Jura Soyfer: „Auf uns kommts an!“

Soyfer war Schriftsteller, Satiriker und überzeugter Antifaschist – ein scharfsinniger Provokateur gegen Herrn Kapital, General Faschismus und Frau Gesellschaftsordnung, wie sie als Figuren in einem seiner Stücke auftreten. Vom Justizpalastbrand 1927 bis zu seinen letzten Tagen in Buchenwald führt er in seinen Texten die absurden Sackgassen vor, in die sich eine von Herrschaftsinteressen gesteuerte Gesellschaft hineinmanövriert, aber auch, dass es sich lohnt, um eine Alternative zu kämpfen!
3. Mai 2025 |

Ironischerweise beginnt die Geschichte des wohl schmähreichsten österreichischen Sozialisten, mit der Flucht der Familie vor der Oktoberrevolution. Der Vater, ein russischer Industrieller wurde von den Bolschewiki enteignet und fand sein Exil im malerischen Baden bei Wien. Das hielt seinen gerade einmal 15-jährigen Sohn nicht davon ab sich marxistisch zu bilden. Zündfunke für Juras politisches Engagement war, im wahrsten Sinne des Wortes, der Justizpalastbrand 1927. Die Spannungen zwischen der Arbeiter:innenklasse und den Kräften der Reaktion waren zu diesem Zeitpunkt am Kochen, durch Schüsse in die Menge tötete die Polizei 84 Demonstrant:innen. Soyfer schloss sich daraufhin der Vereinigung sozialistischer Mittelschüler an, deren politische Aktivität hauptsächlich im schulischen Bereich und im Abhalten von Ferienkolonien bestand. Prompt wird er ein aktives Mitglied bei der Gruppe „Achtzehner“ und im Parteikabarett. Die sozialistische Disziplinierung zum „Neuen Menschen“, wie von Max Adler herbeigesehnt, stieß bei dem Jugendlichen Jura Soyfer, der sich gerne den Zigaretten, den Frauen und anderen Lebensfreuden hingab, nicht immer auf große Begeisterung. So entstanden das folgende Spottgedicht: „Rauchen damma nur im Kopf und trinken aus der Quell´, um nur, erstens, überhaupt und zweitens prinzipiell. Proletarische Disziplin ihr zähen Kleinarbeiter – nieder mit dem Nikotin, dem Tango und so weiter“

Deutschland-Reportagen

Im März 1932 waren etwa 22 Prozent der österreichischen Werktätigen arbeitslos. Soyfer, der Geschichte- und Germanistikstudent, entgeht der Brotlosigkeit durch Schriftstellerei für die Arbeiter-Zeitung. Im Sommer 1932 reist er dafür als Auslandskorrespondent nach Deutschland, um direkt „aus dem Magen“ der faschistischen Bestie zu berichten. Dabei durchbricht er den klassisch nüchternen Reportagestil immer wieder mit antifaschistischer Agitation. Die Gewaltexzesse der Nazis gegen Arbeiter:innen schildert er den Österreicher:innen als ein Blickfenster in eine noch abwendbare Zukunft. Widerstand, etwa in Form des Häuserkampfes, stehen im Zentrum seiner Berichte, und in persönlichen Briefen zeigt er sich vom festen Willen der deutschen Genossen aus SP, SAP und KP eine Einheitsfront zu schließen, optimistisch.

Als er nach Hamburg kommt, beschäftigt sich Soyfer auch intensiv mit der Ausbeutung der Frau durch Prostitution. Er bietet seinen Leser:innen eine historische Auseinandersetzung mit der Stellung der Prostituierten und des Strafvollzugs gegen sie und schließt, dass keine Institution, kein Gesetz das „Elend und Krieg in den Gassen von St. Pauli“ beenden kann, nur die Überwindung des Kapitalismus.

