Das Scheitern der KPDÖ in der österreichischen Revolution

Eine revolutionäre Situation ergibt sich nach den Erfahrungen des russischen Revolutionärs Lenin, „wenn die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen". Beide Bedingungen trafen auf Österreich in den Jahren 1918-1919 zu; trotzdem kam es nicht zu einer sozialistischen Revolution wie in Russland 1917. Es gelang der Sozialdemokratie (SDAP) den Kapitalismus zu retten, weil die Kommunisten (KPDÖ) daran scheiterten, die Arbeiter_innenklasse für einen revolutionären Umsturz zu organisieren.
8. August 2018 |

Die sozialdemokratischen Parteien unterstützten in ganz Europa den Ersten Weltkrieg. Alle Sozialist_innen, die den Idealen eines internationalen Sozialismus treu blieben, gerieten in Widerspruch mit der Parteilinie. Ein erster Versuch der Organisierung dieser Revolutionär_innen war die „Zimmerwalder Linke“ um Lenin.

Er forderte, den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg umzuwandeln. Der österreichische Sozialdemokrat Franz Koritschoner war in der „Zimmerwalder Linken“ aktiv. Er organisierte gemeinsam mit dem gemäßigten Sozialdemokraten Friedrich Adler den Bildungsverein „Karl Marx“. Dieser Verein war das Zentrum der radikalen Linken in den ersten Kriegsjahren.

Erstes Lebenszeichen

Am 12. Jänner 1918 veröffentlichte Franz Koritschoner gemeinsam mit dem Anarchosyndikalisten Leo Rothziegel das Flugblatt Arbeitendes Volk, welches zum Streik gegen den Krieg aufrief. Am 14. Jänner kam es mit dem Jännerstreik zur größten Streikwelle der österreichischen Geschichte.

Jännerstreik 1918: Verraten und verkauft

Jännerstreik 1918: Verraten und verkauft

Der Streik wurde nicht von den Linksradikalen ausgelöst, sondern war eine spontane Bewegung. Trotzdem hatte die linksradikale Agitation eine Auswirkung auf die Arbeiter_innenklasse. Eine kleine Gruppe kann mit den richtigen Forderungen zum richtigen Zeitpunkt Masseneinfluss gewinnen. Es gelang der SDAP eine Radikalisierung des Streiks zu verhindern.

Spätestens jetzt wäre der Aufbau einer von der Sozialdemokratie unabhängigen Arbeiter_innenpartei notwendig gewesen. Nach dem Jännerstreik wurden reihenweise Linksradikale verhaftet und an die Front beordert. Darum und aufgrund interner Differenzen gelang die Gründung einer kommunistischen Partei erst Monate später am 3. November 1918. Die entscheidenden Personen hinter der Gründung waren Elfriede Friedländer (Ruth Fischer) und etwas später Franz Koritschoner.

Als Vorsitzenden der KPDÖ (Kommunistische Partei Deutsch-Österreichs) wollte Friedländer ursprünglich Friedrich Adler. Dieser war seit seinem Attentat auf den Ministerpräsidenten Stürgkh die Führungsfigur des linken Flügels der SDAP. Doch der lehnte ab. Der Sozialdemokrat Julius Deutsch vermutete in seiner Schrift Österreichische Revolution: wäre Adler zur KPDÖ übergetreten, wäre der linke Flügel ihm gefolgt und der Massenrückhalt der SDAP wäre zerbrochen.

Revolutionäre Situation

Am 12. November 1918 wurde Österreich zur Republik. Die Gründung der KPDÖ fand in einer revolutionären Situation, in welcher der Kampf um die Macht auf der Tagesordnung stand, statt. Die KPDÖ war vor das Problem gestellt, dass sie sowohl die Partei organisieren musste – das bedeutete sich über ein Programm verständigen, Mitglieder gewinnen, die Herausgabe einer Zeitung organisieren – und gleichzeitig noch den Kampf um die Macht führen.

Im April 1919 wurde auch in München eine Räterepublik gegründet. Bewaffnete Soldatenräte bewachen den Hauptbahnhof © Bayerisches Hauptstaatsarchiv

 

Es grenzt an Unmöglichkeit, diese Fülle von Aufgaben zu bewältigen, ohne in eine Richtung abzugleiten. Als die Revolution in Russland losging, verfügte Lenin mit den Bolschewiki über eine Partei, die sich seit einem Jahrzehnt auf den revolutionären Kampf vorbereitet hatte – ein entscheidender Vorteil.

Die KPDÖ war während ihrer Gründung keine einheitliche Partei; es gab Einigkeit über das Ziel Revolution und Sozialismus, der Weg dahin aber war umstritten. Die Parteiführung entschied sich für eine putschistische Taktik. Direkt während der Gründung der Republik unternahm die KPDÖ den ersten Aufstandsversuch.

Alle Macht den Räten

Paul Friedländer, führendes Mitglied der KPDÖ, erklärte am ersten Parteitag am 9. Februar 1919, dass die KPDÖ „nicht eine Partei auf Jahre hinaus sei, sondern das Proletariat mit raschen Worten zu raschen Handlungen herausrufen“ wollte. Das Proletariat jedoch stand zu diesem Zeitpunkt nicht hinter der KPDÖ, sondern hinter der SDAP.

