Goldene Morgenröte vor Gericht: „Der Staat tut alles, um den Prozess zu beenden“

Mit Spannung wurde im Frühjahr der Beginn des Verfahrens gegen die Goldene Morgenröte erwartet. Die Behörden wurden erst mit dem Druck von der Straße aktiv und auch jetzt ist es nur die antifaschistische Bewegung, die die Faschisten hinter Gitter sehen will.
30. Oktober 2015 |

21. Prozesstag. Aufsehen ist unerwünscht im Prozess gegen die Goldene Morgenröte (GM). Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen wir endlich am Tagungsort im Hochsicherheitsgefängnis Korydallos in einem Vorort von Athen an. Der Prozess behandelt die Ermordung des pakistanischen Arbeiters Sahzat Lukman, den Angriff auf kommunistische Gewerkschafter_innen (PAME), mehrere Bombenanschläge und Fälle von Erpressung, Geldwäsche und Körperverletzung – zusammengefasst unter der Anklage der Bildung einer kriminellen Vereinigung.

„Das ist der Prozess des Jahrhunderts“, sagte Magda Fyssa, die Mutter des von Faschisten ermordeten Rappers Pavlos Fyssas, im Gespräch mit der Neuen Linkswende. „Aber der Staat tut alles, um den Prozess zu beenden.“ Die Gerichtsverhandlung wurde auf nach die Wahlen vom September vertagt, um der faschistischen GM die „Teilnahme an der Demokratie“ zu ermöglichen.

Im Gerichtssaal sind keine Filmaufnahmen erlaubt. Es gibt keine Technik zum Vorspielen von Videobeweisen. Der Syriza-Justizminister Nikos Paraskevopoulos verweigert bisher die Verlegung des Prozesses in die Stadtmitte. Und der Staat schützt die Zeugen nicht. Zu Beginn der Verhandlung am 20. April dieses Jahres wurden zwei Zeugen von Faschisten unmittelbar vor dem Gerichtsgebäude angegriffen – sie mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Schwere Beweislast

Das Bild im Gerichtssaal erinnerte an einen typischen Justizthriller, wo die Bösewichte die grimmigsten und teuersten Anwälte angeheuert haben. 69 Politiker und Sympathisanten der Goldenen Morgenröte sind angeklagt, vertreten von über 100 Anwälten. Die GM-Führungsriege hielt sich bisher vom Prozess fern. Am Tag unseres Besuchs quälten die gegnerischen Anwälte einen Freund von Pavlos Fyssas im Zeugenstand und unterstellten ihm immer wieder, er würde lügen.

Der Rapper Pavlos Fyssas wurde von Faschisten der Goldenen Morgenröte ermordet. (c) goldendawnwatch.org
Der Rapper Pavlos Fyssas wurde von Faschisten der Goldenen Morgenröte ermordet. © goldendawnwatch.org

Als Pavlos mehrfach als „der Verstorbene“ bezeichnet wurde, obwohl der Mörder die Tat bereits gestanden hatte, konnte sich Magda nicht mehr zurückhalten und sprang im Zuschauerraum auf: „Nehmt dieses Wort niemals wieder in den Mund, mein Sohn wurde ermordet!“

Die Anwälte der Opfer auf der anderen Seite versuchen zu beweisen, dass die GM nach dem „Führerprinzip“ strukturiert war. Unzählige Terabyte an Videos und Fotos wurden sichergestellt. „Wir haben genug Beweise gesammelt, um die Morgenröte für Jahre hinter Gitter zu bringen“, erzählt Kostas Papadakis, Anwalt für die ägyptischen Fischer, die von den Nazis in ihren Wohnungen schwer verletzt wurden.

In einem jüngst veröffentlichten Video erklärte der „Zellenführer“ George Patelis vor einem geplanten Pogrom gegen Migrant_innen im Athener Stadtviertel Panagitsa (Nikea) im Jahr 2012, erst wenn er das Okay des Parlamentsabgeordneten und „Bezirksführers“ Yannis Lagos bekommen würde, könnten seine Sturmtruppen losschlagen. Dann würde „alles, was sich bewegt, abgeschlachtet.“

Bewegung stoppt die Nazis

Nach der Ermordung von Pavlos Fyssas im September 2013 ist die antifaschistische Bewegung im ganzen Land explodiert. 50.000 gingen alleine in Athen auf die Straßen. Die Polizei musste dutzende Wohnungen und Parteibüros durchsuchen und die Führungsriege der GM um den „Führer“ Nikolaos Michaloliakos verhaften. „Ohne die Aktivitäten von KEERFA (Bewegung gegen Rassismus und die faschistische Bedrohung), gäbe es gar keinen Prozess“, meint der Journalist und genaue Kenner der GM, Dimitris Psarras.

Die Behörden wären untätig geblieben, oder sie hätte Täter und Opfer vertauscht, wie im Fall des pakistanischen Arbeiters Nazim Mahmoud, der sich gegen den Angriff von GM-Aktivisten in seiner eigenen Wohnung gewehrt hatte und daraufhin selbst wegen Körperverletzung und illegalem Waffenbesitzes angeklagt wurde. Ein Fall, der an den Angriff der Unsterblich-Nazis auf das Ernst-Kirchweger-Haus 2013 erinnert – auch hier wurden die Verteidiger härter bestraft als die Angreifer.

Blaue Sympathien

„Man muss die Nazis so früh wie möglich aufhalten, nicht erst, wenn sie schon Sturmtruppen auf den Straßen haben.“ 

(Magda Fyssa)

Auch wenn sich die „offizielle“ FPÖ von der GM distanziert, zeigen einzelne Mitglieder immer wieder Sympathien für die Faschisten in Griechenland. Johann Gudenus erklärte anlässlich eines geplanten Rechtsextremisten-Kongress mit der GM in St. Petersburg, er würde „das nächste Mal sicher“ mit dabei sein. Andreas Mölzers „Zur Zeit“ lobt die GM, weil sie „energisch gegen illegale Einwanderung kämpft“ und die FPÖ-nahe Website ­unzensuriert.at im Umfeld von Martin Graf beklagt die „Hexenjagd“ gegen die GM nach dem Mord an Pavlos Fyssas.

GM und FPÖ haben verschiedene Strategien gewählt – die freiheitliche Führungsriege verschleiert ihr Bekenntnis zum Faschismus, die GM nicht. Doch der Ratschlag von Magda Fyssa, den sie allen internationalen Beobachtern mitgibt, gilt universell: „Man muss die Nazis so früh wie möglich aufhalten, nicht erst, wenn sie schon Sturmtruppen auf den Straßen haben.“

David Albrich ist Koordinator der Plattform für eine menschliche Asylpolitik und hat auf der KEERFA-Konferenz am 10. und 11. Oktober in Athen gesprochen.
Informationen auf Englisch zum laufenden Prozess auf Golden Dawn Watch.
Buchtipp: Dimitis Psarras, Golden Dawn on Trial. Athen, September 2015. Rosa-Luxemburg-Stiftung. Online kostenlos erhältlich über die Rosa-Luxemburg-Stiftung oder linkswende@linkswende.org
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.