Die Geschichte der österreichischen Revolution

In Österreich herrschten von 1918 bis 1919 die Arbeiter- und Soldatenräte. Es war Revolution – die wahrscheinlich wichtigste Epoche der österreichischen Geschichte. Die revolutionäre Bewegung der Arbeiter_innen und Soldaten zerstörte nicht nur das Habsburgerreich, sondern erkämpfte bedeutende politische und soziale Reformen. Parlamentarische Demokratie, Frauenwahlrecht, 8-Stunden Tag, Sozialversicherungen, bezahlter Urlaub – um nur einige zu nennen. Trotzdem wurde die Geschichte der österreichischen Revolution aus dem öffentlichen Gedächtnis gelöscht.
15. Oktober 2020 |

Die Geschichte der österreichischen Revolution kann in zwei Phasen eingeteilt werden. Die erste Phase begann im Hungerwinter 1916 mit spontanen Demonstrationen und Plünderungen. Die russische Revolution verwandelte diese Fünkchen des Widerstandes in einen gigantischen Flächenbrand, der die über 600 Jahre dauernde Herrschaft der Habsburger beenden würde. Dem Ineinandergreifen von Arbeiter_innenaufständen, Soldatenrevolten, nationalen Befreiungskämpfen und Aufständen der Landbevölkerung konnte die einst mächtige Monarchie nichts entgegensetzen. Im November 1918 musste der Kaiser aus Österreich fliehen.

Im ganzen Land hatten sich demokratische Räte gebildet, welche eine Gegenmacht zum kapitalistischen Staat darstellten. In der zweiten Phase der österreichischen Revolution, welche im Frühjahr 1919 ihren Höhepunkt erreicht, bestand die Möglichkeit, dass die Räte an die Stelle des kapitalistischen Staatsapparates treten könnten und eine sozialistische Planwirtschaft aufbauen würden. Doch die Sozialdemokratie (SDAP) bremste den revolutionären Elan der Räte und versuchte sie in den Staat zu integrieren.

Rätedemokratie

Die parlamentarische Demokratie gewährt uns alle fünf Jahre die Möglichkeit, zu entscheiden, wer uns regieren soll. Nach Abgabe der Stimme verfügen wir kaum über Möglichkeiten, in den politischen Prozess einzugreifen. Davon abgesehen, sind zentrale Prinzipien der kapitalistischen Gesellschaft, wie das Recht auf Privateigentum der Produktionsmittel, in der Verfassung und im Rechtssystem verankert. Wir können diese Rechte nicht abwählen und darum ist es uns auch unmöglich, auf wirtschaftliche Entscheidungen (was soll produziert werden, in welcher Menge usw.) Einfluss zu nehmen. Das alles führt dazu, dass die Macht in der parlamentarischen Demokratie in den Händen einer kleinen Minderheit liegt. Räte entstehen im Zuge von revolutionären Umbrüchen. Arbeiter_innen wählen in demokratischen Versammlungen Delegierte aus ihren Betrieben, Soldaten in ihren Regimentern, welche an Stelle der ungewählten Bosse und Offiziere treten.

Im Unterschied zu Parlamentariern sind die Delegierten der Räte ihren Wähler_innen direkt verantwortlich und jederzeit abwählbar. In Österreich konnten 1918 schon 10% der Delegierten Neuwahlen verlangen. Außerdem verdienten die Rätedelegierten nicht mehr als die normalen Arbeiter_innen. Das Rätekonzept zielt auf eine radikale Demokratisierung der Gesellschaft, oder wie Lenin es formulierte: Es sollte „jede Putzfrau in die Lage versetzt werden, den Staat zu leiten.“ Während wir in der parlamentarischen Demokratie im besten Falle ein Mitbestimmungsrecht bei politischen Fragen haben, räumt das Rätekonzept den „einfachen Menschen“ die Entscheidungsmacht in politischen und ökonomischen Fragen ein.

Ausbruch Erster Weltkrieg

Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges war die Ablehnung aller militärischen Konflikte zentraler Bestandteil sozialdemokratischer Politik. 1914 entsorgte die Sozialdemokratie diese Position. In Österreich kritisierte der Sohn des Parteichefs Victor Adlers, Friedrich Adler, den opportunistischen Gesinnungswandel. Am Parteitag verlor er die Diskussion gegen seinen Vater: Dieser fürchtete das Verbot der Partei im Falle einer Antikriegsposition. Die Unterstützung des Krieges sollte die SDAP in eine staatstragende Partei verwandeln.

