Gaza: Kalkulierter Hungermord

Die Vorwürfe gegen die UNRWA, das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge, ihre Mitarbeiter:innen wären am Ausbruch aus dem Gazastreifen am 7. Oktober beteiligt gewesen, stellen sich als unwahr heraus. Der EU-Kommissar für humanitäre Hilfe, Janez Lenarcic, erklärte am 14. März, Israel könne keine Beweise für diese Behauptung vorlegen
13. Mai 2024 |

Die Vorwürfe Israels wurden am 26. Jänner publik gemacht, dem Tag der Urteilsverkündung im Verfahren „Südafrika gegen Israel“, zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes im Gazastreifen. Sofort verlangte Israel von allen Geberländern, ihre Zahlungen an die UNRWA einzustellen. Von der UNRWA geht die meiste humanitäre Hilfe für den Gazastreifen aus. Die UNRWA hat mehrfach darauf hingewiesen, dass ihre humanitäre Hilfe aus lebensnotwendigen Gütern wie Wasser, Nahrung und Kleidung besteht und nicht ersetzt werden kann. In ihren Zelten leben mehr als eine Million Palästinenser:innen. Ihr Generalkommissar Philippe Lazzarini spricht von einer Kampagne Israels, die UNRWA zu zerstören. Schon in der Vergangenheit beschuldigte Israel ohne jegliche Beweise NGOs und Menschenrechtsgruppen wie beispielsweise 2021 die Kinderrechtsorganisation Defense for Children International, in Verbindung mit dem palästinensischen bewaffneten Widerstand zu stehen, um ihnen EU-Gelder streitig zu machen und sie zu verbieten. Bei seinen Angriffen auf den Gazastreifen ab Oktober bestritt Israel anfangs, Krankenhäuser beschossen zu haben. Heute brüstet es sich mit diesen Kriegsverbrechen.

Fake News

Trotzdem übernahmen westliche Medien sofort die israelischen Falschmeldungen und traten damit alle journalistischen Standards mit Füßen. Drei Tage nachdem Israel den Zahlungsstopp gefordert hatte, kündigte Kanzler Nehammer die Einstellung der österreichischen Zahlungen an die UNRWA an. Auch die US-amerikanische Regierung reagierte auf diese Weise, und schloss mit dem US-Kongress ein Abkommen, das die Zahlungen bis 2025 einfriert. Gleichzeitig unternehmen die westlichen Regierungen nichts gegen die Blockade von LKW-Hilfskonvois durch die israelische Armee und durch faschistische Jugendliche. Die Folge ist eine menschengemachte Hungersnot, wie man sie im 21. Jahrhundert noch nicht gesehen hat. Laut einem neuen Bericht des World Food Programme (WFP) vom 18. März fallen 1,1 Millionen Menschen in Gaza unter die höchste Stufe der Nahrungsunsicherheit – die höchste Anzahl Betroffener, die in den Berichten des WFP jemals festgestellt wurde. „Das Ausmaß des Grauens übersteigt unsere Fähigkeit, es zu beschreiben“ sagte James Elder, Sprecher des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (Unicef). „Sobald man durch den Norden fährt, sieht man diese universelle Geste des Hungers: Die Menschen führen ihre Hände zum Mund. Es gibt viele Kinder und Frauen mit sehr hageren Gesichtern. Die Stadt Chan Yunis ist völlig ausgelöscht.“

Das ist Teil des von der westlichen Staatengemeinschaft unterstützten Völkermords. Bis jetzt wurden laut Angaben des Gesundheitsministeriums von Gaza mehr als 30.000 Menschen durch israelische Angriffe getötet und mehr als 110.000 verletzt, mehr als 10.000 werden unter den Trümmern vermisst. Nicht nur hat die israelische Armee Krankenhäuser, Schulen, Universitäten, Bibliotheken, Moscheen und mehr als 70 Prozent aller Wohnhäuser zerstört. Israel schreckt auch nicht davor zurück, wahllos Palästinenser:innen zu erschießen, die zu den ankommenden Hilfskonvois eilen.

Quer durch alle politischen Lager unterstützen westliche Politiker Israels Völkermord und das Aushungern der Palästinenser:innen diplomatisch und mit Waffen, obwohl es in der von der UN-Generalversammlung beschlossenen Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt: „Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“ Gerne berufen sich unsere Herrschenden darauf, wenn es um „ihren“ Stellvertreterkrieg in der Ukraine geht. Gaza ist dagegen zum Massengrab für die Menschenrechte geworden.

Das ist nicht einfach ein Denkfehler. Inzwischen hat die EU-Kommission angekündigt, einen Teil der vorenthaltenen UNRWA-Gelder zurückzahlen zu wollen. Das zeigt, dass sie die israelischen Vorwürfe gegen die UNRWA selbst nicht glaubt und aus politischem Kalkül gehandelt hat. Israel ist der Staat im Nahen Osten, der am aggressivsten für die wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen des von den USA angeführten westlichen Staatenbündnisses eintritt. Eher unterstützen unsere Herrschenden Tod, Hunger und Vertreibung von Millionen Menschen und nehmen sogar das Ende der Welt in Kauf, als ihren Kettenhund im Nahen Osten aufzugeben.

Versuchslabor Gaza

Doch es geht nicht nur um den Nahen Osten. Gaza ist für sie ein Testgelände, wie weit sie bei der Unterdrückung von Aufständen gehen können. Israel setzt in Gaza seit Jahren computergesteuerte Maschinengewehre ein, die es als „kampferprobt“ in die ganze Welt exportiert. Israelische Drohnen werden von der Europäischen Union eingesetzt, um Flüchtlinge im Mittelmeer zu überwachen. Israel hat weltweit geächtete Diktaturen in Südamerika und das Apartheidsregime in Südafrika im Sinne der USA unterstützt

Inmitten der Klimakatastrophe und der sich weiter erhöhenden Kriegsgefahr wollen die Herrschenden gewalttätige Repression weiter normalisieren. Wie die Autorin Naomi Klein betont, geht es ihnen darum, die Sicherheit der Wenigen gegen die Interessen der Vielen zu verteidigen. Sie verteidigen ein System, das am Abgrund steht, und, so ist zu befürchten, bis zur letzten Atomrakete. Diese Entwicklung muss alle linken Aktivist:innen und die Arbeiterbewegung wachrütteln und dazu bringen, den palästinensischen Widerstand gegen die israelische Besatzung zu unterstützen. Was die Herrschenden heute in Gaza praktizieren, werden sie morgen mit anderen Marginalisierten wie Klimaflüchtlingen tun.

Dagegen brauchen wir Massenwiderstand. Auf der ganzen Welt gibt es riesige Demonstrationen und Kundgebungen in Solidarität mit Palästina. In Italien, Belgien und Indien weigern sich Hafenarbeiter:innen, Waffen für den Export nach Israel zu verladen. Davon brauchen wir mehr. Die Arbeiterbewegung ist in der Verantwortung, dem Völkermord ein Ende zu setzen, und einem System, das mit seiner Jagd nach Profiten den Fortbestand menschlichen Lebens gefährdet.