Juliputsch 1934 – Die Muster wiederholen sich!

Vor 99 Jahren, am 27. Juli 1934 ermordeten deutschnationale Faschisten in Wien den klerikalen Faschisten Engelbert Dollfuß – der Höhepunkt eines Bruderzwists, der sich bis heute fortsetzt! Beide Lager des österreichischen Faschismus bekämpften sich, aber sie hatten einen gemeinsamen Feind, den sie mehr als andere fürchteten und hassten – den Marxismus!
27. Juli 2023 |

ÖVP und FPÖ mögen sich noch immer nicht, aber sie brauchen sich gegenseitig. Heute ist das mehr als offensichtlich, man braucht sich nur die Koalition zwischen Mikl-Leitner und der FPÖ unter Udo Landbauer ansehen. Landbauer war nach dem Liederbuchskandal (seine Burschenschaft „Germania zu Wiener Neustadt“ besang den Holocaust und wünschte sich eine siebte Million ermordeter Juden) zurückgetreten. Er konnte sich nach dem Skandal keine politische Zukunft mehr für sich vorstellen. Aber das ist Österreich, jetzt ist er Mikl-Leitners Landesobfrau-Stellvertreter.

Antimarxismus damals wie heute

In den 1920er und 1930er-Jahren dominierte der Hass zwischen den Vorgängerparteien von ÖVP und FPÖ die tägliche Politik und Berichterstattung. Wie stark ihre Interessen miteinander verwoben waren, wurde erst sichtbar, als sich die Rauchwolke dieser Scharmützel gelegt haben. 1933 bis 1934 überzogen die Nazis Österreich mit einer Terrorwelle, der Putschversuch alleine kostete über 220 Menschenleben.

Dabei trennten die beiden Parteien (die NSDAP muss hier als Vorläuferpartei der FPÖ verstanden werden, die Christlichsoziale Partei als Vorgängerin der ÖVP) eigentlich nur Details ihrer praktischen Politik, aber die große politische Ausrichtung war dieselbe. Das bestimmende Element war der glühende Anti-Marxismus, der alle konservativen und reaktionären Bewegungen damals beflügelte. In Russland hatte 1917 die Revolution das alte Regime weggefegt. Danach warnte der britische Premierminister Lloyd George besorgt: „Ganz Europa ist vom Geist der Revolution erfüllt. Die Arbeiter sind nicht nur von einem tiefen Gefühl der Unzufriedenheit mit den Lebensbedingungen, wie sie vor dem Krieg bestanden, ergriffen, sondern von Groll und Empörung. Die ganze bestehende soziale, politische und wirtschaftliche Ordnung wird von der Masse der Bevölkerung von einem Ende Europas zum anderen in Frage gestellt.“

In Österreich war ebenfalls Revolution, über Monate herrschten nach dem Ersten Weltkrieg die in den Betrieben und von den Truppen gewählten „Arbeiter- und Soldatenräte“. Kein Offizier konnte ohne Zustimmung der Soldatenräte Befehle durchsetzen. Genauso abhängig waren ab Ende 1918 auch Parlament und Bundesregierung von den Arbeiter:innen- und Soldatenräten. Aber mehr noch die AuS-Räte enteigneten und verteilten Lebensmittel und Wohnungen, fast 45.000 Wohnungen wurden bis 1924 zugeteilt.

Es war eine echte Revolution, tatsächlich der „gewaltsame Einbruch der Massen auf die Bühne der Geschichte.“ Die Vorläuferin der SPÖ, die SDAP, hatte alle Hände voll zu tun, die Arbeiter:innen wieder zu entwaffnen und ihre revolutionären Energien in passivere Kanäle umzulenken. In ganz Europa war der Kampf gegen den Marxismus, eigentlich gegen das Proletariat, eröffnet. In Österreich nahm er diese seltsame Form an, dass erst Austrofaschismus die Vorarbeit leisten, dann Faschismus deutscher Prägung das Gemetzel gegen die organisierte Arbeiter:innenklasse zu Ende führen sollte.

Ist Mikl-Leitner Dollfuß II?

Ausschließen kann man bei der Geschwindigkeit, mit der die ÖVP nach rechts rückt, derzeit gar nichts mehr. Aber die ÖVP ist viel mehr „nur“ eine Wegbereiterin von Faschismus, als eine Kraft, die sich selbst auf eine unabhängige Rolle in einem Bürgerkrieg vorbereitet. In den deutschnationalen Burschenschaften, den Kaderschmieden der FPÖ, herrscht ein ganz anderes Geschichtsverständnis. Die glauben tatsächlich daran, dass die gesellschaftlichen Krisen wieder in einem Bürgerkrieg münden werden, und dass das ihre Gelegenheit wird, wieder mit faschistischen Truppen aufzumarschieren.

