Die Zerstörung des Habsburgerreiches

Am 11. November 1918 wurde die 640 Jahre dauernde Herrschaft der Habsburger beendet. Das Habsburgerreich war kein „multikultureller Vielvölkerstaat“ wie manchmal behauptet, sondern ein brutales Unterdrückungsregime unter österreichischer Vorherrschaft. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Erste Weltkrieg, welcher von der Monarchie herbeigeführt wurde, ihr Ende einläutete.
24. September 2018 |

Innerhalb der Grenzen des Habsburgerreiches lebten elf größere Nationalitäten – Deutsche, Ungarn, Italiener, Tschechen, Ruthenen, Polen, Slowaken, Serben, Kroaten, Slowenen und Rumänen. Dazu kamen noch kleinere Nationalitäten wie Armenier, Bulgaren und Griechen.

Das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert der nationalen Unabhängigkeitsbewegungen, die Menschen begriffen sich nicht mehr als Untertanen der Habsburger, sondern als Angehörige ihrer jeweiligen Nationalitäten.

Revolution 1848

1848 rollte eine revolutionäre Welle durch ganz Europa, das Bürgertum und die Arbeiter_innenklasse forderten den Sturz oder zumindest die Liberalisierung der Monarchie. In der gesamten Monarchie kam es zu Aufständen gegen die Habsburger-Herrschaft. Der Höhepunkt dieser revolutionären Welle war der Wiener Oktoberaufstand.

Am 6. Oktober 1848 sollten Truppen aus Wien nach Ungarn ziehen, um die dortige Revolte niederzuschlagen. Die Wiener Arbeiter_innen solidarisierten sich mit dem Kampf der Ungarn, verhinderten das Abrücken der Truppen und erhängten den Kriegsminister Latour an einer Laterne.

Die Internationale

Die Internationale

Die Aufstände wurden von den Habsburgern brutal niedergeschlagen. Sie waren eine deutliche Warnung, dass die Unterdrückung der Nationen auf Widerstand treffen muss. Und noch viel interessanter, sie zeigten, dass die Wiener Arbeiter_innen dazu bereit waren, gemeinsam mit den unterdrückten Ungarn gegen die Habsburger zu kämpfen.

1866 erlitt die Habsburgerarmee eine vernichtende Niederlage gegen preußische Truppen in Königgrätz. Aus dieser Position der Schwäche mussten die Habsburger im Österreichisch-Ungarischen Ausgleich Zugeständnisse machen. Die Ungarn erhielten eine relative Selbstständigkeit.

Österreichischer Imperialismus

Während die anderen mächtigen europäischen Nationen England, Frankreich und Deutschland sich einem geopolitischen Wettstreit um Kolonien in Afrika und Asien widmeten, konzentrierte sich die Habsburgermonarchie im 19. und 20. Jahrhundert ausschließlich auf den Balkan und den Osten Europas. Sukzessive wurde versucht, den Machtbereich auszudehnen. Das russische Zarenreich war die zweite große Macht am Balkan.

Die Besetzung Bosnien-Herzegowinas durch österreichische Truppen 1908 führte zu Unruhen in der slawischen Bevölkerung. Die österreichischen Generäle wollten das Selbstbewusstsein der slawischen Völker durch einen Krieg zerstören. Als dann der k.u.k. Thronfolger Franz Ferdinand 1914 vom bosnisch-serbischen Freiheitskämpfer Gavrilo Princip erschossen wurde, hatte die k.u.k. Monarchie endlich den langersehnten Grund für einen Krieg.

Österreich forderte von Deutschland Unterstützung und erklärte zuerst Serbien, dann Russland den Krieg, daraufhin stellten sich England und Frankreich auf die Seite Russlands. Der renommierte Militärhistoriker Rauchensteiner urteilt über den Beginn des Ersten Weltkrieges: „Der Krieg wurde herbeigeführt. Mehr noch: Er wurde entfesselt. Und Österreich-Ungarn war es, das die Fesseln löste. Das Deutsche Reich aber führte ihm immer dann die Hand, wenn diese zittrig zu werden drohte.“

Erster Vernichtungskrieg

Die Kriegsführung der k.u.k. Armee muss als systematischer Vernichtungskrieg gegen die slawische Zivilbevölkerung gewertet werden. Zu Beginn des Krieges wurden in Galizien um die 30.000 Ruthenen ermordet. Genauso wurden am Balkan mindestens 60.000 serbische Zivilist_innen ermordet.

Typische Szene in einem serbischen Dorf nach dem Einmarsch österreichischer Truppen 1914 © dform

Diese Völkermorde waren keine spontanen Verbrechen der Soldaten, sondern wurden von der Armeeführung bewusst organisiert. Sie geschahen teils aus taktischem Kalkül, waren aber auch Ausdruck des rassistischen Klimas unter den Offizieren der Monarchie, die slawischen Völker wurden als Untermenschen betrachtet.

Diese Kriegsführung des Terrors war nicht nur ein Versuch, die Feinde einzuschüchtern, es ging auch darum, den Nationalitäten innerhalb der Habsburgermonarchie Angst einzujagen. Entgegen der Intention der Armee stachelten die Völkermorde den Hass auf die Habsburger an, anstatt die Unterdrückten einzuschüchtern. Hunderttausende slawische Soldaten der k.u.k. Armee desertierten und schlossen sich den serbischen und russischen Truppen an.

