Corona-Pandemie: Sofort die griechischen Flüchtlingslager evakuieren!

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen fordert die sofortige Evakuierung der Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln. Am Montag bestätigten die griechischen Behörden den ersten Corona-Fall einer einheimischen Bewohnerin auf Lesbos. Sie liegt in einem Krankenhaus in Mytilini in Quarantäne, nur sechs Kilometer vom Horrorlager Moria entfernt.
13. März 2020 |

Die Regierung verbietet zur Eindämmung der Corona-Pandemie Veranstaltungen im Freien mit über 500 Menschen, in Gebäuden mit über 100 Menschen. Gleichzeitig leben aber alleine im griechischen Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos derzeit bis zu 25.000 Menschen auf engstem Raum, davon laut Caritas 8.000 Kinder. Es herrschen katastrophale hygienische Bedingungen. Schlamm, Nässe, nur zum Teil gibt es Strom, die wenigen Toiletten sind verdreckt, überall liegt Abfall. Kranken Kindern wird die medizinische Versorgung verweigert.

Schon jetzt akute Gefährdung

Die Flucht- und Migrationsexpertin von Ärzte ohne Grenzen, Marie von Manteuffel, beschreibt die Zustände in Moria: „Seit Monaten schon grassiert die Krätze. Kinder kommen mit Rattenbissen zu uns. Darüber hinaus behandeln wir sehr viele Atemwegserkrankungen, Durchfall, Hauterkrankungen, allesamt aufgrund der erbärmlichen Lebensbedingungen.“ Der Generalsekretär der Caritas Wien, Klaus Schwertner, berichtet: „E ist wirklich erschreckend, unter welchen Bedingungen hier Tausende Kinder und Familien leben müssen. Im Dreck, unter Planen, alles ist voller Müll.“

Insgesamt sind 42.000 Flüchtlinge in den fünf großen Lagern auf den Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos gefangen. Die ohnehin bereits akute Gesundheitsgefährdung wird durch das Coronavirus dramatisch verschärft. Die Flüchtlinge in den Massenlagern sind Hochrisikogruppen und müssen als solche sofort evakuiert und aufgeteilt werden. Es darf keine Zweiklassenbehandlung von Menschen geben.

Handeln, bevor es zu spät ist

Die Corona-Schutzmaßnahmen sind in den Lagern nicht ansatzweise durchführbar. „ In einigen Bereichen des Lagers Moria auf Lesbos gibt es nur eine Wasserzapfstelle für 1.300 Bewohner, und Seife ist nicht erhältlich“, sagt die medizinische Koordinatorin von Ärzte ohne Grenzen in Griechenland, Hilde Vochten. „Fünf- oder sechsköpfige Familien müssen auf lediglich drei Quadratmetern Fläche schlafen. Für sie ist es schlicht unmöglich, die empfohlenen Maßnahmen zu befolgen und sich regelmäßig die Hände zu waschen und Distanz zu anderen zu halten. “

Ärzte ohne Grenzen üben schwere Kritik an der Europäischen Union: „Asylsuchende als Teil der europäischen Abschreckungspolitik unter solchen Bedingungen leben zu lassen, war schon bislang verantwortungslos, nun grenzt es an eine kriminelle Handlung, wenn nichts unternommen wird, um die Menschen zu schützen.“ Sie fordern: „Die griechische Regierung und die EU-Mitgliedstaaten sollten so schnell wie möglich handeln und die Asylsuchenden in geeignete Unterkünfte bringen, bevor es zu spät ist.“

Erster Corona-Fall auf Lesbos

Michal Aivaliotis, Direktor der Volkshochschule in Mytilini, warnt in der deutschen Wochenzeitung Die Welt: „Wir auf Lesbos haben jetzt zwei Probleme: Corona – und die Menschen in Moria. Wenn sich das Virus ausbreitet, haben wir hier eine Katastrophe.“ Am Montag wurde die erste Frau, eine Einheimische aus dem Dorf Plomari im Süden auf Lesbos, positiv auf Corona getestet und im Krankenhaus in Mytilini in Quarantäne aufgenommen. Im nur sechs Kilometer entfernten Lager Moria werden Menschen bislang nicht auf Corona-Infektionen getestet.

Der Gründer der Ambulanz ohne Grenzen, Gerhard Trabert, ruft im Interview mit dem ZDF zur sofortigen Evakuierung der Menschen und Aufnahme am Festland auf: „Ich war schon in vielen Flüchtlingslagern, in Bangladesh, in Haiti, Sri Lanka. Das aber sowas wie hier in Europa möglich ist, ist unglaublich.“ Jean Ziegler berichtet von Selbstmordversuchen von Kindern. Im Interview mit der schweizerischen Wochenzeitung sagt er: „Ich war acht Jahre lang UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, war in den schlimmsten Slums der Welt, aber ich habe nie so ein Elend gesehen wie in Moria.“

Flüchtlinge jetzt aufnehmen

Die Regierung muss jetzt sofort handeln. Die Asylkoordination erinnert, dass sich Österreich bereits in der Vergangenheit an Evakuierungsmissionen beteiligt hat (etwa von 5.000 kosovarischen Flüchtlingen aus Makedonien) und dass derzeit 22 vom Innenministerium gemietete Quartiere leerstehen. Die Menschen auf den Inseln müssten sofort auf das Festland evakuiert werden: „Österreich muss gemeinsam mit anderen EU-Ländern Griechenland bei der Bewältigung der Krise auf den Inseln in der Ägäis unterstützen.“

Oberösterreich alleine könnte in den leerstehenden Unterkünften 900 Flüchtlinge aufnehmen, sagte der grüne Integrationslandesrat Stefan Kaineder. Zwanzig oberösterreichische SPÖ-Bürgermeister würden weitere Menschen beherbergen. Die Asylkoordination könnte sofort 200 unbegleitete Minderjährige aufnehmen, so Sprecher Lukas Gahleitner-Gertz. Die Diakonie könnte unmittelbar 230 Menschen in Grundversorgungsquartieren unterbringen. Innsbrucks Bürgermeister Georg Willi (Grüne) würde 200 Menschen Unterkunft geben. Viele mehr haben sich bereit erklärt, Menschen zu helfen.

Wir haben Platz und die Verpflichtung, die Menschen aufzunehmen.

Offener Brief an Bundeskanzler Kurz, Innenminister Nehammer und Außenminister Schallenberg zur Unterzeichnung. Initiator_innen: Jörg Flecker, Ruth Wodak, Ruth Simsa, Alexander Behr und Emmerich Tálos.