Erster Widerstand gegen den Krieg

Die Zustimmung der Sozialdemokratie zum Weltkrieg lähmte die Arbeiter_innenbewegung. Wichtige Reformen, wie beispielsweise das Verbot der Kinderarbeit, wurden rückgängig gemacht. Das „Kriegsleistungsgesetz“ stellte die gesamte wirtschaftliche Produktion unter militärische Kontrolle. 1915 gab es im gesamten Habsburgerreich gerade einmal 39 Streiks, vor Beginn des Krieges waren es über 400 gewesen.
Der „Hungerwinter 1916“ beendete die Passivität der Arbeiter_innenklasse. Frauen, Arbeitslose und Jugendliche schlossen sich auf „Hungerdemonstrationen“ zu gemeinsamen Plünderungen zusammen.

Die widerständige Stimmung weitete sich auf die industrielle Arbeiter_innenklasse aus. Ein erster Höhepunkt war der spontane Streik von über 200.000 Arbeiter_innen am 1. Mai 1917. Im Zuge dieses und weiterer Streiks 1917 wählten Arbeiter_innen in ihren Betrieben „Arbeiterausschüsse“. Die Delegierten waren für die Koordinierung der Streiks zuständig. Diese Ausschüsse waren die Vorläufer der 1918 entstehenden Räte, im Unterschied zu diesen beschränkten sie sich auf ökonomische Forderungen.

1917: Russische Revolution

Ausgehend von einer Demonstration zum Weltfrauentag am 23. Februar zwang eine Massenstreikbewegung den russischen Zaren zum Rücktritt. An den Fronten kam es zu Verbrüderungen zwischen deutschen/österreichischen und russischen Soldaten. Doch die neue provisorische Regierung in Russland wollte den Krieg fortsetzen. Lenin antwortete auf diese Politik mit seinen berühmten April-Thesen: Alle Macht den Räten, sofortige Beendigung des Krieges und Enteignung des Großgrundbesitzes. Diese Forderungen vereinten Arbeiter_innen, Bauern und Bäuerinnen und Soldaten zu einer revolutionären Kraft.

Im Oktober 1917 stürzten die russischen Arbeiter_innenräte (Sowjets) unter der Führung von Lenins Partei, den Bolschewiki, die provisorische Regierung. Am Tag nach dem Umsturz stimmte der Allrussische Rätekongress einstimmig für das von Lenin verfasste Dekret über den Frieden. In diesem wurde allen kriegsführenden Nationen ein sofortiger Frieden angeboten. Arbeiter_innen und Soldaten wurden dazu aufgefordert, wie in Russland die herrschende Klasse zu stürzen. Das Dekret verbreitete sich durch Flugblätter, Zeitungsartikel und heimkehrende Kriegsgefangene in der ganzen Welt.

Jännerstreik 1918

Angetrieben von diesen revolutionären Entwicklungen musste die SDAP am 11. November 1917 eine Friedenskundgebung organisieren. Über 20.000 Wiener Arbeiter_innen verwandelten die Kundgebung in eine Solidaritätsdemonstration mit den Bolschewiki. Ausgehend von den Daimler-Motorenwerken in Wiener Neustadt entwickelte sich am 14. Jänner die größte Streikbewegung der österreichischen Geschichte. Mit Beginn des Streiks wurde in den Motorenwerken ein erster Arbeiter_innenrat nach russischem Vorbild gegründet. Dieser forderte die Verbesserung der Nahrungsmittelsituation und die Beendigung des Krieges. In den kommenden sechs Tagen schlossen sich über 750.000 Arbeiter_innen der Streikbewegung an.

SDAP-Arbeiterräte

Die Monarchie, der Staatsapparat und die bürgerlichen Parteien standen den revolutionären Entwicklungen hilflos gegenüber. Am 19. Jänner schlossen sich die Wiener Drucker_innen dem Streik an. Die einzige Zeitung, die gedruckt wurde, war die sozialdemokratische Arbeiter-Zeitung. Die SDAP setzte sich an die Spitze der Streikbewegung und lenkte die Radikalität der Arbeiter_innen in kontrollierbare Bahnen. Oder wie Otto Bauer in seiner Geschichte der österreichischen Revolution erklärt: „Wir hatten den Streik als eine große revolutionäre Demonstration gewollt. Die Steigerung zur Revolution konnten wir nicht wollen. Darum mußten wir dafür sorgen, dass der Streik beendet werde.“

