Heimat bist du toter Töchter

Warum Männer Frauen ermorden – und wir nicht mehr wegsehen dürfen
21. Dezember 2022 |

Das Jahr 2022 neigt sich dem Ende zu und bald werden wir wieder mit Jahresrückblicken bombardiert werden. Einer, der es selten auf die Titelseiten bringt, wird sein: 28 Femizide und 25 Mordversuche bzw. schwere Gewalt an Frauen. Bisher. (Stand 17.10.22., Auflistung der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser, AÖF) Die Täter sind Partner, Ex-Partner, Verwandte. Die Tatorte meist das eigene Heim.

Ni una mas!

Ni una mas! – Nicht eine mehr! So der Slogan der Anti-Femizid-Bewegung in Lateinamerika, der inzwischen weltweit übernommen wurde.
Femizid bezeichnet den Mord an einer Frau, weil sie eine Frau ist. Aber nicht jede ermordete Frau ist ein Femizid. Widler erklärt das mit einem Beispiel: Wird eine Bankmitarbeiterin bei einem Überfall erschossen, ist das kein Femizid, weil der Grund für den Mord Geld war, nicht die Identität der Frau.
Femizide haben viele Gesichter. Es sind Morde aus Eifersucht durch (Ex-)Partner, Kindsmord an Mädchen bzw. Abtreibungen weiblicher Föten aufgrund ihres Geschlechts, Frauen und Mädchen, die an den Folgen einer Genitalverstümmelung sterben… Widler konzentriert sich auf Intimizide, Tötungen durch (Ex-)Partner, da sie den größten Anteil in Österreich ausmachen. Die Recherche ist schwierig, es gibt kaum Statistiken.

Femizide gibt es weltweit, Tendenz steigend. Es gibt sie quer durch alle Gesellschaftsschichten und kulturellen Hintergründe. Es gibt keine bestimmte Typologie von Männern, die eine bestimmte Typologie von Frauen umbringt. „Der einzige rote Faden ist eine männliche Kultur, die nie gelernt hat, zu verlieren. Man besitzt ein Haus, ein Auto und eine Frau. Und weil die Frau einem gehört, kann man mit ihr machen, was man will.“ So der italienische Soziologe und Psychiater Paolo Crepet.

Overkill

Widler will der Frage nachgehen, warum gerade in Österreich, einem eigentlich recht sicheren Land, die Zahl der Femizide so hoch ist. Sie hat mit Betroffenen gesprochen und mit Angehörigen ermordeter Frauen. Es sind kaum zu schildernde Grausamkeiten, die diese Frauen erleben mussten. Die Autorin beschreibt einzelne Fälle zum Teil in sehr nüchterner Sprache. An anderen Stellen kann sie das eigene Entsetzen nicht verbergen. Auch Beobachtungen aus Gerichtsverhandlungen fließen ein. Ein immer wiederkehrendes Muster ist die Täter-Opfer-Umkehr. Täter zeigten vor Gericht keine Reue, sondern gaben der Frau die Schuld. Die meisten wiesen eine krankhafte narzisstische Störung auf und häufig das Gefühl, sie seien ein „Geschenk“ an die Frauen. Oft waren die Morde minutiös geplant, kein Affekt oder gar eine „Familientragödie“. Auch Polizei und Justiz kommen bei Widler zu Wort, was sich hauptsächlich im gegenseitigen Schuld zuschieben äußert.

Gewalt beginnt nicht erst, wenn die Axt den Schädel spaltet, die Frau vom Balkon geworfen wird, Feuer gelegt und die Tür verschlossen wird, Bodylotion in den Rachen geleert wird (leider ist keine einzige dieser Methoden ausgedacht). Gewalt heißt auch psychischer Druck, Manipulation, absolute Kontrolle, Stalking. Ein weiteres Merkmal: es kommt zum regelrechten „Overkill“, zum „Übertöten“. Der Tod allein reicht nicht, es geht um die komplette Auslöschung.

Gleichberechtigung? Fehlanzeige

In Österreich beträgt der Gender Pay Gap 2020 18,9 % und liegt damit weit über dem EU-Durchschnitt von 13 %. Erst 1989 wurde nach langen Kämpfen die Vergewaltigung in der Ehe strafbar. Gespräche mit Frauenhäusern und anderen Hilfsstellen ergaben, dass die Zusammenarbeit mit der Polizei sich in den letzten Jahren massiv verschlechtert hat. Und ihr Budget wurde massiv gekürzt. Die FPÖ in der Regierung hat Spuren hinterlassen. Widler hat ein wichtiges Werk vorgelegt. Ein Werk, das dokumentiert, dass sich etwas ändern muss.