Französischer Aktivist: „Kampf gegen Rassismus hat Priorität“

Manfred Ecker sprach mit Denis Godard, Revolutionär und Aktivist in A2C über den Rassemblement National und was in Frankreich gegen den Aufstieg des Faschismus unternommen wird.
15. Juli 2025 |

Linkswende: Österreich erlebte vor Kurzem eine politische Entwicklung, die stark an die französische Politik gegenüber dem Rassemblement National (RN) erinnert. Die FPÖ gewann die Wahlen und konnte nur durch die Bildung einer Koalitionsregierung verhindert werden. Seitdem ist die FPÖ in den Umfragen noch stärker geworden. Welche Lehren lassen sich aus der französischen Politik ziehen?

Denis: Das Wachstum des Rassemblement National (Ex-Front National, FN) hat leider eine lange Geschichte. Wir können einiges dazulernen, was nicht funktioniert, um die Faschisten zu stoppen! Die vorherrschende Strategie der Linken, um den FN und später den RN einzudämmen, war und ist die „republikanische Front“. Die Idee besagt – wie in den dreißiger Jahren – der Kampf besteht zwischen der „bürgerlichen Demokratie“ und dem Faschismus.

Ja keine Kritik äußern, die die „demokratische“ Front spalten könnte, besonders bei Rassismus! Wählen wir einfach eine der „republikanischen“ Parteien, auch die reaktionärste oder rassistischste, um die Rechtsextremen zu verhindern. Schauen wir uns das Ergebnis an! Der RN ist aktuell die stärkste Partei im Parlament. Und Marine Le Pen hat bei den Präsidentschaftswahlen 13 Millionen Stimmen erhalten! Dieses Ergebnis ist leicht zu verstehen. Es sind nicht die faschistischen Parteien, die eine rassistische und nationalistische Politik, Ungleichheit und Verzweiflung erfunden und betrieben haben. Die kapitalistischen Parteien und sogar einige linke Parteien haben das verbrochen.
Damit haben sie den Faschisten auf zweierlei Weise den Weg bereitet:

  • sie legitimierten rassistische Ideen und schufen damit einen fruchtbaren Boden für faschistischen Einfluss
  • sie, besonders linke Parteien, demoralisierten unsere Klasse und ebneten den Weg für faschistische Angriffe

Würdest du den Rassemblement National als faschistische Partei bezeichnen?

Im Vergleich mit der FPÖ, die in Österreich eindeutig die Nachfolge der NSDAP angetreten hat und einen klar faschistischen Kurs verfolgt, gibt es eine beschämende Zurückhaltung der bürgerlichen Parteien und der Zivilgesellschaft, den RN als faschistisch zu bezeichnen. Stattdessen werden ihre politischen Forderungen ernsthaft diskutiert und größtenteils übernommen.Über den faschistischen Charakter der RN sollte es keinen Zweifel geben. Sie wurde in den Siebziger-Jahren von offenen Straßenfaschisten, ehemaligen Nazi-Kollaborateuren und rechtsextremen Terroristen gegen die algerische Unabhängigkeit gegründet… Laut einem ihrer Gründer wurde sie geschaffen, um „ein Massenpublikum anzulocken und in unserem Geiste erziehen können.“ Sie verfolgte eine auf Wahlen ausgerichtete Strategie – die heute als Entdämonisierung bezeichnet wird – und die von allen rechtsextremen Strömungen auf der ganzen Welt angewendet wird.

Es gibt viele Gründe, warum die Linke zögert, den RN als faschistisch zu bezeichnen. Sie wäre gezwungen, Lehren aus den Misserfolgen der Dreißiger-Jahre zu ziehen. Sie müsste ihr religiöses Vertrauen in die Institutionen und ihre Missachtung der kollektiven Macht von unten in Frage stellen. Aber der Zweck, den RN als faschistisch zu bezeichnen, ist nicht nur Beleidigung. Es hat tatsächliche Konsequenzen.

Natürlich ist Faschismus eine Gefahr für Schwarze und Muslim:innen, für Schwule, Transsexuelle und Lesben und auch für Gewerkschafter:innen. Er ist eine Gefahr für alle unserer Klasse. Denn, sobald die Misshandlung einiger von uns ohne kollektiven Widerstand zugelassen wird, untergräbt und bricht das jede Möglichkeit der Klassensolidarität. Und das Ziel des Faschismus ist die Zerstörung jeder Art von kollektiver Klassenorganisation.

Ist der Rassemblement softer und vorsichtiger als die FPÖ oder trügt der Eindruck? Nach dem Skandal um den AfD-Gipfel in Potsdam Ende 2023, distanzierte sich Marine Le Pen von der AfD. Die FPÖ ging in die Offensive und ruft offen zur Remigration auf.

