Muslima erzählt: „Das Auto hat Gas gegeben und mich um einen Millimeter verpasst“

Canan, eine junge Muslimin, schreibt in ihrem Leserinnenbrief von ihren alltäglichen Erfahrungen mit antimuslimischen Rassismus. „Heute gehe ich nur noch in Begleitung abends raus und sonst nur bei Tageslicht. Hätte ich bei einigen dieser Beschimpfungen zurückgeredet, hätte ich ziemlich sicher Schläge kassiert. Es waren immer Männer.“
17. Juni 2018 |

Ich bin eigentlich eher die Art von Mensch, dem keine schlechten Sachen passieren (dachte ich – bis 2016). Denn meiner Mutter und meiner Schwester sind hin und wieder Rassisten begegnet und haben sie beschimpft. Mir passierte das nie. Ich war glücklich und zufrieden, hab mich sicher gefühlt.

Sommer 2016 habe ich mit meiner Freundin Diana Pokemon gespielt. Wir waren viel draußen. Einmal sind wir mit ihrem Auto gefahren und Diana ist in eine Einbahnstraße verkehrt eingebogen, zufälligerweise war genau vor uns ein Polizeiauto. Sie haben meiner Freundin angeboten, sie wieder rauszufahren. Ein Radfahrer hat das mitgekriegt und einem Polizisten einreden wollen, dass sie noch genauer kontrollieren sollen, weil ich im Auto sitze mit Kopftuch und gefährlich bin usw. Der Polizist hats nicht weiter beachtet und hat uns beim rausfahren geholfen. Aber wir waren baff, dass der Radfahrer überhaupt so denkt. Mittlerweile, 2018, wundert mich nichts mehr.

Als wir eines Tages bei der Antonskirche eine Pokemon-Arena fanden und dort „duelliert“ haben (wir sind beide am Boden gehockt), kam ein älterer Mann auf uns zu und sprach mit Diana auf Englisch und sagte total aufgeregt: „She is sitting here and making her toilet to our church! She is a terrorist!“ Obwohl wir uns beide niedergehockt haben, ist er davon ausgegangen, dass ich seine Kirche beschmutzen will.

Ich konnte einfach nichts zurücksagen, ich war zutiefst beleidigt und erniedrigt. Diana hatte sowas noch nie erlebt und konnte auch nichts sagen, weil sie schockiert war. Dieser Mann hat uns dann hinterm Busch noch eine Stunde beobachtet, bis wir gegangen sind.

Eines Tages spazierte ich mit meiner Schwester am Reumannplatz und genau an der Ecke kurz vor der Station Reumannplatz (da fahren die Autos langsam und biegen auf die Quellenstraße ab) ist ein Auto normal gefahren, war noch weit weg und wir wollten die Straße überqueren (ist erlaubt). Das Auto hat Gas gegeben und mich um einen Millimeter verpasst. Ich hatte große Angst, war verwundert und wollte mir nicht schon wieder denken, dass es Rassismus ist.

Da kamen dann zwei ältere Männer auf uns zu und haben uns gesagt, dass wir aufpassen sollen. Sie haben den Mann gesehen, wie er uns angesehen und dann extra Gas gegeben haben soll. Das war eigentlich nur die Bestätigung von dem, was ich gefühlt habe, aber nicht wahrhaben wollte.

Ich bin Kindergärtnerin, arbeitete in Simmering in einem Kindergarten. Bei jedem, einfach jedem Ausflug wurde ich entweder direkt beschimpft oder die Leute haben in den Verkehrsmitteln LAUT Sachen gesagt wie „den Kopftuchterroristen gebens jetzt auch Kinder! Scheiß Ausländer!! Terroristen!“ …. ausnahmslos jedes Mal. Ich erinnere mich an keinen Ausflug ohne Beschimpfungen oder abwertende Kommentare.

An einem Sommertag wurde ich während eines Spaziergangs mindestens viermal beim vorbeigehen beschimpft: „Scheiß Mohammed“, „Geh ham, du Terrorist“ und solche Aussagen, an die ich mich gar nicht mehr genau erinnern kann. Ich konnte es einfach nicht fassen und war so deprimiert, dass ich aufgehört habe rauszugehen. Und wenn, war mein Mann dabei.

Heute gehe ich nur noch in Begleitung abends raus und sonst nur bei Tageslicht. Hätte ich bei einigen dieser Beschimpfungen zurückgeredet, hätte ich ziemlich sicher Schläge kassiert. Es waren immer Männer.

Meiner Schwester wurde auf den Kopf gespuckt von einem Mann (aus dem Fenster) dann ging sie sofort in ein Geschäft rein das gleich in der Nähe war und kaufte sich dort ein Kopftuch. Die Mitarbeiterin hat ihr erzählt, dass dieser Mann das bei vielen Frauen mit Kopftuch macht.

Wie ich letztes Jahr schwanger war und bei meiner Tochter beim Organscreening etwas anders war im Kopf, wurde ich in Wien in ein Spital geschickt zu einem bekannten Arzt, der super Ultraschallbilder macht. An dem Tag, wo er mir die Diagnose nannte und meinte, sie wird schwerstbehindert und wird nichts können, wir sollten sie abtreiben lassen, habe ich gesagt: „Aber das ist doch Mord, das wollen wir nicht.“ Sein Gesichtsausdruck hat sich plötzlich geändert, er wurde rot und stinksauer und sagte wortwörtlich:„ ES IST MORD, WENN MAN EIN BABY ABTREIBT, ABER WENN EINER SICH UNTER 20 STELLT UND EINE BOMBE HOCHGEHEN LÄSST ISTS KEIN MORD IN EURER RELIGION!? NUR WEIL EUER ALLAH DAS SO SAGT!“

In diesem Schockzustand hab ich ihm gesagt: „Doch, das ist Mord und nicht Allah sagt das und nicht der Islam! Diese Menschen sind Terroristen und haben nichts mit dem Islam zu tun!“ Daraufhin er nur: „Jaja, ich weiß“, lieb lächelnd. Ich lag während dem Ganzen vor ihm mit freiem Bauch und hatte gerade erst erfahren, dass meine Tochter kaum Gehirn hat.

Dann gibt es noch Leute, die es gar nicht böse meinen und durch die Medien starke Vorurteile haben. Wir waren letzte Woche mit meiner Tochter im Krankenhaus, vier Tage lang. Wir haben ein Zimmer mit einer Kärntner Mama und ihrem Sohn geteilt. Abends hat sie mir immer viele Fragen gestellt, weil sie vorher noch nie die Gelegenheit hatte, eine Frau mit Kopftuch näher kennenzulernen. Wir haben uns stundenlang unterhalten. Und es war verblüffend für mich, dass es wirklich diese Klischees gibt und erleichternd für sie, dass wir auch normale Menschen sind.

Sie hat mir gesagt, dass sich ihr ganzes Bild von Muslimen und Frauen mit Kopftuch durch die Gespräche geändert hat und sie mit ganz anderen Gedanken ins Zimmer kam und jetzt völlig anders denkt. Sie hat leider wirklich geglaubt, dass wir Sklaven unserer Männer sind, die alles bestimmen und geschlagen werden, dass das Kopftuch uns aufgezwungen wird und wir zwangsverheiratet werden.

Das sind nur einige Ereignisse, denn das meiste verdränge ich einfach. Ich kenne einige denen viel Schlimmeres passiert ist, aber da wurde auch schon angezeigt usw. und die sind schwer betroffen und wollen nicht drüber reden.

Canan

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