Corona in Afrika: „Wir fürchten nicht den Virus, wir fürchten Hunger“

Das Coronavirus bringt in den südlichen Ländern Afrikas eine massive Verschärfung sozialer Ungleichheiten. Die zahlreichen ohnehin schon am Existenzminimum Lebenden können sich Social Distancing schlicht nicht leisten – sie müssen arbeiten. Korrupte Regierungen nutzen die Situation zu ihrem Vorteil.
6. Juli 2020 |

Südafrika hat eine offizielle Arbeitslosenrate von 29,1 Prozent und Botswana hatte schon vor der Coronakrise eine Jugendarbeitslosenrate von 28,8 Prozent. Informelle Arbeit – Putzhilfen, Straßenverkäufer, Müllverwerter, Straßenfriseure – dominiert weite Teile der alltäglichen wirtschaftlichen Aktivität. Sie alle verloren über Nacht im Zuge der Lockdowns jegliche Einkommensquelle. Zusätzlich wurde von ihnen verlangt, „zu Hause“ in den Blechhütten der Slums zu bleiben, mehrmals am Tag die Hände zu waschen und Social Distancing einzuhalten – in einer Umgebung, in der es nur unregelmäßig Wasser gibt und manchmal zehn Leute in einem Zimmer leben.

Selbstorganisation

Trotzdem versuchten viele ihr Bestes. Wasserleitungen wurden improvisiert, Desinfektionsmittel verteilt, Jugendliche in den Slums fabrizierten Gesichtsschilder. Aber je länger der Lockdown dauerte, desto mehr wurde offensichtlich, wie wenig das kapitalistische Wirtschaftssystem in der Lage war, selbst die grundlegendsten Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen: Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung. Hunger wurde viel realer als das Virus selbst. Nach einer Studie von The Conversation würde eine Besteuerung des reichsten 1 Prozent in Südafrika 143 Milliarden Rand bringen – fast ein Drittel des vorgeschlagenen 500 Milliarden Rand-Entlastungspakets.

Sogar in solch einer Krise will Kapitalismus daraus Kapital schlagen. Die Menschen wurden gezwungen, in endlosen Schlangen stundenlang um Essenspakete anzustehen. Warum? Vordergründig wurde öffentlichkeitswirksam „Hilfe“ vermarktet. In der Realität wurde eine ganze Wertschöpfungskette organisiert, entlang derer große Supermarktketten und diverse Mittelsmänner durch Regierungsaufträge gut verdient haben.
Der gegenwärtige Präsident Botswanas ist substantieller Teilhaber der Supermarktkette Choppies. Trotzdem haben in manchen Bezirken noch nicht einmal 20 Prozent der Bedürftigen ihre Essensration erhalten. Korruption blieb unsichtbar während eines mehrwöchigem Ausnahmezustandes, in dem Streik- und Versammlungsrecht außer Kraft gesetzt wurde.

Profit um jeden Preis

„Wir müssen zurück in die Normalität“, werden Bosse nicht müde, zu betonen. Was dies bedeutet, sehen wir gerade in Südafrika. Obwohl Corona-Fälle steigen, wurden die Minen als erstes wieder geöffnet. Die Arbeitsbedingungen unter Tage bringt Arbeiter eng zusammen, Transport erfolgt in überfüllten Schacht-Transportkäfigen und die Rate an Atemwegserkrankungen ist hoch. Rational gesehen, wäre dies der letzte Sektor, den man öffnen würde. Aber: Der Bergbau in Südafrika trägt 8,1% zum BIP bei, rund 450.000 Menschen sind dort beschäftigt. Gerade letztes Jahr haben einige Bergbau-Multis massive Profite eingefahren – dank höherer Grundstoffpreise. Wie zu erwarten, mussten einige Bergbau-Unternehmen schließen aufgrund von fast 800 Infektionsfällen. Normalität heißt für die Bosse Profite um jeden Preis.

„Normalität haben wir nie erlebt”, sagen Arbeiter auf der anderen Seite. „Wie kann es normal sein, dass wir selbst in Zeiten, in denen keine Krise herrscht, für zwölf Stunden Arbeit im Supermarkt 1.500 Pula (umgerechnet 100 Euro) pro Monat verdienen?”, schilderte uns eine Arbeiterin der Spar-Supermarktkette in Gaborone. Sie und ihre Kolleg_innen haben sogar während des Lockdowns in Botswana gestreikt, als die Supermarktbosse nur die Hälfte des Gehaltes für volle Arbeit zahlen wollten. Die Regierung, Botswanas größter Arbeitgeber, steht dem um nichts nach. Vor einigen Wochen hat sie eine bereits vor dem Lockdown mit den Gewerkschaften vereinbarte Gehaltserhöhung auf unbestimmte Zeit verschoben. Zahlreiche Entlassungen sind erfolgt. Jetzt wurden die Überstundenzahlungen für essentielle Dienstleistungen eingefroren.

Vergrößerungsglas Corona

Wie ein Vergrößerungsglas hat die Coronakrise die gesellschaftlichen Ungleichheiten unter Kapitalismus deutlich gemacht. Der Anstieg von häuslicher Gewalt während des Lockdowns offenbarte Abgründe. Bildungszugang wird definiert über Teilhabe an digitalen Lösungen.
Im südlichen Afrika haben trotz steigender Coronafälle Schulen wieder geöffnet. Schüler_innen haben Angst zurückzugehen, aber da sie in ländlichen Gegenden kein Netzwerk oder Geld für Internetnutzung haben, können sie nicht auf Online-Unterricht zurückgreifen. Schwarze und indigene Menschen haben ein erhöhtes Risiko an COVID-19 zu sterben. Corona ist nicht die Ursache der gesellschaftlichen Ungleichheiten. Sie zieht nur die Klassengrenzen sehr viel schärfer und sichtbarer. Wir müssen die Netzwerke nutzen, die sich während der Coronakrise gebildet haben und sie gegen die kapitalistischen Profiteure richten.