Es war ihnen weniger wichtig, dass wir alle gesund sind

Leserbrief von Dominik Gessert, 30 Jahre, Betriebsratsgründer und Vorsitzender in einem renommierten international tätigen Lebensmittelbetrieb.
28. Oktober 2020 |

Meine Erfahrungen in dieser Krise sind sehr durchwachsen. In meinem Betrieb wurden die Produktionsmengen enorm erhöht. Die Kolleginnen und Kollegen sind sehr loyal dem Arbeitgeber gegenüber und sind flexibel auf die Arbeitszeitveränderungen eingegangen. Die Firmenleitung hat auch sehr gut reagiert, die Sozialpartnerschaft hat sofort ihre Früchte getragen und war neben der außergewöhnlichen Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ausschlaggebende Faktor zum erfolgreichen Bestehen in der Krise.

Was jedoch auffallend unausgeglichen war, war die Unterstützung der Industriellenvereinigung, der WKO und der Gewerkschaft. Während ich von der ProGe, dem ÖGB und der AK volle Unterstützung und Informationen bekam, die der Firma und mir nutzten, damit wir zusammen alles meistern konnten, sahen die Unterstützung und Informationen, vor allem von der Seite der Industriellenvereinigung her, sehr mau aus. Wenn man bedenkt wie viel Geld die kassieren, wie diese bedient werden von unserer derzeitigen Regierung und wie die Leistung danach für Klein- und Mittelunternehmen wirklich aussieht, ist das eine bodenlose Frechheit, wie diese im Stich gelassen werden.

In meinem Umfeld hatte ich mehrere positiv getestete COVID-19-Fälle. Bei manchen sah es zwischenzeitlich nicht gut aus und ich bin überaus erleichtert, dass es nun alle gut überstanden haben.

Was mich jedoch sehr schockiert hat, ist die Vorgehensweise der Ämter, welche Menschen aus dem Umfeld der positiv getesteten Patienten gegen ihre eigenen Vorgaben in Quarantäne stecken und andere, die direkten Kontakt hatten, nicht. Somit wurden Menschen, bei denen es unwahrscheinlich war, dass sie mit COVID-19 in Berührung gekommen sind, zuhause in Quarantäne gesteckt, wobei andere, die direkten Kontakt hatten, erst Tage nach Bekanntwerden einer Ansteckung in Quarantäne geschickt wurden.

Am schlimmsten für mich ist aber, dass man dreiviertel der Leute, die in Quarantäne gesteckt wurden, trotz mehrfacher Bitten nicht getestet hat. Selbst Personen, bei denen eine Infektion fast unmöglich gewesen wäre, was mir als Quarantänezwangsnutzer das Gefühl gab, dass es wichtiger ist, dass die offiziellen Infektionszahlen niedrig gehalten werden, als dass wir darauf achten, dass alle gesund sind.

Zusammenfassend habe ich in dieser Krise erlebt, dass die Sozialpartnerschaft, wenn sie genutzt wird, das Fundament und die Garantie des Erfolgs in Krisenzeiten ist, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer alles geben um das System am Laufen zu halten, dass die Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer ihre Klienten im Stich lassen, wenn sie keine Großunternehmen sind und dass diese Regierung die Maßnahmen als reine Showmaßnahmen zur Selbstdarstellung nutzt und ihnen die Gesundheit der Menschen und das Überleben der Klein- und Mittelbetriebe nicht nur egal ist, sondern sie diese auch opfern.

Leser_innenbriefe spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider