Frühgeschichte der KPÖ: Wie der Kampf um die Räterepublik scheiterte
Auch wenn es heute gerne unterschlagen wird, stand Österreich 1919 kurz vor einer sozialistischen Revolution. Dazu die beiden führenden Sozialdemokraten Friedrich Adler – „Es gibt wohl keinen anderen Staat, wo es seit dem Novemberumsturz für die Arbeiterklasse so leicht möglich gewesen wäre, die ganze Macht an sich zu reißen, wie gerade in Deutschösterreich“ – und Otto Bauer: „Arbeiter und Soldaten hätten jeden Tag die Diktatur des Proletariats aufrichten können. Es gab keine Gewalt, sie daran zu hindern.“ Wie kam es zu dieser revolutionären Krise.
Revolution in Russland
Den Bolschewiki um Lenin und Trotzki war es in Russland gelungen, vier unterdrückte Gruppen zu einer mächtigen Einheit zu formen. Sie hatten die Forderung der Bauern und Bäuerinnen nach Land und die Aufteilung des Großgrundbesitzes von Adel und Klerus unterstützt. Mit den unterdrückten Nationalitäten des Zarenreiches kämpften sie für deren Unabhängigkeit, und mit der Arbeiter:innenklasse für die Kontrolle über die Fabriken. Und über allen schwebte die entscheidende Forderung nach sofortigem Friedensschluss im Ersten Weltkrieg. Die russischen Revolutionen waren jedoch nicht das Werk einer kleinen Partei, die über keinerlei Rückhalt innerhalb der Bevölkerung verfügte. Selbst der russische Sozialdemokrat und ausgemachte Bolschewikenfeind Martov musste dies anerkennen: „Von militärischer Verschwörung statt nationalem Aufstand zu sprechen, obwohl die Partei von der überwältigenden Mehrheit des Volkes unterstützt wurde (…) ist absurd.“
Das zentrale Organ der Russischen Revolution waren die Räte/Sowjets. In Fabriken, Bauerndörfern und Armeeeinheiten hatten sich die Menschen in großen Versammlungen organisiert, um demokratisch ihre Vertreter zu wählen, die im Unterschied zu Parlamentariern kein höheres Gehalt bekamen und ihren Wähler:innen direkt verantwortlich waren. Im Zuge der Oktoberrevolution übernahmen die Räte die gesamte Macht im Staat und in langwierigen Verhandlungen gelang es ihnen, einen Friedensschluss zu erreichen. Die Räte wurden zum Exportschlager der Russischen Revolution, nicht zuletzt dank heimkehrender Kriegsgefangener.
Zertrümmerung des Habsburgerreiches
Auch im Habsburgerreich kam es ab 1916 zu Revolten der Soldaten, der nationalen Minderheiten und der Arbeiter:innen. Im Unterschied zu Russland fehlte jedoch eine Partei, die versuchte, diese Bewegungen in eine Einheit zu verwandeln. Die SDAP verhinderte eine Verbindung der Revolten, beispielsweise weigerte sich Victor Adler (Parteichef der SDAP) den Matrosenaufstand in Cattaro 1918 den Arbeiter:innen in Wien bekannt zu machen.
Vollständig unterdrücken konnte die SDAP die revolutionäre Stimmung jedoch nicht und so kam es im Jänner 1918 zum größten Streik der österreichischen Geschichte, über eine halbe Million Arbeiter:innen streikten gegen den Krieg. Ausgelöst wurde der Streik durch ein Netzwerk aus Linksradikalen um Julius Dickmann, Franz Koritschoner und den Arbeiter:innen in Wiener Neustadt. Inspiriert vom russischen Beispiel wählten die streikenden Rätedelegierten. Als einzige Arbeiter:innenpartei verfügte aber nur die SDAP über genug erfahrene Genoss:innen, welche als Delegierte tätig werden konnten. Gleichzeitig wurde das Delegierten-Staut an die Mitgliedschaft innerhalb der SDAP geknüpft. So gelang es der Partei, die Bewegung in geordnete Bahnen zu lenken und schlussendlich durch eine Abstimmung im halb demokratischen Wiener Arbeiterrat abzudrehen. Die radikale Linke lernte aus ihrer Schwäche und machte sich an den Aufbau einer neuen Partei.