Soyfer dokumentiert außerdem die prekäre Lage der Kohle- und Stahlarbeiter:innen im Ruhrgebiet und untersucht die Abhängigkeitsbeziehungen der lokalen Bevölkerung zu den Unternehmen Krupp und Ruhrgas AG. Zynisch lässt er sich über das Auseinanderklaffen zwischen der anlaufenden Rüstungsindustrie und dem Elend der Menschen aus: „Die Krise ist tot, mit der Krise ist Schluß, Man braucht schon wieder Kanönchen! Bald gibt´s ein Stahlbad von frischem Guß. Kopf hoch! Und Kopf ab, wenn´s so sein muß! Seid nur keine Muttersöhnchen!“

Februar 1934

Für die Arbeiter- und Bauerntheatergruppen Rote Spieler schrieb Soyfer Texte zum „proletarischen Feiern“ – kurze Szenen für Festlichkeiten, mit einschlägig klassenkämpferischen Botschaften. Silvester 1934 stellt etwa eine Krönungszeremonie des jungen Jahres dar, dass von den drei Beratern Herr Kapital, Offizier Faschismus und Frau Gesellschaftsordnung umgarnt wird. Das alte Jahr, wohlwissend über das Unheil der drei, lauert zerlumpt wie eine Warnung am Rande des Geschehens. Am Ende springt ein Mann aus dem Publikum auf die Bühne und ruft in Richtung des Königs 1934 aus: „Wir werden gründlich Sorge tragen, deine Berater davonzujagen!“

Ein braunes Wien?
Ihr fordert viel, Ihr Herren.
Das wäre das neu’ste.
Wißt: Wer Wien hakenkreuzigen will,
Der frage erst unsere Fäuste.
Wiens Straßen pflegten stets unser zu sein.

Es sollte anders kommen. Als der Bürgerkrieg im Februar 1934 ausbrach hatten sich die hochrangigen sozialdemokratischen Funktionäre, die das Kommando in der antifaschistischen Verteidigungsmiliz Schutzbund innehatten, bereits ins Ausland abgesetzt. Die österreichische Arbeiter:innenklasse leistete in den Gemeindebauten dem Faschismus erbitterten Widerstand, der Mangel an Waffen und Organisation hatte ihr Schicksal jedoch besiegelt.

Von der SDAP zur KPÖ

So starb eine Partei, ist Soyfers ernsthafter Versuch seine Frustration mit der sozialdemokratischen Partei auf analytisch-literarische Beine zu stellen. Das Romanfragment konzentriert sich auf die Endphase der Republik 1933 und bricht wenige Wochen vor den Februarkämpfen ab – dabei thematisiert er den zunehmenden Verfallsprozess einer auch ideologisch erstarrten Arbeiterpartei. Der Herr Zehetner, ein eingenähter Spießbürger, mit drei Parteibüchern im Hosentascherl liefert hier schon eine perfekte Blaupause für Qualtingers Herrn Karl.

Zwar gab es einige theoretische Differenzen mit der illegalisierten KP – zum Beispiel in puncto Trotzkistenverfolgungen – jedoch, mit dem Messer der Sozialdemokratie im Rücken und dem Stiefel des Faschismus im Genick war für Jura Soyfer der Parteibetritt im Februar 1934 unausweichlich. Soyfer und sein Schulkollege Franz Marek, der in späteren Jahren zu einem führenden Intellektuellen und Politiker der KPÖ avancieren würde, hatten schon ein Jahr zuvor versucht, der KPÖ beizutreten – dafür waren sie an einen Komintern-Mann herangetreten. Ihr Vorhaben scheiterte daran, dass dieser den beiden daraufhin einen zweistündigen Vortrag hielt, der die beiden, so Marek „so beeindruckte , dass wir beschlossen, der Partei vorerst nicht beizutreten.“

