Flüchtlinge von Polizei in Seuchenanzügen angegriffen und als „Islamisten“ diffamiert

Die Thüringer Landesregierung ließ nach einem Covid-19-Fall 200 Polizisten ein Erstaufnahmezentrum für Flüchtlinge stürmen. Die Polizei erfand offenbar absichtlich die Lüge, es hätte sich um „Islamisten“ gehandelt und lieferte damit Rechtsradikalen eine Steilvorlage. Antirassismus und Solidarität sind gegen zunehmende Staatsgewalt wichtiger denn je.
24. März 2020 |

Seit dem 13. März steht das Erstaufnahmezentrum auf dem Suhler Friedberg in Thüringen unter strengster Quarantäne, nachdem ein Bewohner positiv auf Covid-19 getestet wurde. Über 500 Flüchtlinge dürfen das Gebäude nicht mehr verlassen und sind gezwungen, ständig aneinander zu kleben. Die Stimmung ist selbstverständlich gereizt. Die Flüchtlinge wehrten sich gegen die Zwangsinternierung und Gefährdung ihrer Gesundheit. Einige versuchten, vom Gelände zu fliehen

Vier Tage später stürmten 200 Polizisten in Seuchenanzügen samt Räumpanzer, Wasserwerfen und Sondereinsatzkommando (SEK) das Gebäude und nahmen 20 Flüchtlinge fest. Geflüchtete Menschen, von denen viele traumatische Erfahrungen mit Gewalt und Krieg gemacht haben, wie gefährliche Schwerverbrecher zu behandeln, weil sie den Schutz ihrer Gesundheit einforderten, ist ein Skandal sondergleichen.

Ein Bewohner klagte gegenüber der Zeitung inSüdthüringen zu Recht an: „Wir wollen Schutzmasken, bekommen aber keine. Und wir wollen eine ärztliche Untersuchung mit einem Test, um Klarheit zu bekommen, damit die gesunden Leute wieder normal rausgehen können.“ Aber die medizinische Versorgung sei dürftig, sagt er, die Anspannung groß. „Wir versuchen ruhig zu bleiben, aber ob das alle so sehen, wenn wir hier noch länger eingesperrt sind…?“

Polizei schürt gezielt Islamfeindlichkeit

Die Polizei rechtfertige ihren Einsatz unter anderem mit der Lüge, dass Flüchtlinge „unter Zeigen einer IS-Fahne versuchten, das Tor zu überwinden und eine sehr aggressive Stimmung an den Tag legten“. Kinder wären angeblich als lebende Schutzhilder verwendet worden. In einer offiziellen Mitteilung der Polizei verbreiteten die Behörden, dass „einige der Männer islamistische Symbole zeigten“. Auf Nachfrage der Zeit musste die Polizei alles dementieren.

Zu diesem Zeitpunkt hatten Neonazis bereits längst die Lügenpropaganda der Polizei aufgegriffen, darunter der österreichische „Identitären“-Führer Martin Sellner. Die Zeit hat genau nach recherchiert und ist zum Ergebnis gekommen: „Aus Suhl gibt es keine Bilder, die eine Fahne, einen islamistischen Gruß oder Kinder als Schutzschild belegen würden.“ Die Episode zeigt das grausliche Zusammenspiel von Neonazis und Staat.

Auch Flüchtlinge in Österreich betroffen

Leider war es nur eine Frage der Zeit, bis es auch in einer Flüchtlingsunterkunft zu einem Covid-19-Fall kommt. Der Bayrische Flüchtlingsrat fasste in einer Mitteilung das Problem treffend zusammen: „Wer sich Gemeinschaftsküchen teilt, in Mehrbettzimmern wohnt, aus derselben Kantine versorgt wird und die Sanitäranlagen gemeinsam nutzt, ist immer mit anderen Menschen in Kontakt.“ Wenn so viele Menschen gezwungen sind, auf engen Raum zusammen zu leben, lässt sich eine Ausbreitung unmöglich verhindern, sobald es zur ersten Infektion kommt.

Auch in österreichischen Flüchtlingsunterkünften steht man vor diesem Problem. In einem Quartier in Bergheim bei Salzburg wurde ein Bewohner positiv getestet, nun steht das gesamte Gebäude unter Quarantäne. 162 Bewohner_innen sitzen fest und können nicht mehr raus, da es nicht möglich war einzugrenzen, wer zu den Kontaktpersonen des Betroffenen gehört. Seit 24. März steht auch das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen unter Quarantäne. Obwohl auf einem Stock zwei positiv getestete Personen und auf einem anderen die Verdachtsfälle isoliert sind, darf keiner der über 600 Bewohner_innen mehr hinaus. Der Haupteingang wird von Polizisten bewacht.

Warum schränkt man einerseits das Alltagsleben der Bevölkerung ein, wenn man gleichzeitig immer noch Flüchtlinge auf engsten Raum zusammenpfercht?

Lösungen

Dabei gibt es doch Alternativen: Eine Anfrage des Standard an das Innenministerium vom 12. März enthüllte, dass der Bund über Ausweichquartiere verfügt. In Österreich gibt es 26 Bundesbetreuungsstellen mit 6.500 Plätzen, es sind jedoch nur elf Stellen aktiv. Von den 2.200 aktiven Plätzen sind rund 1.300 Plätze belegt.

Die Kapazitäten sind also da. Auch am Willen soll es nicht scheitern, das demonstrieren 20 oberösterreichische Bürgermeister_innen, die sich solidarisch erklären und in ihre Gemeinden Flüchtlinge aus überfüllten griechischen Lagern aufnehmen wollen. Dabei sollen laut SP-Landeschefin Birgit Gerstorfer seit 2015 geschaffene Quartiere zum Einsatz kommen, die nun zum Teil leerstehen.

Man kann sogar noch weiterdenken. Um die Infektionen nicht weiter zu beschleunigen, können Flüchtlinge in leerstehenden Wohnungen untergebracht werden. Allein in Wien standen 2015 etwa 25.000 Wohnungen bis zu zweieinhalb Jahren leer, um die 10.000 Wohnungen sogar länger. Die österreichischen Behörden ignorieren den Ernst der Lage.

Bleiberecht für alle!

Die NGO Asylkoordination fordert, dass der für Anfang April geplante Abschiebeflug nach Afghanistan gestoppt werden muss. Dass Gesundheitssystem vor Ort ist nicht in der Lage, die Coronakrise zu bewältigen. Auch wenn einige Gerichtstermine ausgesetzt wurden, arbeiten die Behörden weiter, es kommt dadurch zu weiteren Kontakten, wodurch Infektionen ermöglicht werden. Diese Verfahren müssen ausgesetzt werden, alle Behördentermine abgesagt und Fristen in Asylverfahren aufgehoben werden.

Statt die rassistische Abschiebepolitik fortzuführen, müssen wir ein humanitäres Bleiberecht für alle fordern. Wenn es nach dem Willen der Herrschenden geht, werden besonders Flüchtlinge, Illegalisierte und Obdachlose von der aktuellen Krise betroffen sein. Wir wollen aber eine solidarische Zukunft, in der jedem geholfen ist, unabhängig von Herkunft oder Aufenthaltsstatus. Es wird Zeit, den Mächtigen das Ruder aus der Hand zu reißen, um die Coronakrise zu bewältigen und nicht auf das schlimmste mögliche Szenario zuzusteuern.