Militärgerichte

Direkt mit Kriegsbeginn 1914 wurde das österreichische Parlament ausgeschaltet, nebenher wurde die Immunität der Abgeordneten vor juristischer Verfolgung aufgehoben. Die Justiz unterstand dem Militär. Insgesamt wurden 19 Abgeordnete vor Militärgerichte gestellt, der Großteil von ihnen vertrat die tschechische Nation. Viele von ihnen wurden schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt.

Die beiden bekanntesten waren Kramař und Rašin, sie wurden wegen Hochverrats angeklagt und zum Tode verurteilt. Das Absurde an den Prozessen war: Die verurteilten Abgeordneten waren alle keine Feinde der Monarchie. Sie setzten sich für den Fortbestand des Reiches ein, mit der Forderung, dass die Lage der tschechischen Bevölkerung verbessert werden soll.

Es gab Meinungsverschiedenheiten zwischen der österreichischen Regierung des Ministerpräsidenten Stürgkh und dem Militär. Das Militär wollte, getrieben von maßloser Selbstüberschätzung, die tschechische Bevölkerung zum Aufstand provozieren, um die Gebiete dann unter Militärkontrolle zu stellen. Stürgkh wusste, dass solche Aufstände das Habsburgerreich zum Zusammenbruch bringen könnten. Stürgkh und der spätere Kaiser Karl verhinderten alle Todesurteile. Kramař wurde 1917 vom Kaiser begnadigt und kehrte als Volksheld nach Prag zurück.

Diese Differenzen innerhalb des Staatsapparates über die richtige Strategie waren vernichtend für den Fortbestand des Reiches. Die Verurteilungen schürten den Hass der Unterdrückten und durch das Ausbleiben der Urteile erschien das Militär als schwach. Diese Schwäche ermutigte die Unterdrückten zu Aufständen.

Am 21. Oktober 1916 erschoss der Sozialdemokrat Friedrich Adler den Ministerpräsidenten Stürgkh. Adler verwandelte den Gerichtsprozess in eine Anklage gegen den Krieg. Dadurch wurde die Herrschaft der Habsburger noch weiter geschwächt, Adler wurde zum Helden der Arbeiter_innen.

Parlament

Sozialdemokratie und Nationalitätenfrage im Habsburgerreich

Sozialdemokratie und Nationalitätenfrage im Habsburgerreich

Die russische Februarrevolution inspirierte Arbeiter_innen und Unterdrückte in der ganzen Habsburgermonarchie. Um Revolten vorzubeugen, war der Kaiser gezwungen, das Parlament am 30. Mai 1917 wieder zusammentreten zu lassen. Die erste Sitzung verwandelte sich in eine Anklage gegen die Militärunterdrückung, die unterschiedlichen Nationalitäten forderten ihr Selbstbestimmungsrecht.

 

Die Habsburgermonarchie lehnte diese Forderungen rundweg ab; auch die österreichische Sozialdemokratie stellte sich hinter die Krone und verweigerte den Völkern ihr Selbstbestimmungsrecht. Nach dieser Sitzung durfte das Parlament nicht mehr zusammentreten. Doch parlamentarische oder kaiserliche Beschlüsse hatten keinerlei Bedeutung mehr, die unterdrückten Nationen nahmen ihre Geschichte in die eigenen Hände!

Das Ende

Das Ende des Habsburgerreiches wird oft als ein Auseinanderbrechen beschrieben, oder es wird US-Präsident Wilson – dieser hatte in seinem 14-Punkte-Programm die Selbstständigkeit der unterdrückten Nationalitäten unterstützt – dafür verantwortlich gemacht. In Wahrheit waren es die Arbeiter_innen, Soldaten und unterdrückten Massen, die das einstmals mächtige Reich zertrümmerten.

Im Laufe des Jahres 1918 trafen drei Bewegungen aufeinander: Die Streiks und Massenaufstände der Arbeiter_innen, die Aufstände der Soldaten und die nationalen Befreiungskämpfe der unterdrückten Völker. Dieses Zusammentreffen zerstörte die Macht der Habsburger sowohl auf militärischem als auch auf ökonomischem Gebiet.

Am 16. Oktober 1918 unternahm Kaiser Karl noch einen verzweifelten Versuch, zumindest den Fortbestand des Reiches zu sichern. In seinem letzten Manifest wollte er das Habsburgerreich in einen Bundesstaat mit einer starken Autonomie für die einzelnen Nationen umwandeln. Davon wollten die Unterdrückten aber nichts mehr wissen.

Am 28. Oktober wurde auf einer Massendemonstration die demokratische Republik der Tschechoslowakei ausgerufen. Die k.u.k. Bürokratie unternahm keinerlei Versuche, die Ausrufung des Staates zu verhindern. Die Armee meuterte im Oktober; nicht mehr Offiziere und Generäle hatten die Kontrolle über die Armee, sondern von den Soldaten gewählte Soldatenräte. Diese wären nicht dazu bereit gewesen, die Volksaufstände im ehemaligen Kaiserreich niederzuschlagen.

Am 29. Oktober erklärten Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit und schlossen sich gemeinsam mit Serbien zu einem Staat zusammen. Am 31. Oktober erklärte sich auch noch Ungarn als selbständig, damit war das Habsburgerreich endgültig Geschichte. Elf Tage später wurde in Wien die Republik ausgerufen!