Bolivien: Wie es zum Putsch gegen Morales kam

Der erste indigene Präsident Boliviens, Evo Morales, wurde am 10. November 2019 von der Armeeführung gestürzt, mit dem Rückhalt der USA und von Donald Trump. Westliche Medien streiten ab, dass es sich um einen Putsch gehandelt hat.
16. Dezember 2019 |

E s hat ein Putsch stattgefunden. Meine Sünde ist es Indigener zu sein, Linker und Antiimperialist!“, erklärte Morales, bevor er ins Exil nach Mexiko floh. Hierzulande beherrschte eine dumme Diskussion die Öffentlichkeit, an der sich auch Linke beteiligt haben, ob es denn wirklich ein Putsch gewesen sei. Morales wird beschuldigt, die letzten Wahlen manipuliert zu haben. Als die Proteste seiner Gegner immer mächtiger wurden, machte er einen Rückzieher und bot seinem Gegner Carlos Mesa Neuwahlen an. Mesa lehnte ab, die Polizei zog sich von ihren Posten vor dem Präsidentenpalast zurück und der Armeechef legte ihm nahe, zurückzutreten. Auch wenn es kein Blutbad gab, so etwas nennt man gemeinhin einen Putsch.

Held der Protestbewegungen

Die besondere Tragik liegt darin, dass die Kämpfe, die seiner Wahl im Dezember 2005 vorangingen, den Höhepunkt einer weltweiten Protestwelle am Beginn des 21. Jahrhunderts darstellten und die rosarote Welle krönten, die über Lateinamerika rollte. Morales und seine Partei, die MAS (Bewegung für den Sozialismus) führten den Widerstand gegen die Privatisierung der Wasserversorgung an, gegen das Verschleudern der Gasreserven an internationale Investoren, und generell gegen die korrupten, weißen und rassistischen Eliten des Landes. Das Zentrum der Proteste war El Alto, eine zur Millionenstadt angewachsene provisorische Siedlung, über der Hauptstadt La Paz, in der fast ausschließlich Indigene leben.

Oktober 2003 zwangen die Bewohner von El Alto den Präsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada zum Rücktritt, 2005 seinen Nachfolger, eben jenen Carlos Mesa, der heute wieder von den neoliberalen Eliten zum Präsidenten gemacht werden soll. Die Kämpfe von 2005 wurden mit äußerster Härte und Entschlossenheit geführt, mit Generalstreiks, Massenprotesten, Blockaden und bewaffneten Aufständen. Die ganze Welt, zumindest die in die antikapitalistischen Protestbewegungen involvierte Welt, schaute 2005 wie gebannt nach Bolivien.

Große Fortschritte

Während seiner Präsidentschaft hat Morales Großes geleistet, die Armut und die Kindersterblichkeit wurden halbiert, die Alphabetisierung vorangetrieben, die Elektrifizierung der Haushalte um das Dreifache erhöht, die Rechte der indigenen Bevölkerung verbessert und vieles mehr. Aber die Regierungszeit der MAS war auch von Widersprüchen und Enttäuschungen geprägt, was schlussendlich dazu geführt hat, dass der erwartete Putsch nicht durch energische Massenproteste konfrontiert und verhindert wurde.

Große Entäuschungen

2010 rief der nationale Gewerkschaftsbund COB zum Generalstreik wegen der zu geringen Lohnsteigerungen auf. Bergarbeiter, das Rückgrat der MAS, beteiligten sich am Streik. 2011 kam es wegen Preissteigerungen von 15 Prozent wieder zum Generalstreik.

2011 ließ die Regierung trotz massiven Widerstands eine Autobahn durch indigenes Territorium bauen, eine Verkehrsverbindung, die internationalen Konzernen die Förderung von Erdöl, Gas und anderen Bodenschätzen erleichtern sollte.

2013 streikten Lehrpersonal, Spitalsangestellte und Bergarbeiter 15 Tage lang für höhere Pensionen, und blockierten Straßen im ganzen Land.

2016 streikten Textilarbeiter_innen mit Unterstützung der COB gegen die Schließung der staatlichen Textilfabrik ENATEX. Morales rechtfertigte die Entlassung von mehr als tausend Arbeiter_innen damit, dass diese nicht rentabel gewesen sei.

2018 streikte das medizinische Personal 47 Tage lang, Lehrer_innen, Lastwagenfahrer und Studierende gingen gegen Verschärfungen des Strafrechts auf die Straßen.

Konterrevolution

Auch in den Wochen vor dem Coup gab es zahlreiche Proteste, zum Teil kam es sogar zu blutigen Kämpfen zwischen Anhängern der MAS und der Polizei. Über diese Widersprüche kam die Regierung von Morales ins Straucheln und die neoliberale Rechte nutzte den Moment, an dem die Regierung die sozialen Kräfte, welche sie an die Macht gebracht hatte, nicht mehr mobilisieren konnte und sie schlug zu.

Die selbst ernannte Übergangspräsidentin Jeanine Áñez Chávez machte in einem berüchtigten Tweet klar, dass sie die Errungenschaften der letzten 13 Jahre wieder zunichte machen wolle: „Ich träume von einem Bolivien, das frei ist von den satanischen Ritualen der Indigenen.“ Das ist eins zu eins die Sprache der spanischen Eroberer, mit der sie für die Zerstörung der indigenen Gesellschaften mobilisierten. Hoffentlich finden die Massenbewegungen wieder zu ihrer alten Stärke zurück, bevor die Putschisten blutige Rache an ihnen nehmen kann.