betont aber auch den Wesensunterschied zwischen einem arabischen Antisemitismus und dem der europäischen Antisemiten. Beide Formen können nicht miteinander gleich gesetzt werden. Die feindselige Haltung vieler Araber den Israelis oder auch „den Juden“ gegenüber ist keine Ursache für den Konflikt zwischen Israel und der arabischen Welt, sondern eine seiner Folgen.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig festzuhalten, dass zahlreiche arabische Aktivist_innen sich gegen diesen diffusen Antisemitismus zur Wehr setzen, weil sie zu Recht sehen, dass er die eigene Sache schwächt; sei es der Kampf um das Rückkehrrecht der Palästinenser_innen, oder die Überwindung der Besatzungspolitik mittels einer Einstaatenlösung.

Strache und Israel

Nichts kann die Verlogenheit der Israelunterstützer aus der FPÖ besser entblößen als Straches Besuch in Israel im Dezember 2010. Strache betrat die Holocaustgedenkstätte Yad Vashem mit einer Burschenschafter-Biertonne auf dem Kopf anstatt der üblichen Kippa. Ein FPÖ-Chef mit einem Symbol des deutschnationalen Antisemitismus in einer Holocaustgedenkstätte – der Standard hat damals berichtet, dass die Bilder bei den Burschenschaftern belustigtes Schenkelklopfen ausgelöst haben.

Strache verhöhnt die Opfer des Holocausts indem er in der Gedenkstädte Yad Vashem das sogenannte Biertönnchen der Burschenschaft Vandalia trägt

Straches Besuch in Israel sollte verschiedene Zwecke erfüllen. Erstens will sich die FPÖ als entschlossene Abwehrkraft gegen den „muslimischen Terrorismus“ positionieren. Zweitens will sie sich vom Ruf als antisemitische Nachfolgepartei der NSDAP reinwaschen, und sie will dem eigenen antimuslimischen Rassismus eine gewisse Respektabilität verleihen. Man muss verstehen, welche Rolle der gesellschaftlich viel breiter akzeptierte antimuslimische Rassismus als Türöffner für andere Formen von Rassismus spielt.

Im Gegensatz zum antimuslimischen Rassismus gibt es für Antisemitismus allerdings kaum noch Toleranz. Deshalb gilt es, schonungslos aufzuzeigen, wie tief Antisemitismus in den Burschenschaften verankert ist, und so dazu beizutragen, dass sie wieder als faschistische Organisationen begriffen werden, deren Mitglieder nichts in den demokratischen Institutionen der Republik verloren haben.