Denise Van De Cruze: „Unsere Rechte wurden uns nie geschenkt!“

Die Türkis Rosa Lila Villa steht aktuell im Visier der FPÖ. Sie wurde von Identitären (Bobo-Neonazis) attackiert, und von der Community erfolgreich verteidigt. Seit 1982 bietet sie der LGBTIQ+-Community Beratungsangebote, Selbsthilfegruppen, kollektiven Wohnmöglichkeiten und Veranstaltungen. Denise Van De Cruze ist die Wirtin des Cafe Villa Vida in der Villa. Denise, geboren in Guyana, wuchs in den USA auf. 2015 gründete die Aktivistin die Social-Networking-Gruppe Black People in Vienna. Sie organisierte das Queer Feminist Festival und den Queer Mutual Aid Fund in Koordination mit anderen LGBTQIA+-Menschen und -Organisationen.
2. Juni 2023 |

Linkswende: Angesichts des von ÖVP und FPÖ geschürten Hasses auf „LGBTIQ+ Menschen“ steigen die Übergriffe. Nach dem tödlichen Hassverbrechen in Bratislava letzen Herbst habt ihr wichtige Solidaritätsarbeit geleistet. Wie war das für dich?

Nach dem Anschlag in Bratislava ich hatte das Gefühl, es kann hier jederzeit das Gleiche wie vor einem Jahr geschehen. Ich stehe jeden Tag in der Villa Vida und alle ein, zwei Wochen sagt oder tut hier jemand was Hässliches. Nach den traurigen Nachrichten aus Bratislava wusste ich, es braucht nur einen Menschen, um so viele Leben zu zerstören.

Wie war die Unterstützung von dir/euch für die Betroffenen zustande gekommen?

Ich habe Kontakt mit dem Inhaber des Café Tepláren in Bratislava aufgenommen. Zum Glück hatten wir Leute in unserer Community, die die Sprache sprechen. Wir haben klar gemacht, dass wir für ihn da sind. Wir wollten nicht nur das betroffene Lokal unterstützen, auch die Künstler:innen und Menschen, die es genützt haben. Wir haben Leute aus Bratislava gefragt, wie wir das am besten machen könnten. Dann haben wir zum Spendensammeln den Queer Vienna Mutual Aid Fund gegründet. Villa Vida und Queens Brunch Vienna haben die Veranstaltung Love has no Borders organisiert. Die Villa Vida haben wir als Raum angeboten, wenn queere Künstler:innen oder queere Leute aus Bratislava ein paar Tage was in Wien machen wollen.

Es gab letztes Jahr weitere entsetzliche Angriffe, vor allem auf Transpersonen, beispielsweise den Mord an einem Transmann in Deutschland am Christopher Street Day. Hast du den Eindruck, rund um die Debatte um das Selbstbestimmungsrecht hat sich die Lage verschärft bzw. sich die internationale Vernetzung gegen Transrechte verstärkt?

Ja. Die die vulnerabelsten Leute in der Gesellschaft sind sehr wichtig und die Mehrheitsgesellschaft muss an sie denken. Die Rechte von Transmenschen in den Mittelpunkt zu rücken, bewirkt viel und nicht nur in der Mehrheitsgesellschaft. Auch in der queeren Community ist es noch ungewohnt auf diesen Teil zu fokussieren und eine inklusive Politik zu haben. Wir sollten eigentlich den Transpersonen unterstützend sagen, jetzt seid ihr dran und sie fragen, was braucht ihr? Schwule und Lesben sind meist nicht transident. Gegner:innen von Transrechten können Spaltungen in der Community ausnutzen und uns allen Probleme bereiten. Die Mächtigen sind gut darin, die Minderheiten gegeneinander auszuspielen. Sie sagen, ihr könnt ein bisschen was bekommen, aber das gilt nicht für alle. Das sind teuflische Kompromisse auf den Rücken von Transmenschen.

