Coronavirus entblößt Kapitalismus als krank
Es ist noch zu früh für ein Urteil über die epidemische Bedrohung durch Covid-19, wie das neu ausgebrochene Corona-Virus jetzt genannt wird. Bisher sind ihm schon bedeutend mehr Menschen zum Opfer gefallen als der SARS-Pandemie von 2002/2003, die ebenfalls durch ein Coronavirus verursacht wurde.
Was man mit Sicherheit sagen kann: Covid-19 hat wie Röntgenstrahlen die sich ändernde Struktur der Weltwirtschaft sichtbar gemacht. SARS ist ebenso in China entstanden, aber die chinesische Wirtschaft ist heute viermal so groß wie noch 2002/2003.
Covid-19 hat die zweitgrößte Wirtschaft der Welt gelähmt. Die chinesische Regierung hat angeordnet, dass die Menschen nach einem verlängerten Neujahrsurlaub wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren sollen. Aber am Mittwoch, 12. Februar, waren die Fahrgastzahlen um 85 Prozent niedriger als am Vergleichstag des Vorjahres.
Einfluss auf Welthandel
Der Vorsitzende der Handelskammer der Europäischen Union in China schätzt, dass das Wirtschaftswachstum im ersten Quartal des Jahres 2020 auf zwei Prozent fallen wird. Das ist ein Drittel des Wirtschaftswachstums desselben Quartals vom Jahr 2019.
China ist die weltgrößte Exportwirtschaft und der größte Importeur von Rohstoffen. Deshalb wird eine Abschwächung der Wirtschaft großen Einfluss auf Angebot und Nachfrage von Gütern und Dienstleistungen auf der ganzen Welt haben. Chinesische Händler reduzieren ihre Bestellungen für so verschiedene Güter wie Kupfer oder Erdgas.
China begann dafür, lebende Hühner aus den USA zu importieren, um den Mangel an heimisch produzierten Hühnern wettzumachen, weil diese wegen der Transportbeschränkungen nicht ernährt werden können. Aber auf der Angebotsseite werden die Auswirkungen am stärksten sein.
Auslagerung
Chinas Aufstieg zum größten Produzenten der Welt geschah als Teil einer weltweiten Neugestaltung der Produktion. Konzerne aus dem globalen Norden entwickelten globale Produktionsnetzwerke und lagerten die arbeitsintensiven Montageprozesse aus – speziell nach Ost- und Südostasien. Das klassische Beispiel ist die taiwanesische Firma Foxconn, die über eine Million Arbeiter_innen beschäftigt, die in China Produkte von Apple fertigen.
Die chinesische Regierung versucht ihre Wirtschaft technologisch aufzuwerten. Sie will, dass hochwertige Tätigkeiten, wie Forschung und Entwicklung – die von den transnationalen Konzernen des Nordens in den Heimatregionen gehalten werden – in China stattfinden. China produziert heute 30 Prozent der globalen Exporte von elektrischen und elektronischen Bauteilen. Die größten asiatischen Wirtschaftsmächte sind, wie die USA, stark abhängig von chinesischen Exporten von Maschinen und Transporttechnologie.
Laut der Zeitschrift Financial Times hat sich die Provinz Wuhan, wo Covid-19 entstanden ist, zu einer Drehscheibe für Chinas boomende Exporte von Autoteilen und -zubehör entwickelt. Dieser Sektor hat sich im letzten Jahrzehnt verdreifacht, während der Export von Maschinen und Motoren um das Vierfache gestiegen ist.
Die Fertigungsindustrie befand sich weltweit bereits in einer Flaute. Aber die Autoindustrie ist auch wegen ihrer Abhängigkeit von weltumspannenden Lieferketten verwundbar. Wie ein Financial Times-Kolumnist feststellte, waren die großen Autokonzerne schon längst in Schwierigkeiten. „Dieselgate“, die ungewisse Zukunft für Verbrennungsmotoren und der Aufstieg der Elektroautos, die Handelsbeschränkungen wegen Brexit … und die Handelskriege, die vom Weißen Haus aus geführt werden. All das hat zur industriellen Rezession in Europa und Amerika beigetragen.
Probleme der Globalisierung
Covid-19 kann tatsächlich eine neue Front in den Handelskriegen zwischen den USA und China eröffnen. Die medizinischen Zulieferketten in den USA sind auf die Versorgung durch chinesische Lieferanten mit fertigen Medikamenten und deren Komponenten angewiesen, und auf medizinisches Zubehör, wie die Atemschutzmasken, nach denen die Nachfrage gerade so groß ist.
„Das ist ein Weckruf für ein Thema, das schon jahrelang hätte angegangen werden sollen, und das für die US-Wirtschaft und die nationale Sicherheit von entscheidender Bedeutung ist“, sagte Peter Navarro, Trumps Minister für Handelsfragen, Mitte Februar.
Covid-19 legt also nicht nur die Auswirkungen der Globalisierung offen – unsere Verwundbarkeit für planetare Ausbreitung von Krankheiten und unsere Abhängigkeit von globalen Lieferketten. Es kann auch weitere Bemühungen zur sogenannten „Deglobalisierung“ anfachen – das Zurückholen der industriellen Herstellung in die Heimatregionen der hoch-entwickelten Volkswirtschaften. Schlussendlich wirft es ein Licht auf den ungesunden Zustand des Kapitalismus der Gegenwart.
Alex Callinicos ist führendes Mitglied der Socialist Workers Party (SWP, Schwesterorganisation von Linkswende jetzt) und Professor für Europäische Studien am King’s College London. Der Artikel ist zuerst in Socialist Worker erschienen. Übersetzung aus dem Englischen von Manfred Ecker.