Lotte Brainin

Am 16. Dezember 2020, einen Monat nach ihrem 100. Geburtstag, verstarb die jüdische Widerstandskämpferin und Kommunistin Lotte Brainin. Die NS-Diktatur, Flucht, Gefangenschaft in den KZs Auschwitz-Birkenau und Ravensbrück, all das stand sie durch. Allein deswegen lohnt es sich, auf das Leben und Wirken dieser inspirierenden Persönlichkeit zurückzublicken.
22. Februar 2021 |

Lotte Brainin (geb. Sontag) kam am 11. November 1920 als 5. Kind einer jüdischen, sozialdemokratischen Familie zur Welt. Die Eltern flohen zu Beginn des Ersten Weltkriegs aus Galizien nach Wien und mussten sich durch verarmte Verhältnisse durchschlagen. Schon früh zog es das Mädchen zu der sozialistischen Jugendorganisation Rote Falken. Nach den Februarkämpfen 1934 trat Brainin dem Jugendverband der KPÖ, was bald die erste Verhaftung mit sich zog. Mit dem Anschluss Österreichs ans Dritte Reich wurde die Lage ab 1938 nur noch brenzliger:

„Als Jüdin und als polizeibekannte Kommunistin war ich doppelt gefährdet. Um mir meine Flucht zu ermöglichen, verkauften meine Freunde Fredi Rabofsky und Fritzi Muzyka ihre Habseligkeiten, damit ich eine Bahnkarte nach Köln kaufen konnte. (…) Beide wurden wegen Hochverrat zum Tode verurteilt und 1944 im Wiener Landesgericht geköpft. Sie hatten Flugblätter gegen den Krieg verteilt.“

Über Köln und Aachen floh sie nach Belgien, wo ihre Arbeit bei der jüdischen Widerstandsgruppe Österreichische Freiheitsfront (ÖFF) begann, zu der auch der österreichische Schriftsteller Jean Améry gehört hatte. Die ÖFF war Teil der belgischen Resistance und setzte mit ihrer Zeitung alles daran, unter Soldaten zu agitieren. Viele der Widerstandskämpfer_innen kamen ins KZ, nur wenige von ihnen überlebten die Torturen.

Widerstand in Auschwitz

Die darauffolgenden Jahre überlebte sie nur dank einer Mischung aus Glück und eisernem Durchhaltevermögen. 1943 wurde sie von einem Soldaten verraten und ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Dort ging der Widerstand weiter. Sie war in der Kampfgruppe Union Kommando aktiv, die versuchte, eines der Krematorien zu sprengen und dafür passenderweise zur Arbeit in einer Munitionsfabrik eingeteilt. Die Frauen versuchten weiterhin Informationen über politische Ereignisse aufzutreiben, z.B. über Radios aus den Zimmern von SS-Chefs, und den solidarischen Geist aufrechtzuerhalten. „Wir wollten nicht wehrlos sterben. Da wir bei einem besonderen Kommando arbeiteten, sammelten wir unter ständiger Lebensgefahr allerhand Werkzeuge und Sprengpulver. Vor allem hatten wir es auf Isolierzangen abgesehen, um später die Drahthindernisse leichter beseitigen zu können. Auch Benzinflaschen organisierten wir. Diese Sachen unbemerkt ins Lager zu bringen war nicht leicht. Wurde jemand erwischt, war es sein sicherer Tod.“

Innenhof der Dossin-Kaserne zur Zeit des Sammellagers
© JMDV – Fonds Kummer

Letzteres war auch der Fall: Viele der Beteiligten wurden ausgeforscht und hingerichtet.Im Lager überstand Brainin drei Selektionen. Ein Trick war, sich mit Ziegelstaub die Wangen rot einzufärben, um gesünder auszusehen. 1945 überlebte sie einen Todesmarsch. Sie kam ins KZ Ravensbrück, aus dem sie Ende April mit einer Freundin fliehen konnte. Ihnen gelang es, sich im Wald zu verstecken, bis sie von der Sowjet-Armee befreit wurden. „Sie wollten uns mit Brot und Wodka bewirten, aber wir wussten nach dem jahrelangen Hungern wäre so eine Kost für uns verhängnisvoll gewesen.“

Folgen des Krieges

Diese Zeit ging natürlich nicht spurlos an Brainin vorüber. Ihr Vater wurde in Buchenwald ermordet. Die Geschwister kamen noch mit dem Leben davon, doch die Mutter hatte kein Glück. Nach der Flucht nach Belgien wurde sie in ein Sammellager gebracht und von dort in Viehwaggons gepfercht nach Auschwitz transportiert: ihr Todesurteil.

Brainin litt sehr unter diesem Verlust, ebenso an den Traumata durch die Gestapoverhöre und der Zeit in den KZs. Doch für sie war das kein Grund aufzugeben. In Wien, wo sie ihren Mann Hugo Brainin kennenlernte, arbeitete sie als Sekretärin in der Redaktion der Volkstimme. 1947 trugen ihre Aussagen als Zeugin im Ravensbrück-Prozess aus, zur Verurteilung und Hinrichtung einer der Aufseherinnen bei. Zusammen mit ihrem Mann war sie als Zeitzeugin tätig, war Mitglied im Bundesverband österreichischer Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus, Gründungsmitglied der Lagergemeinschaft Ravensbrück und zeitweise im Vorstand der österreichischen Lagergemeinschaft Auschwitz.

• 1935: erste Festnahme
• 1938: Flucht nach Belgien, Widerstand im ÖFF
• 1943: Haft im Sammellager Dossin-Kaserne im belgischen Mechelen, Deportation nach Auschwitz, Aktivitäten im lagerinternen Widerstand
• 1945: Haft im KZ Ravensbrück, Flucht im April
• 1968: Bruch mit der KPÖ
• 12. 11. 2020: Ein Festakt anlässlich ihres 100. Geburtstags wurde abgehalten, es gab eine virtuelle Ausstellung über ihr Leben. Ihre Nichte, die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, sprach eine Grußbotschaft.