Die Verbindungen von FPÖ-Innenminister Kickl nach Chemnitz und zu den „Identitären“

Die Führer der „Identitären Bewegung“ Martin Sellner und Patrick Lenart verteidigten die Nazi-Aufmärsche in Chemnitz und beteiligten sich selbst an einem rechtsextremen „Trauermarsch“ am 1. September, bei dem Journalisten und Linke verprügelt wurden. Die Verbindungen der „Identitären“ reichen über das neue Medium Die Tagesstimme bis ins Innenministerium von Herbert Kickl (FPÖ).
21. September 2018 |

Martin Sellner und Patrick Lenart, die Führer der „Identitären Bewegung“ in Österreich, verteidigten in ihren narzisstischen Youtube-„Selbstgesprächen“ die Nazi-Aufmärsche in Chemnitz. Sie nahmen selbst beide am 1. September an einem „Trauermarsch“ teil, wo Rechtsradikale Jagd auf Linke und Journalist_innen machten.

Sellner sah „keinen schrecklichen Nazi-Mob“, sondern „ganz normale Leute“. Es wäre gut gewesen, „dass sich der Zorn der Bevölkerung auf der Straße gezeigt hat. Ich verstehe vollkommen den berechtigten Zorn“, man müsse „die Macht des Volkes zeigen“. Lenart musste zwar zugeben, dass es „natürlich ein paar Fälle von seltenem ‚Hitler-Tourette‘ gegeben“ habe (nach Lenarts Vorstellung hätten demnach Neonazis nur „versehentlich“ den Arm zum Hitlergruß gehoben und „frei, sozial und national“ gerufen). Aber alles in allem lobte er wie Sellner den „patriotischen Widerstand“ gegen die angebliche „Islamisierung“.

Hetzjagden am 1. September

Wie der „berechtigte Zorn“ ausgesehen hat, dokumentierten Journalist_innen am 1. September. Eine Reporterin von BuzzFeedNewsDE protokollierte: „Es wird hier gerade ziemlich brutal, ich bin geschubst worden, ein anderer Reporter wurde getreten.“ Der Journalist Jan-Henrik Wiebe wurde von Rechtsradikalen attackiert, alles ist auf Twitter per Video festgehalten: „Vorhin wurde ich von Neonazis, ja, so muss man sie nennen, angegriffen.“ Einem Reporter von Straßengezwitscher wurde mit einer Krücke ins Gesicht und gegen die Kamera geschlagen.

 

Der Redaktionsleiter des ARD-Magazins Monitor dokumentierte: „Beim Filmen des Tatorts in der Innenstadt wurde unser Kamerateam von Rechtsradikalen tätlich angegriffen und konnte sich gerade noch in Sicherheit bringen. Noch nie habe ich so viel Hass auf Medien erlebt.“ Henrik Merker, Reporter für den Störungsmelder, fasste die Angriffe auf Journalisten für die Zeit Online zusammen. Sören Bartol, Abgeordnete für die SPD im Bundestag, twitterte entsetzt: „Meine Gruppe aus Marburg wurde gerade auf dem Weg zum Bus von Nazis überfallen. Alle SPD Fahnen zerstört und einige wurden sogar körperlich angegriffen.“ Abseits der Demonstration schlugen vier Vermummte einen 20-jährigen Afghanen.

Nazis blockiert

Aus den Polizeiberichten geht hervor, dass bereits am 27. August „20 bis 30 vermummte Personen mit Steinen bewaffnet“ das jüdische Restaurant Schalom angriffen. Oder: „100 vermummte Personen (rechts) suchen Ausländer.“ Im als „Hase-Video“ bekannt gewordenen Mitschnitt wurde aufgedeckt, dass der Angreifer ein Mitarbeiter einer bundesweit tätigen Sicherheitsfirma war. Das ZDF-Magazin Frontal 21 durchforstete die Berichte und kam zu dem Schluss, dass „es am 27. August zwischen 21 Uhr und 22 Uhr mehrfach Versuche rechtsgerichteter Gewalttäter gab, linke Demonstranten oder Ausländer zu attackieren.“

Für Sellner und Lenart „ganz normale Leute“. Was sie mehr interessierte beziehungsweise ärgerte, war, dass der Trauermarsch am 1. September von Antifaschist_innen erfolgreich blockiert wurde und die Neonazis samt der Pegida-Spitze mit Lutz Bachmann und dem AfD-Führer Björn Höcke ihren Zug nach nicht einmal einem Viertel der Strecke beenden mussten. Sellner jammerte: „Bei jeder Blockade hat man uns warten lassen, immer wieder die Stopps, dann ging es wieder drei Schritte weiter, wieder Stopp und Go, wie im Straßenverkehr.“

Kickl und die „Identitären“

Ein guter Freund von Sellner und Lenart, Stefan Juritz, beschwerte sich in seinem neuen Medium Die Tagesstimme ebenfalls darüber, dass die Polizei die Blockaden nicht aufgelöst hatte. Juritz ist ehemaliger Obmann des Rings Freiheitlicher Jugend (RFJ) Deutschlandsberg, langjähriger Aktivist bei den „Identitären“, Burschenschafter der „Marko-Germania Graz“ und nun Chefredakteur der Tagesstimme. Ein weiteres Mitglied der Identitären, Alina Wychera, schreibt ebenfalls für die Tagesstimme.

Wie jetzt eine Anfrage der SPÖ-Abgeordneten Sabine Schatz enthüllte, schaltete das Innenministerium unter Herbert Kickl (FPÖ) in der der Tagesstimme Anzeigen „zur Bewerbung des Polizeiberufs“.

Nach Recherchen von Linkswende jetzt interviewte Sellner Juritz bereits im April, wo letzterer erklärte, wie man das neue Projekt unterstützen könne: „Inserate kann man auch auf der Tagesstimme schalten, also wenn jetzt Verleger, Unternehmer, Ärzte und andere Werbung schalten möchten, das geht auch.“ Sellner beschrieb Juritz als eine „interessante Person aus dem patriotischen Lager“, den „er schon sehr lange kenne“. Die Tagesstimme halte er für „förderungswürdig“.

Arbeitsteilung FPÖ-Identitäre

Innenminister Kickl schaltet auf Zuruf der „Identitären“ Inserate in rechtsradikalen Onlinemedien – nicht nur, dass er sie damit finanziert (laut Anfrage von Schatz bislang mit über 40.000 Euro), er versucht offenbar deren Leserschaft, darunter sicherlich zahlreiche Neonazis, für die Polizei zu rekrutieren.

Sellner und Juritz machen eine grausliche Arbeitsteilung in ihrem Interview deutlich: Die „Identitären“ und Medien wie die Tagesstimme sehen sich als ergänzende „Bewegung“, die letztlich eine militante rechte Straßenbewegung hervorbringen soll, während die FPÖ in der Regierung den Boden dafür aufbereitet.

Nicht umsonst fantasiert Sellner nach Chemnitz einen „Protestherbst“ in Österreich herbei, nachdem die „Protestwelle“ im Jahr 2015 „eingeschlafen“ ist. Damals haben Antifaschist_innen die Aufmärsche der „Identitären“ erfolgreich blockiert und aufgehalten. Zuletzt haben linke Aktivist_innen den „Identitären“ am Kahlenberg in Wien eine erneute Blamage bereitet. Wir müssen jeden Versuch, einen braunen Mob auf der Straße zu formieren, bereits im Keim ersticken, und der FPÖ die demokratische Maske vom Gesicht reißen – ihre Verbindungen reichen bis zum braunen Mob in Chemnitz.