Ludwig Laher: Bitter

Wallstein Verlag, 237 Seiten. 19 Euro, ISBN 978-3-8353-1387-3
27. Dezember 2016 |

Es ist eines dieser Bücher über die NS-Zeit, die in einem die kalte Wut aufsteigen lassen. Ludwig Laher zeichnet in „Bitter“ in kühlen oft zynischen Formulierungen die Geschichte eines der „österreichischen“ Massenmörder, vom illegalen NSDAP-Mitglied (und natürlich Burschenschafter) in Wien bis zum hochrangigen Gestapomann und SS-Offizier in der Ukraine und in Italien nach.

Nie gesühnte Schuld

Bitter (dessen Name der Autor geändert hat) treiben sein persönlicher Ehrgeiz und feste ideologische (deutschnationale) Überzeugung, von der er sich übrigens später nie distanzieren musste, die Karriereleiter des Massenmordes hinauf. Nach seiner bestialischen Lebensgeschichte folgt der Teil, in dem Bitter an seiner „Rehabilitation“ arbeitet. Mit dreisten Lügen und Verfälschungen schafft es Bitter, nicht nur der tausendfach verdienten Todesstrafe zu entgehen, sondern sogar eine neue Karriere im Nachkriegsösterreich zu starten.

Die österreichischen Gerichte interessieren sich kaum für die Gräueltaten und belangen ihn nur wegen der illegalen NSDAP-Mitgliedschaft. Die westlichen Allierten ignorieren die zahlreichen Berichte, etwa die massenhafte Anwendung der „Vergasungsautos“, in die die Todgeweihten oft zusammen mit Leichen geworfen wurden; die Prozessberichte der Sowjets über das Wüten Bitters in der Ostukraine (die zu der Zeit auch in Wien als Buch in deutscher Sprache erhältlich waren); die Beweise, dass Bitter in Italien noch knapp vor Kriegsende die letzten Juden in die Vernichtungslager deportieren ließ.

Nie stattgefundene Entnazifizierung

Laher interpretiert das auffällige Wegsehen so: „Mit Schlamperei lässt sich das nicht ausreichend erklären, vielmehr hat der … neue Krieg tatsächlich schon begonnen und zwar als kalter. Lästiger Schnee von Gestern ist in diesem Szenario das Wühlen in verrotteten Leichenbergen auf dem Territorium des stalinistischen Sowjetimperiums.“

Es dreht einem den Magen um, wenn man liest, wie die Opfer, die Bitter einst auch aus persönlichen Gründen und um sich zu bereichern, denunziert hatte, vor den Gerichten des neu erstandenen Österreich kein Recht bekommen. Nicht der Arzt, den Bitter in die Psychiatrie einweisen ließ um seinen Posten einem Freund zuzuschanzen, nicht die Frau, der er wegen eines Nachbarschaftsstreits seine Gestapo-Schergen auf den Hals hetzte.

Andreas Pittler: Das Totenschiff

Andreas Pittler: Das Totenschiff

Beim Lesen des akribisch recherchierten Buches wird eines klar: Bitter ist ein deformierter, mieser Charakter, schon lange bevor er unglaubliche Verbrechen begeht. Deutschnationale und später Nazis scheinen eine besondere Anziehungskraft auf kriminelle Persönlichkeiten gehabt zu haben, machten aber aus kleinen Querulanten und bösartigen Antisemiten mächtige Männer im Staat. Bitter steht stellvertretend für die vielen, die sich am Holocaust schuldig gemacht haben, um nach dem Krieg einfach als „anständige Österreicher“ weiterzumachen.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.