In Wien trat auf Initiative der Sozialdemokratie ein schnell zusammengeschusterter Arbeiterrat zusammen. Dieser unterstützte mit 308 zu 2 Stimmen das Verhandlungsergebnis der Parteiführung: einige ökonomische Verbesserungen, aber kein Wort von Frieden. Das Ergebnis war so klar, weil am Kongress größtenteils Parteimitglieder abstimmten. Der Streik wurde beendet, und in den Tagen darauf wurden hunderte Arbeiter_innnen und Revolutionär_innen verhaftet. Innerhalb der Arbeiter_innenbewegung rief das Vorgehen der SDAP-Führung massiven Unmut hervor. Am niederösterreichischen Landesparteitag der SDAP im Februar 1918 warfen Parteimitglieder der Führung vor, dass der Wiener Arbeiterrat nicht dazu „angetan sei, Streiks zu leiten, sondern zu erwürgen.“

Soldatenaufstände

Kaum hatte sich die Lage in der Arbeiter_innenschaft beruhigt, gingen die Soldaten auf die Barrikaden. Inspiriert von den Arbeiter_innenprotesten revoltierten am 1. Februar 1918 die Matrosen in Cattaro, dem zweitgrößten Flottenstützpunkt des Habsburgerreiches. Die Soldaten entwaffneten ihre Offiziere und setzten Matrosenräte an deren Stelle. Diese Räte verfassten eine Deklaration für den Frieden. Die Telegramme, welche die Räte an Victor Adler schickten, blieben unbeantwortet. Adler erklärte dem Generaloberst des Kriegsministeriums, Stöger-Steiner, am Abend des 11. Februars, dass die Arbeiter_innen, falls er ihnen von den Vorgängen berichtete, komplett ohne sein Zutun auf die Barrikaden gehen würden. Deshalb verschwieg Adler den Arbeiter_innen den Aufstand. Die fehlende Kommunikation mit dem Rest des Habsburgerreiches und die Angst vor sinnlosem Blutvergießen zwangen die Matrosen zur Kapitulation.

Nationale Befreiung

Das Habsburgerreich war kein „multikultureller Vielvölkerstaat“, sondern ein brutales Unterdrückungsregime unter deutsch-österreichischer Vorherrschaft. Der allgegenwärtige Rassismus spiegelte sich in der Kriegsführung der k.u.k. Armee in Osteuropa wider. Zu Beginn des Krieges wurden in Galizien rund 30.000 Ruthen_innen und am Balkan mindestens 60.000 serbische Zivilist_innen ermordet. Diese Kriegsführung des Terrors sollte die nach Unabhängigkeit strebenden Völker einschüchtern, führte aber zu massenhaften Desertationen slawischer Soldaten aus der k.u.k. Armee. Die nationalen Revolten und anschließende Unabhängigkeitserklärungen waren der Nagel im Sarg des Habsburgerreiches.

Aufstand am Lande

In Konkurrenz zu den Arbeiter_innenräten gründete die Christlichsoziale Partei (heutige ÖVP) in der Zeit des Jännerstreiks „Deutsche Volksräte“, diese waren aber keine Parteiorganisationen. In Niederösterreich und Oberösterreich waren sie besonders stark, es kam zu spontanen Enteignungen von Kirchen und Großgrundbesitz, u.a. in Wels und Steyr. Auf Flugblättern wurden „Klostergründe für die Bauern“ verlangt.
Während in Wiener Hinterzimmern noch kaiserliche Bürokraten, Sozialdemokraten und Christlichsoziale die Zukunft Österreichs unter sich ausmachen wollten, setzten die Menschen in Linz Taten. Am 1. November 1918, 11 Tage vor der offiziellen Abschaffung der Monarchie, marschierten Zehntausende unter Hochrufen auf die russische Revolution auf die Straße: Kaiserlichen Offizieren wurden die Abzeichen abgerissen, Munitionsdepots besetzt und Gefangene aus Gefängnissen befreit. Am Ende der Demonstration wurde die Gründung der Republik verkündet.

Novemberrevolution

Die offizielle Deklaration der Republik „Deutsch-Österreich“ am 12. November 1918 in Wien war der Abschluss dieser ersten Phase der Revolution. Aus allen Bezirken Wiens marschierten zehntausende Arbeiter_innen in Richtung Parlament. Keine Macht, weder Polizei noch Militär oder Monarchisten, versuchte sich ihnen in den Weg zu stellen.