Teile und herrsche, das ist das Spiel der Mächtigen. Neonazis und Konservative haben das Thema Transrechte bereits für sich entdeckt. Ausgehend von den USA sind Angriffe auf Drag-Story Hours für Kinder via FPÖ nun auch hier angekommen. In der Schweiz gab es eine Nazi-Mobilisierung gegen eine Drag-Story-Hour mit Schildern wie „Weimarer Situationen fordern Weimarer Lösungen“. Du kommst aus den USA und bist international vernetzt. Wie erlebst du diese Entwicklung?

In den USA gibt es auch nach dem 2. Weltkrieg eine Geschichte der Unterdrückung. Das Beschäftigungsverbot für Homosexuelle im öffentlichen Dienst galt bis 1975. Im Kalten Krieg sollten im Interesse der nationalen Sicherheit keine mit Outing erpressbaren Mitarbeiter beschäftig werden. Es gab ja zudem lange die Fantasie der Rechten, dass Homosexualität eine Krankheit sei. Jetzt haben die Rechten keine wissenschaftliche Unterstützung mehr für diese falschen Behauptungen. Jetzt sagen Ärzte, Transmenschen brauchen das Recht auf Selbstbestimmung. Aber die Idee, dass mit queeren Menschen irgendwas falsch ist, existiert noch. Die Aids-Krise war in den Augen der Rechten eine Strafe Gottes und dies hat letztlich eine Generation Schwuler getötet. Jetzt stehen wir wieder an einer Kreuzung, unterstützt die Kirche aktiv falsche, rechte Ideen von Ewiggestrigen?

Manche denken, die Rechten hätten schon verloren – jedenfalls in den Städten. Ich meine gerade jetzt versuchen sie es noch härter. Die Performances von Dragqueens sind wegen ihres ungewöhnlichen Outfits die perfekten Feindbilder. Du kannst Shows zusammenschneiden und in sozialen Medien schreckliche Fake News verbreiten. Wir werden alle zustimmen, dass wir auf Kinder und Kinderrechte achten müssen. Die Rechten versuchen schlimme Fantasien in der Mehrheitsbevölkerung über Kinderbücherlesungen von Dragqueens zu verbreiten. Nazis wollen richtige Gefühle mit Queer-Hass zu verknüpfen. Viele vergessen, dass queere Menschen einmal Kinder waren und teilweise auch Eltern sind. Uns gibt es in allen Berufen und wir stehen nicht außerhalb der Gesellschaft. Wir sind auch Teil von Österreich.

Die Konservativen sind weit nach rechts gerückt. Die ÖVP kopiert die FPÖ und Neonazis genießen das so erzeugte Klima. Der Rückenwind für ihren Hass wird durch den Rechtsruck stärker und sie schlagen die Brücke zu christlichen Extremisten. Wie siehst du das aktuell?

Faschismus ist schon sehr interessant, er kennt keine Liebe. Faschismus kennt auch keine große Liebe zur Religion, zu Kinder- oder Frauenrechten. Sie benutzen diese Themen nur. Sie nutzen sie für ihre Propaganda aus und um ihre faschistischen Ideen zu verbreiten. Das erleben wir gerade. In den USA haben sich die Republikaner unter Donald Trump sehr radikalisiert. Die altgedienten Konservativen sind selten seiner Meinung, aber wollen um jeden Preis Wahlen gewinnen und möglichst wenig Macht verlieren. Also läuft die Wahlmaschine unkorrigiert weiter.

Erinnern wir uns, Stonewall war ein Riot. Der Riot war gegen Diskriminierung und für das Recht auf Party.

Ähnlich war es beim großen Teufel meiner Kindheit, bei US-Präsident Ronald Reagan. Als sehr armes, migrantisches und queeres Kind in New York City in den 1970/80er Jahren begann mein Kampf. Wir Minderheiten, speziell die Schwarzen, haben nie etwas von oben bekommen. Wir haben uns alles erkämpfen müssen. Rechte wurden uns niemals geschenkt. Auch heute gilt: Was wir wollen, müssen wir uns nehmen. Westliche Länder wie Frankreich oder Österreich halten sich für modern, divers und beanspruchen die Verteidigung der Menschenrechte für sich. Sie betrachten die möglichen Zerstörer ihrer so perfekten Gesellschaft als etwas von außerhalb ihrer Gesellschaft, die bösen Migranten und auch die bösen Queeren. Sie verklären die Situation und wir stören ihre Ruhe. Menschen wie ich hatten nie Platz oder Ruhe in dieser Gesellschaft, konnten nie Politikern vertrauen. Wenn Nicht-Privilegierte diese Realität gesehen haben, können sie das nie wieder vergessen.

