Nach Übergriffen in Köln: Sexismus ist keine Importware!

Die sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht in Köln lösten in den letzten Wochen berechtigte Empörung aus. Doch es ist nicht nur eine Debatte über sexuelle Gewalt gegen Frauen und Sexismus entbrannt. Die Ereignisse werden für eine rassistische Hetze gegen Flüchtlinge und Muslime instrumentalisiert, die weit ins linke Lager reicht.
15. Februar 2016 |

Was genau passierte, ist noch immer unklar. Es ist aber davon auszugehen, dass in Köln und anderen Städten, wie Wien und Salzburg, sexuelle Übergriffe stattgefunden haben. Laut Kölner Polizei sind bisher 553 Strafanzeigen eingegangen, wovon ca. 45% Sexualdelikte sind. Bisher wurden 33 Tatverdächtige ausgeforscht, unter ihnen seien neun Algerier, acht Marokkaner, vier Syrer, fünf Iraner, ein Iraker, ein Serbe, ein Amerikaner und drei Deutsche.

Dass unter den Tatverdächtigen viele Nordafrikaner sind, nahmen Rechte zum Anlass, sich als Retter der Frauen aufzuspielen. Neonazis demonstrierten unter dem Banner „Pegida schützt“ in Köln und verabredeten sich im Internet um „Jagd auf Ausländer“ zu machen. Ob die drei deutschen Tatverdächtigen Frauen als „Freiwild“ sehen, fragt niemand.

Auch der Bericht einer amerikanischen Studentin, die am Kölner Bahnhof attackiert wurde, und der syrische Flüchtlinge geholfen haben, erhielt wenig Aufmerksamkeit. Sie erzählte der New York Times wie die Syrer einen Schutzring um sie bildeten, sie durch die Menge geleiteten, ihr Geld für ein Taxi anboten und bei ihr blieben, bis sie ihren Freund wieder fand.

Westlicher Sexismus

Dass sich steigende Flüchtlingszahlen in Deutschland nicht auf die Sexualdelikt-Statistik niedergeschlagen haben ist mittlerweile mehrfach gezeigt worden. An der rassistischen Hetze ändert das aber nichts. Und die Politik reagierte mit „Verhaltenstipps“ für Frauen: Die Kölner Oberbürgermeisterin Reker empfiehlt Frauen eine Armlänge Distanz zu halten. Der Wiener Polizeipräsident Pürstl rät Frauen nachts nur mehr in Begleitung unterwegs zu sein.

Einmal mehr wird Frauen die Schuld an sexueller Gewalt gegeben, denn hätten sie ein bisschen Abstand gehalten oder keinen kurzen Rock getragen, wäre das alles nicht passiert. Wir müssen also nicht erst nach Marokko, Ägypten oder Saudi Arabien blicken, um zu sehen, dass sexuelle Gewalt nicht ernst genommen wird. Wir sehen wie salonfähig Sexismus auch bei uns ist.

Häusliche Gewalt ist in Österreich die Hauptursache für Tod oder Gesundheitsschädigung bei Frauen zwischen 16 und 44 Jahren.

Blicken wir den oft verschwiegenen Tatsachen zu sexueller Gewalt ins Auge. Über ein Drittel der Österreicherinnen wurde schon Opfer sexueller Belästigung. Häusliche Gewalt ist in Österreich die Hauptursache für Tod oder Gesundheitsschädigung bei Frauen zwischen 16 und 44 Jahren.

Doch Frauen leisten Widerstand. Unentwegt. Nicht nur bei uns. Nicht nur in Ägypten organisieren Frauen Kampagnen gegen sexuelle Gewalt, Protestzüge, oder Initiativen wie Anti-Sexual Harassment oder Shayfeencom („Wir sehen euch“). Auch Männer unterstützen sie tatkräftig. Der junge Ägypter Fathi Farid gründete aus Wut gegen die Angriffe auf Frauen in Kairo die Gruppe Shoft Ta7rosh („Ich habe sexuelle Belästigung gesehen“), und verteilt Infozettel zu sexueller Gewalt.

Rassismus

Der aktuelle Diskurs über „frauenfeindliche Flüchtlinge“ ist sehr gefährlich. Er entledigt sich nicht nur der Fakten und schürt Rassismus, sondern macht vor allem die Arbeit gegen sexuelle Übergriffe, Sexismus und Frauenunterdrückung unsichtbar. Die Arbeit der mutigen Aktivistinnen in Ägypten und anderen Ländern, und jene von Frauenrechtlerinnen hierzulande wird totgeschwiegen, ihre Forderungen ignoriert.

Es wird suggeriert, wenn wir alle sexistischen Flüchtlinge abschieben, sind wir Vergewaltigungen los. Damit werden gleichsam österreichische Frauen als „wichtiger“ als jene in den Herkunftsländern gesehen. Denn was mit abgeschobenen Tätern passiert, interessiert die Politiker_innen nicht.

Ginge es tatsächlich darum, Frauen zu schützen, sollten wir alle Sexualstraftäter, egal woher sie kommen, bei uns zur Verantwortung ziehen. Statt Sondergesetze und Abschiebungen für Täter mit Migrationshintergrund zu fordern, sollten Sexualstraftaten generell ernst genommen werden – auch jene, der sich flüchtende Frauen ausgesetzt sehen (siehe Kasten).

Köln: Kampf gegen sexuelle Gewalt und gegen Rassismus gehören zusammen

Köln: Kampf gegen sexuelle Gewalt und gegen Rassismus gehören zusammen

Setzen wir uns für Forderungen ein, die Betroffenen helfen: Ausfinanzierung von Frauenhäusern, keine Kürzung sozialstaatlicher Leistungen, sexistische Rollenbilder angreifen, Kritik am Umgang von Polizei und Justiz mit Opfern sexueller Gewalt, sichere und legale Einreisewege zum Schutz (weiblicher) Flüchtlinge. Nutzen wir die Gelegenheit um sexuelle Gewalt an Frauen und Sexismus anzuprangern. Lassen wir es nicht zu, dass rechte, reaktionäre Kräfte mit Unterstützung aus allen Lagern Rassismus schüren.

Missbrauch an flüchtenden Frauen: Vierzig Frauen wurden von Amnesty International (AI) zu ihren Erfahrungen auf der Flucht und in Europas Flüchtlingslagern befragt. Alle Frauen berichten von sexueller Belästigung, Gewalt und Ausbeutung an jeder Station ihrer Reise. Fast alle wurden begrapscht und sexuell genötigt. 

Die Täter sind Schlepper, Sicherheitspersonal oder andere Flüchtlinge. So berichtet eine 22-jährige Irakerin, dass ihr ein uniformierter Sicherheitsbediensteter in einem deutschen Flüchtlingslager Kleidung gegen „Zeit alleine“ angeboten habe. Auch Schlepper bieten schnellere oder kostenlose Überfahrten für sexuelle Gegenleistungen. Deshalb ist es laut AI so wichtig, sichere und legale Einreisewege zu schaffen. 

Doch auch die mangelnde Geschlechtertrennung von Schlafräumen, Duschen und Toiletten stellt eines der Hauptprobleme für die Sicherheit weiblicher Flüchtlinge dar. Die Regierungen Europas sind gefragt die Sicherheit von Frauen ernst zu nehmen!
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.