Revolution in Österreich
Die revolutionäre Stimmung ab Oktober 1918 führte dazu, dass das Habsburgerreich viele Gefängnisstrafen für Linksradikale wieder aufheben musste. Einer von ihnen war Friedrich Adler, welcher durch sein Attentat auf den Ministerpräsidenten Karl Stürgkh 1916 zum Helden der radikalisierten Arbeiter:innenklasse geworden war. Koritschoner bot Adler die Gründung einer neuen Partei an – Adler lehnte ab. Julius Deutsch vermutet in seiner Schrift österreichische Revolution, hätte Adler die neue Partei gegründet, ein Großteil der SDAP-Linken wäre ihm gefolgt.
Elfriede und Paul Friedländer sowie Karl Steinhardt nutzten das Vakuum in der Linken und riefen für den 3. November zu einem Treffen in den Eichensälen in Wien-Favoriten. Gerade einmal 50 Menschen kamen zu dem Treffen und gründeten die KPDÖ. Während Koritschoner und sein Umfeld der Partei bereits im Dezember beitraten, blieben Dickmann und Co. länger auf Abstand. Sie organisierten sich in der Föderation revolutionärer Sozialisten International (F.R.S.I) welche der bolschewistischen Ausrichtung der KPDÖ skeptisch gegenüberstand und sich eher am Rätekommunismus orientierten.
Ein erstes Ausrufezeichen setzten KPDÖ und F.R.S.I am 12. November, dem Tag der Republikausrufung als sie versuchten, das Parlament zu stürmen, das Weiß aus der österreichischen Fahne rissen und die Räumlichkeiten der neuen Freien Presse besetzten. Adler und Deutsch spotteten über den Umsturzversuch als nette Abwechslung während einer ansonsten langweiligen Revolution. Der Ruf, eine putschistische Partei zu sein, haftete der KPDÖ in den Anfangsjahren an. Nicht ganz zu Unrecht, Paul Friedländer erklärte, wir werden „nicht eine Partei auf Jahre hinaus sein, sondern eine, die das Proletariat mit raschen Worten zu raschen Handlungen herausruft“. Dieser Logik folgend, boykottierte die KPDÖ die Parlamentswahlen am 16. Februar 1919.
Erster Allgemeiner Rätekongress
Wichtiger als das Parlament waren für die organisierte Arbeiter:innenbewegung in dieser Phase jedoch die Räte. Sie waren es, die das alltägliche Leben organisierten, Essen und Wohnungen kollektivierten und für Sicherheit sorgten. Politisch erkannte die SDAP, wenn die Räte in den Augen aller Arbeiter:innen Respektabilität genießen sollten, dann musste diese auch für die anderen Strömungen der Arbeiter:innenbewegung geöffnet werden. Dies tat Friedrich Adler auf der 1. Allgemeinen Reichskonferenz der Arbeiterräte am 1. März 1919. Von nun an waren die Räte ein echtes Parlament der Arbeiter:innenklasse.
17. April 1919 Revolution in Österreich
In Anbetracht der sozialen Lage forderten immer mehr Arbeiter:innen die alleinige Herrschaft der Räte, verstärkt wurde diese Forderung von der Ausrufung der ungarischen und bayrischen Räterepublik. Für den 5. April mobilisierte die KPDÖ zu einer Solidaritätsdemonstration mit der ungarischen Räterepublik, tausende Arbeitslose und Soldaten kamen. Einer der Redner forderte, durch die Revolution in Österreich „den Anschluß an Ungarn und Bayern den großen kommunistischen Block in Mitteleuropa den Schlußstein einzufügen“.
Am 17. April sollte die Entscheidung fallen. Heimkehrer, Arbeitslose und Invaliden hatten drei getrennte Demonstrationen organisiert, die sich um 16 Uhr vor dem Parlament trafen. Der Kanzler Karl Renner und der Minister für soziale Fürsorge Ferdinand Hanusch (beide SDAP) versuchten beruhigend auf die Menge einzuwirken, jedoch erfolglos. Mit Äxten, Hämmern und Pistolen verjagten die aufgebrachten Demonstrant:innen die Polizei. Am Ring wurden Barrikaden errichtet und erste Fackeln flogen ins Parlament. Die Soldatenräte, marschierten auf und verbrüderten sich mit den Demonstrant:innen.