Die österreichische Rätebewegung: Zwischen Reformismus und Revolution

Die österreichische Rätebewegung: Zwischen Reformismus und Revolution

Außerdem wurde am Parteitag ein Boykott der parlamentarischen Wahlen im Februar 1919 beschlossen. Es ist absolut richtig, die Räte als Organ der Arbeiter_innenklasse über das bürgerliche Parlament zu stellen; ob sich daraus allerdings folgern lässt, demokratischen Wahlen grundsätzlich zu boykottieren, ist fraglich.

Lenin kritisierte die KPDÖ für ihren Wahlboykott: „Solange wir noch nicht die Kraft haben, dieses bürgerliche Parlament auseinanderzujagen, müssen wir von innen wie von außen dagegen arbeiten.“ Der Boykott nahm der KPDÖ eine Möglichkeit, sich in Diskussionen als revolutionäre Alternative zur SDAP darzustellen. Bei den Rätewahlen im April schnitt die KPDÖ nur mittelmäßig ab, sie erhielt insgesamt 5% der Stimmen.

Ungarn

Am 21. April 1919 wurde unter der Führung von Bela Kun die ungarische Räterepublik ausgerufen. Das ungarische Beispiel inspirierte die österreichische Arbeiter_innenklasse, eine Hungersnot radikalisierte die Situation. Die SDAP versuchte die aufgeheizte Stimmung mittels Sozialgesetzgebung zu beruhigen. Diese war nicht Ausdruck einer Linksentwicklung der SDAP, sondern „diente einzig und allein dem Kampf gegen den Bolschewismus“, so die Historikerin Eszter Brader.

Die Beruhigung der Massen gelang nur stellenweise; am 30. April drohten die Arbeiter_innenräte dem Parlament mit einer „ernsten Warnung“. Falls die Gesetze zur Sozialisierung nicht durchgesetzt würden, könnte sich die Arbeiter_innenklasse zum selbständigen Handeln entschließen.

Jetzt oder nie

Die ungarische KP schickte den Aufstandsspezialisten Ernst Bettelheim nach Wien. Dieser setzte selbständig das Zentralkomitee um Elfriede Friedländer ab. Der Flügel um Bettelheim wollte den Aufstand, die Partei stand aber nicht geschlossen hinter diesem Programm. Darum wurden die Pläne für den Aufstand bei den folgenden Massendemonstrationen am 17. April, 17. Mai und 15. Juni 1919 nicht umgesetzt.

Rote Garden der ungarischen Räterepublik © unbekannt

 

Am 15. Juni versprach Bettelheim Kriegsheimkehrern 5.000 Kronen im Falle eines gelungenen Putsches, trotzdem kamen gerade einmal 10.000 Menschen zu der Demonstration – dabei hatte die KPDÖ alleine in Wien über 20.000 Mitglieder. Obwohl es trotz viel Gerede nie einen echten Aufstandsversuch der KPDÖ gab, wurde sie den Ruf als Putschpartei, welche sich nicht um die Meinung der einfachen Arbeiter_innen schert, lange Zeit nicht mehr los.

Am 2. österreichischen Rätekongress am 3. Juli 1919 versprach die KPDÖ, keine weiteren Aufstandsversuche ohne Zustimmung der Räte zu unternehmen. Sie wollte sich völlig richtig auf die Agitation für eine Räterepublik beschränken. Am 20. Juli zeigte sich, dass diese Strategie erfolgreich sein könnte.

Gegen den Willen der SDAP, auf Initiative der KPDÖ, entschieden sich die Arbeiter_innenräte zu einem Solidaritätsstreik mit Ungarn. Der Generalstreik wurde lückenlos durchgeführt. Leider nahm die revolutionäre Stimmung nach der Niederschlagung der ungarischen Räterepublik am 1. August wieder ab.

Wäre es möglich gewesen?

Die Frage, ob ein Putsch hätte gelingen können, ist schwer zu beantworten. Wahrscheinlich hätte eine geschlossene und durchorganisierte Kommunistische Partei, die alles auf eine Karte setzt, die Macht übernehmen können. Angesichts der Schrecken, die der Kapitalismus damals wie heute tagtäglich produziert (20 Millionen Tote im Ersten Weltkrieg, 815 Millionen Hungernde 2017), ist der Gedanke, die Revolution einfach herbeizuschießen, verständlich.

Während der Gründung der Republik schnitten Kommunist_innen den weißen Teil aus der österreichischen Fahne und banden die roten Streifen zusammen © Stadtfilm Wien

 

Doch wer Revolutionen als rein militärtechnische Angelegenheit betrachtet, vergisst alle Grundsätze des Marxismus. Lenin betont in seiner brillanten Schrift Marxismus und Aufstand wieder und wieder, dass der Aufstand eine Kunst ist, deren Erfolg davon abhängt, dass er keine Verschwörung einer Minderheit ist.

Das entscheidende politische Argument ist: Marxismus ist die Lehre der bewussten „Selbstbefreiung der Arbeiter_innenklasse“; eine kleine Minderheit kann sich also nicht anmaßen, im selbsternannten Auftrag der Arbeiter_innenklasse zu handeln. Die Oktoberrevolution wurde innerhalb der Räte diskutiert und fand erst statt, als die Bolschewiki eine Mehrheit davon überzeugt hatten!

Zwei Lehren

Eine erste Lehre aus dem Versagen der KPDÖ – eine Partei erst in einer revolutionären Situation aufzubauen, ist viel zu spät. Zweitens – die herrschende Klasse kennt keine Dankbarkeit. Im Februar 1934 putschten die Rechten gegen das Parlament. Das Bürgertum bedankte sich bei der SDAP für die Rettung vor der Revolution mit dem Verbot der Partei und der Ermordung hunderter Arbeiter_innen!