Was die ÖVP für ein solches Szenario plant, bewegt sich wahrscheinlich ganz im Rahmen der internationalen Sicherheitspolitik. Sprich, man verlässt sich auf Polizei, Militär und Spezialeinheiten um Aufstände niederzuschlagen. Die FPÖ hat zwar viel Einfluss auf Polizei und Militär, würde aber, soweit wir das über die Burschenschaften wissen, mit eigenen konterrevolutionären Truppen eingreifen und so um die Macht rittern. Diese Bereitschaft eigene paramilitärische Verbände aus hasserfüllten und mordgeilen Abschaum zu mobilisieren, unterscheidet Faschisten von ihren harmloseren Weggefährten. Derweil dürften die Weggefährten noch glauben, sie könnten die Faschisten ausmanövrieren, oder sie mit Regierungsbeteiligungen zähmen und schwächen. Aber erstens müssten die Ursachen für die gesellschaftliche Polarisierung verschwinden, also mehr Sicherheit und Wohlstand kommen, damit diese Rechnung aufgehen kann. Man sieht aber für Kapitalismus überhaupt keinen möglichen Ausweg aus der multiplen Krise, in die er sich bewegt hat. Und zweitens verschwindet der Hass auf alles was heute „woke“ genannt wird (Klimaschutz, Gendergleichberechtigung, Antirassismus etc), nicht so einfach wieder. Es gibt keine wissenschaftliche Basis für die apokalyptischen Fantasien zur Klimakrise verbreitete Bundeskanzler Karl Nehammer am 10. März 2023 nicht im luftleeren Raum, sondern inmitten einer hitzigen Debatte, weil die Aktivist:innen von „Letzte Generation“ die Öffentlichkeit daran erinnerte, dass die Regierung keinesfalls vorhat, ihre Verpflichtungen zum Pariser Klimavertrag einzuhalten. Wem wird es am Ende wohl nützen, wenn ein Bundeskanzler Stimmung gegen Klimaschutz macht, indem er die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur beginnenden Klimakatastrophe in Zweifel zieht?

Ist Nehammer nur dumm?

Ist der ÖVP nicht klar, dass sie mit der permanenten Radikalisierung des rechten Diskurses von Rassismus bis Klimawandelleugnerei nur die FPÖ stärkt? Diese Frage wird sehr oft gestellt, auch von konservativer Seite. Die richtige Antwort ist ein klares Jein – sie müssen es wissen und ignorieren die Bedrohung. Der Kampf rechts gegen links geht vor den inner-rechten Flügelkämpfen. Natürlich können die ÖVP-Granden Umfragen und Wahlergebnisse nicht ignorieren. Natürlich weiß die ÖVP-Führung, dass am Ende sie untergehen und die FPÖ als dominierende Rechtspartei übrigbleiben kann, aber erstens: die Chance lebt. Und zweitens: Die Gefahr eines FPÖ-Triumphs dürfte für die ÖVP tatsächlich zweitrangig sein. Sie wird beiseite gewischt, weil ein Sieg der Linken, ein Sieg des Fortschritts, die größte Bedrohung ihres Gesellschaftsmodells darstellt. Triumphieren politisch die fortschrittlichen Kräfte, derzeit personifiziert durch Andi Babler, würden Klimaschutz, Menschenrechte, Gleichberechtigung, und alles was sie so bemüht aufhalten wollen, tatsächlich Vorrang bekommen. Das wäre dann die ultimative Niederlage für den reaktionären Flügel der herrschenden Klasse in Österreich und für ihre Partei.

Rechtes gegen linkes Lager

Es ist verlockend, aber unbefriedigend die Verantwortung alleine bei der ÖVP, bzw. den politischen Parteien zu suchen. Hinter der Politik der Zentrumsparteien steht die Industrie bzw. das Kapital. Sie kämpfen gegen einen globalen Trend an, nicht nur den fossilen Kapitalismus zu beenden, sondern Alles zu ändern. Wir leben in einer Zeitenwende, einer Epoche, in der das Alte sterben und etwas Neues geboren werden muss. Wir können so nicht weitermachen ohne die Menschheit und mit ihr die Natur in die Katastrophe zu stürzen. Um eine Revolution und die Wende aufzuhalten, werden die Mächtigen nicht davor zurückschrecken, die faschistische Mordmaschine wieder von der Leine zu lassen. Deshalb müssen sich Antifaschismus und Klimaschutzbewegung zusammentun.