Grenzen des Anstands werden niedergerissen
Für mich ist das, was in Moria passiert ist, fast schon folgerichtig. Ich will nicht zynisch klingen, aber wenn man sich die letzten Jahre europäischer Flüchtlingspolitik anschaut, musste es soweit kommen. Außengrenzen werden nach Afrika ausgelagert, paramilitärische Banden und korrupte Regime mit Geld ausgestattet. Gleichzeitig werden Asylgesetze verschärft und scheußliche Bilder produziert, um Menschen abzuschrecken. Ich denke der Brand war ein verzweifelter Hilferuf. Die Menschen leben dort nicht seit gestern, sondern seit Jahren unter unwürdigsten Bedingungen. Vielleicht war es sogar Zeit, dass etwas brennt? Ganz im Sinne von Luther King: Riot is the language of the unheard.
Gleichzeitig ist in Wien Wahlkampf und was die FPÖ sich auf ihren Plakaten leistet, ist an Verächtlichkeit kaum zu überbieten. Islam ist fremd und Islam ist eine homogene Masse vollverschleierter Frauen, so zumindest zeigen sie es. Dagegen das gute, weiße Wien, blonde Kinder, glücklicher Stammtisch. Barbarei der Bilder, Barbarei der Suggestion, Unterbau für weitere Unterdrückung und Diffamierung.
Es ist Wahlkampf, doch traurigerweise auch Alltag, mittlerweile: Grenzen des Anstands werden niedergerissen, während Außengrenzen ausgebaut werden. Es ist schon merkwürdig, dass die Gesellschaften, die sich bei jeder Gelegenheit brüsten, zivilisiert zu sein, ihren eigenen Spiegel lecken, voller Wollust, während sie gleichzeitig darauf herumtreten. Die Zunge schneidet sich an den Scherben, sie können es nicht lassen und irgendwann schauen sie in eine blutverschmierte Fratze, zersprungenen Spiegel, was werden sie tun? Traurig aber wahr, die Festung Europa, stabiler als jemals zuvor.
Ich denke aus dem Flammen Morias sollte man nicht lernen, man sollte wütend werden und diese Wut zeigen. Man sollte sein Möglichstes tun um diese Umstände zu verändern, dass sie annehmbar werden – und zwar für alle. Die Hetze anprangern und das schwarz/weiß der Populisten.
Auf die Straße sollte man es tragen, laut und sichtbar sein. Was wir, als Menschen, ihnen als Menschen schulden, ist, sie von den Inseln auf das Festland und dann auf die Länder der EU zu verteilen. Und wenn nicht alle mitmachen wollen, eben nur einige. Ein Tropfen auf den heißen Stein ist immerhin schon die richtige Richtung.
Tim Höltje