Faschismus ist keine Frage des Programms. Mussolini und Hitler haben das ausdrücklich gesagt. In der Tat wäre es sehr trügerisch zu glauben, der Rassemblement National wäre softer als die FPÖ oder die AfD.
Der italienische Antifaschist Antonio Gramsci sprach vom „Faschismus unter Spannung“: ein ständiges Kräftemessen zwischen Achtbarkeit und „Radikalität“ innerhalb der faschistischen Bewegung. Im italienischen Faschismus war es die Spannung zwischen dem Squadrismo (faschistische Gewalt auf der Straße) und Wahlkampf. Der Druck einer offensiven, breiten antifaschistischen Bewegung kann diese Spannung an die Oberfläche bringen und zu zerstörerischen Spaltungen der faschistischen Bewegung führen. Das passierte in Frankreich in den Jahren 1995-1997, als sich der FN, unter dem gemeinsamen Druck einer sozialen Massenbewegung (zum Thema Renten) und eines antirassistischen und antifaschistischen Kampfes, spaltete.

Ohne diesen Druck kann sich diese Spannung in unterschiedlichen, aufeinanderfolgenden Phasen äußern. Marine Le Pen hat jahrelang auf die Karte „Achtbarkeit“ gesetzt und sich auf den Wahlkampf konzentriert. Heute, nach ihrer Verurteilung, ruft sie ihre Anhänger auf, auf die Straße zu gehen.

Eine Säule des Erfolgs der FPÖ ist der Rassismus. Die andere Säule ist ihre Ablehnung der Europäischen Union, der NATO und des Kriegs in der Ukraine.Wie positioniert sich die französische Linke in diesen Fragen und gegenüber dem RN, oder wie sollte sie sich positionieren?

Die faschistischen Gründer des FN hatten als Kernfrage, um ein Massenpublikum zu gewinnen, die Frage um Einwanderung benannt. Ihr erstes Plakat lautete „eine Million Arbeitslose, eine Million Einwanderer, die Lösung ist klar“. Einige Jahre später hieß es „zwei Millionen Arbeitslose, zwei Millionen Einwanderer, die Lösung ist klar“. Später gingen sie vom offenen Antisemitismus zu antimuslimischem Rassismus über. Rassismus ist die wichtigste Karte der RN.

Und der Kampf gegen Rassismus, ist eine der größten Schwächen der französischen Linken. Die Faschisten nicht zu zerschlagen und rassistische Ideen zu legitimieren; dieser Cocktail der Linken hat die RN wachsen lassen.

Für den Kampf gegen Faschismus braucht es Klasseneinheit, die in jeder Nachbarschaft und an jedem Arbeitsplatz aufgebaut werden muss, um die Faschisten zu zerschlagen. Man muss ihnen mit allen Mitteln die Möglichkeit entziehen, eine Massenpartei aufzubauen.

Aber es reicht nicht, die Ratten zu töten. Man muss auch in der Kanalisation sauber machen. An erster Stelle muss der Kampf gegen Rassismus stehen. Und der Aufbau einer Alternative zum Kapitalismus.

Welche Rolle spielt eure Gruppe A2C in der antifaschistischen und antirassistischen Bewegung?

Unsere Gruppe legt den Schwerpunkt auf den Kampf gegen Rassismus. Nicht nur in der Theorie, sondern auch in unseren Aktionen. Einige unserer Genoss:innen beteiligten sich an lokalen Aktivitäten mit Migrant:innen und an der Gründung der Marche des Solidarités, einer antirassistischen Koalition. In den letzten Jahren hat diese Koalition mehr politischen Raum eingenommen und eine gewisse Geltung erlangt. In diesem Jahr baute sie zentral die großen Demonstrationen in Frankreich am 22. März mit auf.

Derzeit engagieren sich Genoss:innen in der feministischen Bewegung, in der Solidarität mit Palästina und in den Gewerkschaften. In allen Bereichen treiben sie den Kampf gegen Rassismus voran. Über viele Jahre hinweg gab es in Frankreich keine wirkliche antifaschistische Bewegung, weil selbst die radikale Linke die faschistische Gefahr bestritt! In der Praxis haben wir uns auf den Aufbau einer antirassistischen Bewegung konzentriert. Aber wir haben nie aufgehört, über Faschismus und das Wesen der RN zu diskutieren, über die Notwendigkeit, eine antifaschistische Bewegung aufzubauen. Unsere erste herausgegebene Broschüre behandelte den Faschismus. Mit dem Anwachsen der faschistischen Gefahr haben wir mehr Möglichkeiten erwartet, die Initiative zu ergreifen. Wir hatten Recht: Derzeit sind wir an der Bildung antifaschistischer Komitees beteiligt und planen Aktionen gegen die Faschisten.

Letzter Punkt: Die Initiative zu ergreifen bedeutet auch große ideologische Debatten. Weil Politik immer greifbar ist, werden unsere Argumente für Aktionen debattiert. Und diese Aktionen führen dazu, dass mehr Menschen Erfahrungen machen und neue Argumente in größerem Umfang getestet und diskutiert werden. Um die Bewegung immer weiter voranzubringen, braucht es den Aufbau von Aktivist:innen, die unsere Argumente verteidigen und die in der Lage sind, die Initiative zu ergreifen. Die revolutionäre Organisation muss größer werden.