Die Pharmaindustrie muss demokratisch kontrolliert werden

Die Corona-Pandemie führt uns mit weltweit über 2 Millionen Toten vor Augen, wie zerstörerisch Kapitalismus ist. Menschenleben werden trotz des Ernsts der Lage gegen Profite ausgespielt. Wollen wir diese Krise lösen, braucht es eine demokratische Kontrolle der Pharmaindustrie.
1. Februar 2021 |

An der unsichtbaren Hand des Marktes klebt Blut. Auch wenn wir jetzt Impfstoffe gegen Covid-19 haben, heißt das nicht, dass die Pandemie praktisch besiegt ist. Das Virus wird sich in den Bevölkerungsteilen der Welt halten, wo keine Immunität erreicht wird. Der Impfstoff wird nicht nach Bedarf verteilt, sondern dorthin, wo Profit damit zu machen ist. Sogar der Generaldirektor der WHO Tedros Adhanom Ghebreyesus warf den Impfstoffherstellern vor, sich auf die Länder zu konzentrieren, wo „die Profite am höchsten sind.“

Aber auch innerhalb von einzelnen Staaten werden die Impfungen oft nicht gerecht verteilt. Während bereits 850.000 Israelis ihre zweite Dosis erhalten haben, müssen die Menschen im Gazastreifen und im Westjordanland noch lange auf den Impfstart warten. Offiziell sind zwar die palästinensischen Gesundheitsbehörden für solche Fragen verantwortlich, jedoch sind die Möglichkeiten begrenzt, weil die Besatzungsmacht Israel die Kontrolle über den Verkehr von Menschen und Gütern hat, einschließlich dem von Gesundheitspersonal, Patienten und medizinischer Ausrüstung.
Um die 40 Millionen Impfdosen stehen den 49 reichsten Ländern zur Verfügung, verglichen mit lächerlichen 25 Impfdosen in einem der einkommensschwächsten Länder, schimpft Ghebreyesus, sagt aber nicht konkret welches Land. „Nicht 25 Millionen, nicht 25.000, nur 25.“

Doppelte Abzocke

Eine Demokratisierung der Pharmakonzerne ist längst überfällig. Obwohl die Entwicklung der Impfstoffe zum allergrößten Teil durch öffentliche Gelder finanziert wurde, sollen die Erlöse an die Konzerne gehen. Auch vergangene Forschung fand mit öffentlicher Förderung und an staatlichen Universitäten und Forschungsinstituten statt. Die Impfstoffhersteller reagierten zuerst zögerlich. Sie fürchteten das Risiko, das SARS 2 Virus könnte wie SARS 1 vor einigen Jahren wieder verschwinden und alle Investitionen wertlos machen.

Patente als Hindernis

Hat man erst mal einen wirksamen Impfstoff, wäre in einer vernünftig geplanten Wirtschaft der nächste Schritt, die technischen Möglichkeiten zu schaffen, ihn in den benötigten Mengen herzustellen. Kooperation soll das Motto sein anstatt Wettbewerb. Das wird jedoch durch Patente blockiert, was in diesem Fall besonders dreist ist.

Länder wie Indien und Südafrika verlangen seit Monaten eine Freigabe der Patente vor der Welthandelsorganisation (WTO). Der Antrag fordert, im Rahmen des TRIPS-Abkommens (Abkommen über Handel mit geistigem Eigentum) den Schutz pharmazeutischer Monopole aufzuheben. So könnten Unternehmen in den betroffenen Ländern vor Ort Impfstoffe produzieren. Die USA, die EU, Großbritannien, Norwegen, die Schweiz, Japan, Kanada, Australien und Brasilien lehnten den Antrag sofort ab. Bei weiteren Treffen im November und Dezember geschah dasselbe. Obwohl die Mehrheit der Mitgliedsstaaten (knappe 100 von 164) den Antrag befürwortete, wurde dieser schlussendlich von der Minderheit reicher Länder blockiert. Sie leugnen, dass es überhaupt ein Problem mit der Impfstoffproduktion und Lieferung in vielen Ländern gäbe.