Kabarett im Untergrund

Im Katz- und Mausspiel mit der austrofaschistischen Zensurpolitik musste Soyfer in den Kellergewölben der Wiener Kabarettszene Unterschlupf suchen. Das ABC-Theater am Universitätsring mauserte sich, mit Soyfer als Hausautoren, schnell zum politisch schärfsten seiner Art. Im Geschichtsunterricht 2035, in dem die ABC-Satiriker:innen ihre eigenen Enkelkinder spielen, werden die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts als „Neomittelalter“ gelehrt und spitze Seitenhiebe gegen das austrofaschistische Regime ausgeteilt. Das erste Mittelstück, das Soyfer für das ABC schrieb, heißt Die Grenze. Es handelt von einem Mann, der das große Unglück hat mit einer Körperhälfte im Staat Blautonia und mit der anderen im Staat Gelbanien geboren zu sein. Von beiden Seiten zum Krieg eingezogen, stirbt er im Kampf gegen sich selbst einen grotesken Heldentod. Dieses Schicksal ist Sinnbild für die Arbeiterklasse, die die Waffen im Krieg gegen sich selbst richtet, anstatt gegen ihre Unterdrücker. „Denn diesseits der Grenze und jenseits der Grenze steht derselbe Soldat, der zwei verschiedene Vaterländer und nur ein Leben hat.“

Weltuntergang

Als Soyfer den Weltuntergang verfasste, klopfte der Holocaust, die größte europäische Katastrophe, bereits an die Tür. In seinem Mittelstück ist es jedoch der liebenswürdige Komet Konrad, der die Menschen im Auftrag der Despotin Sonne vernichten sollte. Es beginnt ein Sisyphoskampf des aufklärerischen Wissenschaftlers Guck zur Rettung der Erde: die Widerstände reichen von böswilliger Profitgier bis banale Ignoranz, Guck scheitert schon daran den Menschen das Ausmaß der Krise überhaupt begreiflich zu machen. Bei Marx ist die herrschende Ideologie einer Gesellschaft die Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse zu Gunsten der herrschenden Klasse. Gegenüber dem drohenden Weltuntergang führen Soyfers Figuren diese Verschleierung ad absurdum: Der Führer schmeißt Guck hinaus, weil er ihn einer „jüdischen“ Physik beschuldigt. Die Diplomaten, um das geopolitische Gleichgewicht nicht zu stören, wollen zehn Tage nach dem Weltuntergang noch einmal konsultieren. Die jungen Damen überlegen sich welche Designerklamotten sie zum Anlass tragen. Die Intellektuellen kaufen Karten zu Karl Kraus 800. Verschweigung – übrigens ein böser Seitenhieb auf Soyfers früheres Idol, der berühmterweise verkündet hatte: „Mir fällt zu Hitler nichts ein!“ Selbst die Armen des Stückes, sind zu beschäftigt mit dem schlechten Leben, als dass sie sich über den Weltuntergang den Kopf zerbrechen wollen. So ruft ein Räuber ärgerlich, nachdem er auf seinen morgigen Tod hingewiesen wird: „Und wie ich bis dahin leb, is eana wurscht?“

Der Lechner Edi schaut ins Paradies

Soyfers zweites Stück dreht sich um den arbeitslosen Lechner Edi und seinen Kontrahenten Petersens Elektrischer patentierter Industriemotor (Pepi). Dieser hat ihn in der Fabrik ersetzt und ist nun aber selbst arbeitslos, da Edi und viele andere, zu arm sind, um die produzierten Waren zu kaufen. Die beiden beschließen in der Zeit zurückzureisen, um die scheinbare Ursache für ihre Misere, die Entwicklung der Produktivkräfte, zu verhindern. Dabei müssen sie aber rasch feststellen, dass die großen Erfindungen leider nicht dem Einfallsreichtum besonderer Genies geschuldet sind, sondern dass sie die logischen Konsequenzen der geschichtlichen Entwicklungen sind. Um sie abzuwenden, müssen sie immer weiter in die Vergangenheit zurück. Bei der Schöpfung angelangt, geht Edi so weit, dass er sogar die Erfindung des Menschen sabotieren will, um seine künftige Arbeitslosigkeit zu verhindern – dabei beteiligt er sich versehentlich an der Kreierung des freien Willens. Der scheinbar ausweglose Geschichtsdeterminismus, der durch die Handlung treibt, bekommt durch die Macht der Menschen ihr Schicksal zu gestalten im letzten Moment einen positiven Aufruf: „Auf uns kommts an!“ Somit liest sich das Stück als eine unterhaltsame Parabel auf das bekannte Marx-Zitat: „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.“

