Sahra Wagenknecht: Die Selbstgerechten

Sahra Wagenknecht ist dank ihres neuen Buches „Die Selbstgerechten" mit Diskriminierungs- und Rassismusvorwürfen konfrontiert. Offensichtlich ist, Wagenknecht ist keine revolutionäre Linke geschweige denn Marxistin. Jedoch behauptet sie dies auch nicht mehr, darum ist es verschwendete Energie sie einer schlechten Marx-Lektüre zu überführen. Wagenknechts Polemiken gegen die Linksliberalen sind überspitzt, aber richtig. Ihre Kritik an der solidarischen Linken ist stumpf und falsch
11. August 2023 |

Die größte Stärke Wagenknechts ist, dass nicht nur ihre Schreibweise für jeden verständlich ist, sondern auch, dass sie schreibt wie Menschen ohne explizite politische Ausbildung im Alltag sprechen. In Zeiten in denen linke Bücher von obskuren Wörtern wie Diskurse, Hegemonie, Erzählungen, Utopien, Intersektionalität und so weiter strotzen, ist es angenehm, Sätze mit klaren Aussagen zu lesen. Genauso richtig ist ihr Versuch, die Linksliberalen – jene Menschen die sie als „Selbstgerechte“ betitelt – aus ihren gesellschaftlichen Verhältnissen zu erklären.

Der Feind

Selbstgerechte, das sind jene Menschen denen es in der Politik mehr um korrekte ideologische Haltungen als um reale Verbesserungen geht. Zu Recht weist Wagenknecht auf die Absurdität hin, dass etwa die Aussage einer SPD-Politikerin – Deutschland könne nicht alle Flüchtlinge aufnehmen – für Empörung sorgte, während regierende Politiker ebendieser Partei Abschiebungen aktiv organisieren, ohne dass sie mit Aufregung oder gar Rassismusvorwürfen konfrontiert werden.

Der Verweis von Wagenknecht, dass eine Differenz zwischen der „alle sind willkommen“-Rhetorik und der konkreten Politik linker Parteien existiert, ist richtig. Ihre Antwort „schiebt weiter ab und sprecht nicht mehr von offenen Grenzen“ ist aber eindeutig die falsche. Auch ihre Feststellung, dass gerade mit der ersten rot-grünen Regierung, welche mit Hartz IV das Leben der armen Menschen in eine Hölle verwandelte, die politischen Ämter mit Gleichstellungsbeauftragten geflutet wurden, ist wichtig. Was Wagenknecht angreift, ist die Doppelmoral, in Gesetzestexten auf diskriminierungsfreie Sprache zu achten, während die Durchführung genau dieser Gesetze das Leben verschlechtert.

Das Verschwinden der Arbeiter

Ebenfalls wichtig ist ihre Darstellung, wie Führungspositionen in Politik und Medien nach den Kriterien Geschlecht, Ethnie, sexuelle Orientierung usw. immer diverser werden, aber nach dem Kriterium der „Schichtzugehörigkeit“ immer abgeschlossener. Während in den 70er-Jahren ein großer Teil der Parlamentarier aus Arbeiter_innenfamilien stammte, sind es heutzutage primär Akademiker_innen. Diese statistische Aufarbeitung ist eine große Stärke des Buches. Tragisch, dass diese Analysen in der linken Debatte über das Buch totgeschwiegen werden.

Selbstaufgabe

Die große Schwäche des Buches ist Wagenknechts Anbiederung an rechte Positionen. Die Gewerkschaften sieht sie als besiegt. Streiks nimmt sie überhaupt nicht wahr. Auch von den Hunderttausenden, die sich aktiv in der Flüchtlingshilfe engagieren, will sie nichts wissen.
Arbeiter_innen sind für sie Opfer, die aufgrund des Drucks des Kapitals zu konservativen Einstellungen tendieren. Wenn die Linke diese Leute für sich gewinnen will, muss sie Zugeständnisse nach rechts machen, so denkt Wagenknecht.

Das ist Unsinn. Natürlich existieren in der Arbeiter_innenklasse Vorurteile und problematische Haltungen. Aber gegen die kämpft man, indem man gemeinsam kämpft und argumentiert.

Es sind gerade die permanenten Zugeständnisse an rechte Ideologien, die zu einer Demobilisierung der Linken führen. Anstatt durch ein hartes Auftreten gegen Rechts die eigene Basis zu mobilisieren und dies mit einem konsequenten Kampf um soziale Verbesserungen zu verbinden, um so gesellschaftliche Veränderung anzustreben, fordert Wagenknecht eine Linke, die nur mehr in wahltaktischen Motiven denkt. Darum taugt ihr Buch nicht als Programm für die Linke.