„Der 17. April 1919 ist der archimedische Punkt in der Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung: Nie vorher und nie nachher war eine Räteherrschaft so nahe“.
Hans Hautmann
Während das Zentralkomitee der KPDÖ über die Proklamierung einer Räterepublik diskutierte, erschien Friedrich Adler. Der genaue Ablauf der Diskussion ist nicht bekannt, ein KP-Mitglied, sehr wahrscheinlich Koritschoner, schilderte die Diskussion: „Friedrich Adler, dem man seiner Haltung und an seiner Sprach anmerken konnte, dass die Sozialdemokratie sowie die Regierung die Bewegung fürchtete, erklärte er werde im Falle der eventuellen Proklamierung einer Räterepublik nichts für und nichts gegen diese unternehmen, sondern sich vollständig passiv verhalten. Die Sozialdemokratie war in einer Lage, wo sie gegen uns nicht Stellung nehmen konnte, für uns aber nicht eintreten wollte“.
Die KPDÖ fand sich in der seltsamen Lage wieder, dass das Bürgertum besiegt war und gleichzeitig ein relevanter Teil der Arbeiter:innenklasse die alleinige Macht der Räte wollte. Dazu schrie die internationale Lage nach Revolution, die KPDÖ verfügte aber nicht über den organisatorischen Rückhalt innerhalb der Räte und der Arbeiter:innenbewegung, die Revolution zu machen. Diesen Rückhalt hatte nach wie vor die SDAP durch ihre geschickte Position: Wir stellen uns weder gegen die Räterepublik noch dafür, sondern schauen einfach mal, was ihr macht. Das brachte die KPDÖ unter Zugzwang. Aufgrund der eigenen Schwäche und dem völligen Fehlen eines Plans, was nach der Ausrufung der Räterepublik zu tun sei, schreckte die KPDÖ davor zurück, aufs Ganze zu gehen. „Der 17. April 1919 ist der archimedische Punkt in der Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung: Nie vorher und nie nachher war eine Räteherrschaft so nahe“, fasst der KPÖ-Historiker der österreichischen Rätebewegung Hans Hautmann zusammen.
Tragödie zur Farce
Auch wenn Staat, Regierung und Sozialdemokratie am 17. April wankten, sie hatten den Tag überstanden. Jetzt ging es darum, die Macht zu konsolidieren. Dafür setzte die Sozialdemokratie auf eine Doppelstrategie: Einerseits wurden in den kommenden Monaten viele der wichtigsten Sozialreformen der österreichischen Geschichte durchgeführt. Der radikalste Schritt war die Ausarbeitung eines Gesetzes zur Sozialisierung der gesamten Schwerindustrie. Gleichzeitig forderte die SDAP von der KPDÖ die Anerkennung davon, dass nur die Räte das Recht hätten, die Regierung zu stürzen und keine Partei. Die kommenden Rätewahlen manifestierten die SDAP-Herrschaft, die KPDÖ erreichte nur 5% der Stimmen. Wenn man bedenkt, dass die Partei keine 6 Monate alt war, zeigt sich jedoch, wie radikal die Stimmung war.
Die KPDÖ war nach dem 17. April eine desorganisierte und zerstrittene Partei. Was es gebraucht hätte, wäre eine konstante Aufbauarbeit der Partei kombiniert mit dem demokratischen Kampf um die Räte. Unter Einfluss der ungarischen KP und ihres Gesandten Ernst Bettelheim entschied sich die KP jedoch für das Gegenteil; sie wollte ausgestattet mit jeder Menge Geld und Waffen direkt um die Macht kämpfen. Bis heute ist umstritten, ob Bettelheim nur im Auftrag der ungarischen KP handelte, oder ob die Komintern (Internationaler Zusammenschluss der kommunistischen Parteien) über sein Tun Bescheid wusste. Bettelheim forcierte die Vereinigung von KPDÖ und F.R.S.I und schmiss die vermeintlichen Zögerer Friedländer-Steinahrdt aus dem Zentralkomitee. Gleichzeitig konzentrierte er die Agitation fast ausschließlich auf Arbeitslose und Soldaten. Das viele Geld und die radikale Agitation führten dazu, dass die KP gigantische Zuwächse verzeichnete, bis zu 40.000 Mitglieder, der Großteil davon in Wien.
