Der Meister und Margarita

„Weil Anuschka Sonnenblumenöl gekauft hat, und nicht nur gekauft, sondern bereits auch verschüttet.“ Mit diesem Satz endet die philosophische Diskussion über den Gottesbeweis zwischen dem Vorsitzenden der sowjetischen Literaturorganisation MASSOLIT Michail Alexandrowitsch Berlioz und dem unbekannten ausländischen Professor für Schwarze Magie Voland. Eine Stunde später ist der „entzückende Atheist“ Berlioz tot – geköpft von einer Straßenbahn, nachdem er auf Sonnenblumenöl ausgerutscht war.
16. März 2024 |

Mit dieser grandiosen Einstiegsszene beginnt der Roman Der Meister und Margarita des russischen Schriftstellers Michail Bulgakow. Geschrieben wurde der Text in der dunkelsten Phase der stalinistischen Schreckensherrschaft zwischen 1928 und 1940. Ganz dem Anspruch folgend, dass die besten Bücher nicht in den Bibliotheken, sondern auf den Zensurstapeln spießbürgerlicher Beamter liegen und ihre Autoren zum Lohn Gefängnisaufenthalte anstelle von Preisen erwarten können, wurde Bulgakows Werk erst 1966 erstveröffentlicht. In geringer Auflage und in zensierter Form, versteht sich. Die staatliche Bürokratie machte die Rechnung ohne den Leser:innnen, welche sich in Lesezirkeln und Geheimversammlungen organisierten – (russisch Samisdat), um die zensierten Versionen illegal zu verbreiten.

Bulgakows Werk wurde zur Literatur des intellektuellen Undergrounds der Sowjetunion. Schnell fanden sich auch in der DDR und im restlichen Ostblock illegale Übersetzungen. Das verbotene Buch, das die Machthaber verspottet und mit der intellektuellen wie religiösen Tradition abrechnet, traf bei seiner Veröffentlichung auf die globale Protestbewegung um 1968. Nachdem der „Filmemacher der 68er-Bewegung“ Jean-Luc Godard das Buch las, besprach er es mit dem Sänger der Rolling Stones Mick Jagger.

Gemeinsam begannen sie an einem Film „One Plus One“ mit dazugehörigem Titellied „Sympathy for the Devil“ zu arbeiten. Während der Tonbandaufnahmen fing das Tonstudio Feuer und der Bassist der Rolling Stones musste die Tonbandaufnahmen aus den Flammen retten.

Der Teufel – besser als Stalin

Ähnlich verschlungen wie die Wege des Werkes – von der Zensur an die Weltspitze – sind auch die Wege vom Teufel Voland und seiner Gefährten durch Moskau. Der Todesdämon Asasello, der zu seinem Entsetzen eine Frau mit Charme zu einem Date überzeugen muss, die Katze Behemoth, welche beim Zielschießen auch mal daneben trifft, dem beständigen Begleiter Korowjew, der dank großzügiger Geschenke manchmal eher wie ein Engel erscheint und die Hexe Hella, als Partyplanerin des Teufels.

Gemeinsam spaziert die Gruppe durch Moskau, immer bereit für Schabernack, mit dem menschlichen Leben als Einsatz. Den Türsteher des sowjetischen Literaturclubs verspotten sie, damit, dass dieser Dostojewski höchstpersönlich abgewiesen hätte, nur weil er keinen Mitgliedsausweis besaß. Während einer Theatervorstellung lässt Koroviev Geld und schöne Kleider auf die Anwesenden regnen, welche diese in fanatischen Eifer aufsammeln. Volands zynisches Kommentar, trotz des ganzen sowjetischen Fortschrittes bleiben die Moskauer „Menschen wie alle anderen Menschen… sie lieben Geld, aber das war schon immer so“. Zum Unglück der Moskauer Bevölkerung bleibt Voland aber seiner Analyse der sowjetischen Lebenswelt „Was ist das denn hier bei euch? Alles, was man antippt, gibt es gar nicht“ treu und lässt das Geld und die Kleidung nach der Aufführung wieder verschwinden. Was zu nicht wenig Entsetzen führt, als das Publikum plötzlich nackt nach Hause gehen muss.

Aus der verzauberten Sadowaja 302b, Wohnung 50, verschwinden immer wieder Menschen, nur um an den seltsamsten Orten wieder aufzutauchen: Irrenanstalten, Straflager oder auch mal ein anderes Land – ob der Teufel oder doch irdische Mächte bei diesen Verrücktheiten ihre Finger im Spiel haben – diese Entscheidung überlässt das Buch seinen Lesern.

Von der Hinrichtung von Jesus durch einen depressiven Pontius Pilatus, über Manuskripte, die einfach nicht verbrennen wollen, bis zu einer abschließenden Party; die Geschichten und Motive des Buches laden zu einer wiederholten Lektüre ein. Es gelang Bulgakow nicht nur ein großartiger Satire-Roman über die Sowjetunion unter Stalin, sondern ganz im Stile von Autoren wie John Milton (Paradise Lost) oder dem Comte de Lautréamont (Die Gesänge des Maldoror) fordert sein Werk die Revolte gegen die realen Mächte der Gesellschaft. Die Mystik des religiösen Bösen bleibt eine Spielerei in Anbetracht des realen Bösen.

Von Michail Bulgakow