Sozialistische Revolution

Hans Hautmann erklärt in seiner Geschichte der österreichischen Rätebewegung, in keinem Land mit Ausnahme von Russland war der Zusammenbruch der alten Ordnung so vollständig wie in Österreich. Otto Bauer bestätigt diese Einschätzung in seiner Geschichte der österreichischen Revolution: „Arbeiter und Soldaten hätten jeden Tag die Diktatur des Proletariats aufrichten können. Es gab keine Gewalt, sie daran zu hindern.“ Doch es gab eine; der Sozialdemokratie gelang das Kunststück mit Täuschungsmanövern. Ähnlich wie in Russland existierte in Österreich eine Situation der Doppelherrschaft. Auf der einen Seite der kapitalistische Staatsapparat, auf der anderen die Rätebewegung. Die Räte „wirkten bei der Lebensmittelaufbringung, der Wohnungsbewirtschaftung, im Kampf gegen Nahrungsmittelwucher und gegen Schleichhandel, bei der Arbeitslosenunterstützung, der sozialen Kinderfürsorge und im Gesundheitswesen. In diesen Fragen konnte nichts über ihren Kopf hinweg geschehen“, schreiben Hans Hautmann und Rudolf Kropf in ihrem Werk Die österreichische Arbeiterbewegung vom Vormärz bis 1945.
Obwohl die Rätebewegung in Konkurrenz zum bürgerlichen Staatsapparat stand und die Ausrufung von Räterepubliken in Bayern und Ungarn 1919 die revolutionäre Stimmung befeuerten, kam es in Österreich nie zu einer Konfrontation zwischen Staat und Rätebewegung.

Linker Flügel der SDAP

Selbst der linke Flügel der SDAP (Austromarxismus) um Otto Bauer, Therese Schlesinger, Friedrich und Max Adler waren gegen den Versuch einer sozialistischen Revolution in Österreich. Zwei Argumente waren zentral: Erstens beruhte der Austromarxismus auf einem geschichtsdeterministischen Weltbild, welches den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus für eine geschichtliche Notwendigkeit hielt. Demnach wäre es möglich, den Kapitalismus durch beständiges Erkämpfen von Reformen hin zu einer sozialistischen Gesellschaft zu transformieren, eine Revolution galt als unnötig und störend. Zweitens: Sowohl im Jännerstreik, wie auch im Zuge des Novemberumsturzes und auch im April 1919 erklärten Bauer und Co. ihrer ungeduldigen Basis, eine sozialistische Revolution sei unmöglich, weil ausländische Truppen jeden Aufstand niederwalzen würden. Auch wenn die Austromarxisten recht damit hatten, dass ausländische Interventionen eine Bedrohung darstellten – der englische Außenminister Winston Churchill hatte bereits angekündigt, er wolle „den Bolschewismus schon im Keim ersticken“ – war ihr Argument eine Ausrede. Oder wie Marx sagen würde: „Die Weltgeschichte wäre allerdings sehr bequem zu machen, wenn der Kampf nur unter der Bedingung unfehlbar günstiger Chancen aufgenommen würde.“

Die Austromarxisten betrachteten das Kräfteverhältnis in Österreich isoliert von der revolutionären Welle in Europa. Sie ignorierten etwa, dass sich der Jännerstreik 1918 auf Deutschland ausweitete, es wäre der deutschen Armee schwergefallen, in Österreich einzumarschieren. Ein Bündnis mit der ungarischen Räterepublik hätte 1919 die Nahrungsmittelsituation in Österreich verbessern können, auch wenn Frankreich seine Lieferungen ausgesetzt hätte. Im Falle einer sozialistischen Revolution in Österreich hätte ein revolutionärer Korridor von Bayern über Österreich, Ungarn bis nach Sowjetrussland existiert, solch eine revolutionäre Einheit wäre nicht leicht auszulöschen gewesen. Der Vertreter der Siegermächte, Oberst Cunningham, wies Otto Bauer bei einem privaten Gespräch darauf hin, dass sich die Truppen der Entente weigern würden, auf österreichische Arbeiter_innen zu schießen. Ilona Duczyńska resümiert in Der demokratische Bolschewik. Zur Theorie und Praxis der Gewalt: „In Wirklichkeit aber waren es nicht nur die äußeren Umstände, die die österreichische Arbeiterbewegung (gemeint ist die Sozialdemokratie) hinderten, nun mit der ungarischen Räterepublik in den von Lenin angestrebten Bürgerkrieg als Folge des Weltkrieges einzutreten. Man hatte sich – wie in Deutschland – für die parlamentarische Demokratie entschieden.“

Der linke SDAP-Flügel wollte die parlamentarische Demokratie nicht durch ein sozialistisches Rätesystem ersetzen, sondern: „Das Rätesystem soll vielmehr neben der Nationalversammlung wirken und diese entscheidend beeinflussen“, wie die linke Sozialdemokratin Therese Schlesinger in der Zeitschrift Der Kampf 1919 erklärte.