Als Anfang Juni die Regierung eine Verkleinerung der Armee verkündete und es direkt zu Massenprotesten kam, erkannte Bettelheim seine Chance. In der ganzen Stadt wurde zu einer Demonstration am 17. Juni mobilisiert. Am 13. Juni trat der Wiener Kreisarbeiterrat zusammen und Friedrich Adler bekräftigte erneut, nur dieses Gremium habe das Recht, eine Revolution auszurufen. Wertheimer versuchte für die KPDÖ dagegenzuhalten, indem er erklärte, der Arbeiterrat sei durch den Einfluss des Parlamentarismus eine reformistische Organisation und die KPDÖ sei an seine Beschlüsse nicht gebunden. Mit 235 gegen 27 Stimmen wurde Adlers Resolution gegen den Aufstand angenommen. Unabhängig davon, wie sehr man mit den Kommunisten sympathisiert, Adler war nicht nur intellektuell überlegen, sondern seine Argumente, waren besser. Eine Revolution der Arbeiter:innenklasse machen, obwohl das Gremium der Arbeiter:innenklasse, der Arbeiterrat, sie nicht unterstützte – überzeugend ist diese Position nicht. Vermutlich sahen dies auch breite Teile der KPDÖ-Basis so. Einen Tag danach diskutierte die KPDÖ über den Ablauf der Demonstration und wahrscheinlich hätte sich die Position – Demonstration ja, potenziell auch bewaffnet, aber kein direkter Aufstandsversuch – durchgesetzt. Doch bevor die Entscheidung fallen konnte, stürmte die Polizei das Treffen und verhaftete quasi die gesamten Führungskräfte der KPDÖ. Erneut war die Partei desorganisiert und als sich die wenigen Demonstrant:innen am 17. Juni trafen, eröffnete die Polizei bei der Votivkirche, bevor der Zug das Parlament erreichte, das Feuer.
Räte keine SDAP Organisationen
Die Macht und Unabhängigkeit der Arbeiter:innenräte wird daran offensichtlich, dass sie nicht nur gegen das Vorgehen der Polizei protestierten, sondern die Enthaftung der Kommunist:innen erreichten. Im August 1919 wurde die ungarische Räterepublik militärisch niedergeschlagen. Ein letztes Mal zeigte sich die Macht der österreichischen Arbeiter:innenräte, sie nahmen eine Resolution der KPDÖ nicht der SDAP an, welche einen Solidaritätsstreik mit der ungarischen Räterepublik forderte.
Mit der Niederschlagung der ungarischen Räterepublik endete die revolutionäre Entwicklung in Österreich. Als der Druck der KP abklang, löste die SDAP die Sozialisierungskommission auf und auch die Arbeiter:innenräte wurden zusehends entmachtet. Die wirtschaftliche Stabilisierung, die Erfolge der SDAP im Roten Wien sowie der alles andere als längerfristige Parteiaufbau führten dazu, dass die KPDÖ in den folgenden Jahren in den Winterschlaf fiel. Von den 40.000 Mitgliedern trat die große Mehrheit wieder aus. Innerhalb der Führung lief ein verwirrender Fraktionskampf – der nur im Kontext der Fraktionierung der Komintern zu verstehen ist – der damit endete, dass die erste Reihe der Phase 1918-1919 in den Hintergrund gedrängt wurde. Ihre Wiederauferstehung würde die KPÖ erst im Kampf gegen den Faschismus feiern.
Die Frühgeschichte der KPÖ ist die Geschichte des gescheiterten Versuches, die bolschewistische Vision, den Weltkrieg in eine Weltrevolution zu verwandeln, zu verwirklichen. Auch wenn die Revolution scheiterte und die KPÖ aufgrund ihrer Jugend und der scheinbaren Allmacht der SDAP so manchen Fehler beging, ändert dies nichts daran, dass es ohne sie niemals eine so tiefgreifende Revolutionierung in Österreich gegeben hätte. Die radikale Sozialgesetzgebung, selbst das Rote Wien, waren ein direktes Produkt der sozialdemokratischen Angst vor einer Radikalisierung der Arbeiter:innen nach links. Hätten Koritschoner und Co. nicht versucht, den Arbeiter:innen eine linke Alternative anzubieten, die SDAP hätte viel weniger Reformen erzielen müssen.