Jetzt bist du Wirtin in der Villa, einem großartigen, selbst erkämpften Raum in dem auch queere Geflüchtete leben. Es gab einen traumatisierenden nächtlichen Angriff auf das Haus und angekündigten Protest der Neonazis gegen die Dragqueen-Story-Hour davor. Wie hast du bzw. habt ihr entschieden nicht klein beizugeben und abzusagen?

Wir hatten schon länger einen Sonntag im Monat Queens Brunch in der Villa Vida, immer problemlos. Es war super locker und angenehm. Lesungen gab es auch anderswo, aber nicht regelmäßig. Eltern hatten sich schon lange mehr davon gewünscht. Es war eine Überraschung als Dominik Nepp von der FPÖ öffentlich über die Villa geredet hat und rechter Protest angemeldet wurde. Ich glaube, der Nepp hat uns gegoogelt. Wir haben gewusst, dass wir unterstützende Kollaborationen brauchen. Weder für mich noch für Queens Brunch war es eine Option abzusagen, niemals. Und merkwürdigerweise auch für die Eltern nicht. Sie sagten: Ich komme freiwillig in die Villa, bezahle Eintritt für die Kinderbuchlesung und niemand verbietet mir das. Alle diese Eltern sind progressiv, manche selbst queer. Absagen war keine Wahl für irgendjemand von uns. Selbst wenn wir morgen zusperren müssten, wir haben Verantwortung für die Community und würden nie zurückweichen. Die einzige Frage war, wie wir das in Sicherheit machen können und zeigen können, dass wir Unterstützung haben. Ich glaube, am 16. April war das super klar.

Auch bei der Kinderbuchlesung davor waren schon viele Solidarische zum Schutz da und die Nazis haben sich nicht her getraut. Der 16. April war eine riesige, entscheidende Niederlage für die Straßennazis. Sie hatten fälschlicherweise gedacht, mit der FPÖ und Klerikal-Fundis im Rücken könnten sie euch schlagen und einschüchtern. Das Kräfteverhältnis war aber umgekehrt und die LGBTIQ+ Community mit ihren Verbündeten aus der antifaschistischen Bewegung triumphierten. Wie ging es dir damit?

Es war großartig. Aber ehrlich gesagt, es war viel Arbeit. Als schwarze Frau werde ich und meine Arbeit oft unsichtbar gemacht. Meine Arbeit wird oft als selbstverständlich und Gratis angenommen. Und das mache ich glücklicherweise gerne auch oft so, weil mir was wichtig ist und zwar ohne Erlaubnis oder Lob. Es macht mich sehr glücklich zu sehen, wie viele Leute dieser Erfolg empowered hat und wie viele für ihre Anliegen eingetreten sind, auch wenn die Möglichkeit einer Konfrontation mit Polizei oder Nazis bestand. Trotz der Angst, die rechte Politiker schüren, kam viel Unterstützung von Menschen für die Villa, deren Arbeit von und mit queeren Menschen. Das war super wichtig.

Dieses Gebäude ist ein historisch wichtiger Platz für Menschenrechte. Für die jetzt hier lebenden Menschen war es echt nicht einfach so ins Visier zu geraten, trotzdem haben sie mitgemacht und alle haben toll zusammen geholfen. Deshalb ist es auch wichtig, unseren gemeinsamen Erfolg jetzt im Juni zu feiern… Es ist mir wichtig für etwas zu kämpfen, aber wir müssen auch feiern. Erinnern wir uns, Stonewall war ein Riot. Der Riot war gegen Diskriminierung und für das Recht auf Party. Das heißt für mich Liebe, Freude, Kunst und unsere Sichtbarkeit in der Gesellschaft, dass wir uns und den Pride-Gedanken weiterhin gegen jene verteidigen, die unsere Rechte in Frage stellen.

Das Interview führte Karin Wilflingseder