Es gibt kein Zurück nach Afghanistan
Die nördlichen Strände der griechischen Insel Lesbos liegen nur neun Kilometer von der türkischen Küste entfernt und bilden die Frontlinie von Europas Flüchtlingskrise. Der Großteil der „Boat People“ flüchtet vor dem alptraumhaften Bürgerkrieg in Syrien, allerdings ist die zweitgrößte Gruppe jene der Afghan_innen. Um zu verstehen, warum sie gerade jetzt in solcher Anzahl ihre Heimat verlassen, brauchen wir uns nur die letzten Geschehnisse anschauen.
Seit der NATO-Invasion 2001 warten die afghanischen Bürger_innen geduldig auf Frieden und Wohlstand, die ihnen von den reichsten Ländern der Erde versprochen wurden. Als die US-Streitkräfte 2001 in Kabul einrollten, klatschten und jubelten viele Afghan_innen auf den Straßen, so groß war ihr Hass auf ihre Herrscher, die Taliban. Dies ist nie zuvor geschehen. Afghanistan hat eine tausendjährige Geschichte von Widerstand gegen Eindringlinge. Die schreckliche Besatzung die folgte, mit ihrem grausamen Blutvergießen und ihrem endlosen Misswirtschaft, gab den Taliban die Kontrolle über große Teile der ländlichen Gegend zurück, von wo aus sie die Städte angreifen konnten.
Luftangriffe: Mehr Gewalt
Möglicherweise war der letzte Tropfen, der das Fass für viele Afghan_innen zum Überlaufen brachte, ein Ereignis in der nördlich gelegenen Stadt Kundus vor ein paar Wochen. Hunderte Talibankämpfer überrannten die lokale Polizei und die Armee. Sie hielten die Stadt für mehrere Tage. Letztendlich wurden sie von einer riesigen Mobilisierung lokaler Kräfte vertrieben, die aus der Luft von amerikanischen Bombern unterstützt wurden. Ihr Luftangriff zerstörte ein Krankenhaus und tötete viele unschuldige Zivilist_innen. Ihre Tode werden traurigerweise den Kreislauf der Gewalt beschleunigen und die Extremist_innen ermutigen. Sie werden die Anwesenheit der NATO verwenden, um ihre mörderischen Handlungen zu legitimieren. Friede war nie weiter entfernt.
Afghanistan hat die höchste Kindersterblichkeit und den niedrigsten Lebensstandard in ganz Südasien. Eine beschämende Statistik für ein Land, das mehr als ein Jahrzehnt von den reichsten Ländern kontrolliert wurde.
Das Versprechen des Rückzugs der NATO-Streitkräfte nach der Wahl von Präsident Ashraf Ghani 2014 hat in vielen Afghan_innen die Hoffnung wieder aufleben lassen, dass ein Ende des Alptraums möglich sei. Ghani versuchte Frieden mit den Aufständischen zu schließen und bot ihnen Ministerposten und die Leitung über drei große Provinzen an. Die Taliban haben Verhandlungen allerdings immer kategorisch ausgeschlossen, solange sich fremde Streitkräfte auf afghanischem Boden befinden und der erwartete Abzug der NATO fand nie statt. Ghani wurde von den USA erpresst, zehntausend NATO-Mitarbeiter_innen und amerikanische Militärbasen im Land zu dulden.
Wer kann, flieht
Die Afghan_innen sind nun zwischen den erstarkenden Taliban und einer schlecht trainierten afghanischen Armee gefangen, die aus der Luft von der größten Quelle der Feindseligkeit unterstützt wird. Afghan_innen, die die Möglichkeit zur Flucht haben, verlassen das Land in Massen.
Sogar jene, die aus Gebieten kommen, die von den Kämpfen nicht betroffen sind, sehen keine Zukunft für sich oder ihre Kinder in ihrem Land. Gelder für den Wiederaufbau wurden von den Warlords unterschlagen, die heute regieren. Als direkte Auswirkung hat Afghanistan die höchste Kindersterblichkeit und den niedrigsten Lebensstandard in ganz Südasien. Eine wirklich beschämende Statistik für ein Land, das mehr als ein Jahrzehnt von den reichsten Ländern der Welt kontrolliert wurde.
Abschiebungen stoppen
Es ist einfach unvorstellbar, dass Länder überlegen, ob sie Menschen aus Afghanistan verstärkt abschieben sollen. Allein die Lebensumstände sind eine Gefahr. Dazu kommt, dass die zunehmenden Aufstände und der Egoismus der herrschenden Eliten nicht nur eine Flucht vor unvorstellbarer Armut und Korruption bedeuten. Sie rennen um ihr Leben und Länder, die sie als Flüchtlinge aufnehmen, haben die Pflicht, sich um diese Menschen zu kümmern und müssen sicherstellen, dass sie sich eine Zukunft in Sicherheit aufbauen können.
Übersetzung aus dem Englischen: Jakob Zelger