Kommunistische Partei (KPDÖ)

Zwischen September und Oktober formierte sich um die 23-jährige Studentin Elfriede Friedländer (auch bekannt als Ruth Fischer) ein kleiner Kreis aus Revolutionär_innen, die am 3. November die KPDÖ gründeten. Franz Koritschoner und Elfriede Friedländer boten Friedrich Adler den Parteivorsitz an. Seit seinem erfolgreichen Attentat auf den Ministerpräsidenten Stürgkh war Adler die Führungsfigur der revolutionären Arbeiter_innen. So populär Adlers Attentat auch war, dahinter stand individuelle Verzweiflung und keine revolutionäre Strategie. Ideologisch stand Adler nach wie vor auf dem Standpunkt der SDAP. Dementsprechend betrachtete er die Gründung einer neuen Arbeiter_innenpartei als Fehler. Der Sozialdemokrat Julius Deutsch vermutete in seiner Schrift Österreichische Revolution: Wäre Adler zur KPDÖ übergetreten, der linke Flügel der SDAP wäre ihm gefolgt.

Falsche Strategie

Die Gründung der KPDÖ fand in einer revolutionären Situation, in welcher der Kampf um die Macht auf der Tagesordnung stand, statt. Die KPDÖ stand vor dem Problem, dass sie sowohl die Partei organisieren – sich über ein Programm verständigen, Mitglieder gewinnen, die Herausgabe einer Zeitung organisieren – und gleichzeitig noch den Kampf um die Macht führen musste. Die Kommunist_innen versuchten diesen langwierigen Aufbauprozess abzukürzen. Paul Friedländer, führendes KP-Mitglied, erklärte am ersten Parteitag, dem 9. Februar 1919, dass die KPDÖ „nicht eine Partei auf Jahre hinaus sei, sondern das Proletariat mit raschen Worten zu raschen Handlungen herausrufen wollte.“

Problem der Strategie: Die überwiegende Mehrheit der Arbeiter_innenklasse kannte die KPDÖ nicht, geschweige denn, dass sie ihr vertraute. Verstärkt wurden die objektiven Schwierigkeiten durch schlecht organisierte Umsturzversuche der KPDÖ. Direkt am Tag der Republikgründung hatten sie die Redaktionsräume der Neuen Freien Presse besetzt und sich einen Schusswechsel mit der Parlamentswache geliefert. Auch auf den Massendemonstrationen am 17. April, 17. Mai und 15. Juni 1919 agitierte die KPDÖ halbherzig für einen Militärputsch. Friedrich Adler attackierte die KPDÖ dafür, dass sie ohne vorherige Befragung der Räte Putschversuche vorbereitete. Er argumentierte zurecht, die Absetzung der parlamentarischen Regierung dürfe nur nach demokratischen Beschlüssen der Räte hin passieren.

Das Ergebnis ihrer Strategie war die Isolation der KPDÖ in weiten Teilen der Arbeiter_innenbewegung. Sie konnte bei Rätewahlen nie deutlich über 10% erhalten. Doch der Rückhalt der SDAP war nicht in Stein gemeißelt. Im Zuge der konterrevolutionären Angriffe auf die ungarische Räterepublik gelang es der KPDÖ, einen eintägigen Solidaritätsstreik mit der Räterepublik gegen den Willen der SDAP durchzusetzen.

Ende der Revolution

Die ungarische Räterepublik wurde am 1. August niedergemetzelt. Mit ihrer Niederlage endete auch die revolutionäre Phase in Österreich. Die Anfang 1919 gegründete Sozialisierungskommission wurde wieder abgeschafft und die Räte entmachtet. Langsam aber sicher begannen sich Polizei und Militär zu reorganisieren und putschten im Februar 1934 gegen die Demokratie. Auch wenn es der Rätebewegung nicht gelang ein vernünftiges Wirtschaftssystem an die Stelle des kapitalistischen Wahnsinns zu setzen, so muss ihr doch, wie Hans Hautmann schreibt, der historische Verdienst, „das Proletariat in den Städten, die Arbeitslosen, Invaliden, Heimkehrer, Kriegswitwen- und Waisen vor dem Hungertod bewahrt zu haben“, angerechnet werden. Genauso zeigten sie, auch in einem so reaktionären Land wie Österreich kann Revolution Realität werden.