„Denn diesseits der Grenze und jenseits der Grenze steht derselbe Soldat, der zwei verschiedene Vaterländer und nur ein Leben hat.“

Von Astoria nach Vineta

In Astoria erfindet der Landstreicher Hupka auf die Schnelle einen Staat als Geburtstagsgeschenk für einen ehemaligen Außenminister. Tatsächliches Land gibt es zwar nicht, dafür aber eine Sprache, eine Bürokratie, internationale Bündnispartner, Investoren und sogar eine Rüstungs- und Erdölindustrie – somit alles, was einen modernen Staat ausmacht. Jeder der das Hochstaplerspiel durchschauen will, wird rasch mit einem hohen Amt befriedet, wodurch es bald zu einer Horde an einreisewilligen Ehrenbürger:innen kommt. Neben der vermittelten allgemeinen Staatsskepsis kann das Stück auch als eine Satire auf „Österreich, den Staat, den keiner wollte“ gelesen werden. Nach Astoria folgen noch Vineta und Broadway Melodie 1492. Vineta zeigt den hoffnungslosen Kampf eines Mannes als einzig Lebender in einer toten Stadt. Das Stück wurde ein voller Erfolg! Ein jeder erkannte die erdrückende Parallele zu Wien am Vorabend des Nationalsozialismus. Soyfers klassischer sozialistischer Aufruf am Ende, doch um eine andere Welt zu kämpfen, ist hier schon von schleichender Verzweiflung durchsetzt: „Wenn einmal eine Sturzflut kommt, ein großer Krieg, eine große Barbarei, ob dann nicht die gesamte Welt zu Vineta wird? […] Wenn das nicht bloß Phantasie ist, Mädelchen, ja dann ist es eine ernste Sache, wie, he? Da müssten wir doch alle unsere ganze Kraft dransetzen, wir alle und sofort, daß die Sturzflut nicht kommt. […] Ob sie vielleicht nicht schon ganz nahe ist?“

Ermordung in Buchenwald

Die Abläufe, die zu Soyfers Ermordung führen, erzählen sich wie eine kafkaeske Parabel, voll von Verwirrungen, Unglücken und staatlich-institutionellem Terror. Eigentlich wollte die ständestaatliche Polizei seinen Genossen Franz Marek erwischen. Aufgrund einer Verwechslung finden die Hausdurchsuchungen Ende 1937 jedoch bei Soyfer selbst statt. Belastendes Material findet sich in Massen, darum interniert man ihn zunächst in dem Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände, dann im Landesgericht Wien in der Zelle E 240. In Gefangenschaft arbeitete er an einem Stück über Hitler, leider ist davon nichts überliefert. Durch eine Generalamnestie für politische Gefangene im Februar 1938 erhält Soyfer seine Freiheit – diese dauert allerdings nur 26 Tage. Als er versucht mit Skiern in die Schweiz zu flüchten, wird er verraten und von den Nationalsozialisten nach Dachau transportiert. Dort verfasst er, mit dem Komponisten Herbert Zipper in einer Kiesgrube arbeitend, das Dachaulied.

Im Herbst 1938 wird Soyfer nach Buchenwald überstellt, dort muss er als Leichenträger schuften und erkrankt an Typhus. Währenddessen versucht seine Familie aus dem amerikanischen Exil alles, um ihn aus dem KZ freizubekommen. Bei seinem Tod im Februar 1939, sind seine Entlassungspapiere bereits unterschrieben. Die Barbarei hat Jura Soyfer getötet, doch der Widerstandsgeist lebt in seinen Werken fort, sanft verpackt im Wiener Schmäh und stets von dem Aufruf begleitet, die Zukunft sozialistisch zu gestalten.