Obwohl der Konzern Moderna zwar angeblich seine Patente nicht durchsetzen möchte, wenn es um die Pandemiebekämpfung geht, legen Ärzte ohne Grenzen dar, dass das nicht ausreiche: Denn zur Entwicklung und Produktion von Impfstoffen sind in der Regel noch andere Arten geistigen Eigentums vonnöten, etwa Fachwissen oder Geschäftsgeheimnisse. Die Lage ist nicht neu, derlei Probleme kennen ärmere Länder bereits von früher: In den 1990er-Jahren, als die WTO gegründet wurde, schnellten in Subsahara-Afrika HIV-Infektionen dramatisch in die Höhe. 1996 wurden in den USA neue Therapien, die antiretrovirale Behandlung, entwickelt. Doch die Behandlung kam nicht jenen zugute, die es sich nicht leisten konnten. Obwohl der Kontinent Afrika eine viel größere Anzahl an HIV-Infizierten hatte, dauerte es Jahre, bis die lebensrettende Behandlung dort verfügbar war. Nichtgenerika kosteten um die Jahrtausendwende jährlich etwa 10.000 US-Dollar. 12 Millionen Menschen starben in Afrika in nur einem Jahrzehnt an den Folgen von HIV/AIDS, selbst als die Todeszahlen in den USA schon drastisch fielen, analysierte das Afrikanische Zentrum für Krankheitskontrolle und Prävention.

Menschlichkeit statt Profite

Dass Patente für medizinische Behandlungen nicht im Interesse der Menschen stehen und keine Notwendigkeit sind, wurde in der Geschichte schon oft bewiesen. Als der Arzt und Immunologe Jonas Salk eine Impfung gegen Polio entwickelte, die über die nächsten Jahrzehnte Millionen von Menschen helfen würde, wollte er damit keinen Proft machen. 1955 beantwortete er in einem Interview die Frage, wem denn das Patent gehöre mit „Naja, ich würde sagen, den Menschen. Es gibt kein Patent. Könnte man die Sonne patentieren?“

Der Erfinder von Insulin, Frederick Banting, weigerte sich, aus seiner Erfindung Profit zu machen und verlangte kein Patent.

Frederick Banting, der Entdecker des Insulins wollte an dem Patent nicht verdienen und stellte es für einen Dollar zur Verfügung: „Insulin gehört der Welt, nicht mir“. Leider nützte das in den USA nicht viel, wo horrende Insulinpreise (pro Monat können auf Diabetiker_innen ohne Versicherung Kosten von 120-400 Dollar zukommen) Betroffene teils in den Ruin treiben. Pharmaunternehmen fügen zunehmend minimale Verbesserungen hinzu, welche das Patent für über 90 weitere Jahre verlängern. Dadurch können im Gegensatz zu vielen anderen Medikamenten keine günstigen Generika produziert werden.

Fehler im System

Das Ergebnis der jahrelangen „Leistung“ der Pharmaindustrie lässt sich sehen: Ähnlich wie bei HIV wird die Armut es Millionen von Menschen im globalen Süden unmöglich machen, sich gegen SARS-2 Covid-19 impfen zu lassen. Dadurch wird sich das Virus weiter ausbreiten und noch eine Gefahr bleiben. Auch in anderen Bereichen wird das Versagen der Konzerne deutlich: Denn aus Sicht einer Firma wie Biontech/Pfizer und der Aktionäre ist es finanziell alles andere als verlockend, die Produktionskapazität so schnell hochzufahren, dass die ganze Welt in sechs Monaten versorgt wird. Eine WHO-Plattform auf, der Pharmafirmen Informationen zu der Produktion von Impfstoffen und der notwendigen Technologie freiwillig teilen können, hat nach Monaten genau null Beiträge. Gleiches gilt für eine UN-Plattform mit ähnlichem Zweck.

Demokratisierung der Pharmaindustrie

Die Coronapandemie kostet unzählige Menschenleben, weil wir von einer profitorientierten Pharmaindustrie abhängig sind. Wenn Masken absurd teuer verkauft werden und für viele nicht leistbar sind, ist das kein Fehler im System, sondern Bestandteil davon. Dabei könnten wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen. Im Fokus soll stehen, was die Erkrankten und die Spitäler konkret brauchen. Statt Willkür des Marktes brauchen wir eine demokratische Planung. Das ist kein Ding der Unmöglichkeit, das technische Know-How der Arbeitenden und der Forschung ist vorhanden. Die russische Revolution kann uns auf unserem Weg dahin inspirieren: Mitten während Krieg und Hungersnot schafften es die Bolschewiki, eine wissenschaftlichere, effektivere und demokratischere Strategie im Kampf gegen Typhus umzusetzen, als die reichsten Länder heute im Kampf gegen Corona.