Rassismus ist eine Kreatur des Kolonialismus
Das leere Versprechen der Freiheit im Kapitalismus steht in krassem Gegensatz zur Ungleichheit zwischen Besitzenden und Besitzlosen. Die Selbstverständlichkeit des Kapitalismus alles zur Ware zu machen – Menschen inklusive – kann nur zu einer grausamen Politik führen. Während sich Europa aus kapitalistischen Interessen Afrika unter den Nagel gerissen hat, und Sklaven als billige Arbeitskräfte geraubt hat, wurde der Kapitalismus damit gleichzeitig der Erfinder von und der Motor zur Verstärkung von rassistischer Ideologie und Politik. Er ist damit schuld am Leid, zu dem Rassismus heute immer noch führt. Rassismus ist, wie wir historisch sehen werden, vor allem eine Form der Unterdrückung und eine Strategie zur Legitimation der Ausbeutung im Kapitalismus. Diese Legitimation entwickelt sich nach und nach zu einer Ideologie, mit der dann Politik gemacht wird. So lassen sich zahlreiche rassistische Konstrukte wie beispielsweise die Islamfeindlichkeit oder die Redefinition von Antisemitismus erklären. Kapitalisten als die herrschende Klasse machen, was sie am besten können: die Arbeiter:innenklasse ausbeuten und in feindliche Lager spalten!
Die liberale Definition von Rassismus
Auf den ersten Blick ist Rassismus lediglich die Identifizierung von Menschen anhand bestimmter Merkmale, welche sie nicht beeinflussen oder ablegen können (weil sie „von Natur aus“ so sind) und die Zuschreibung von Eigenschaften. So argumentiert liberale Rassismusforschung auch einen religiösen Rassismus im Mittelalter: Geralinde Heng erklärt beispielsweise, dass im Mittelalter gezielt Juden (definiert an ihrer ethnokulturellen Identität) als Gemeinschaft definiert wurden, damit sich Feudalherren ihrer Reichtümer bedienen konnten – dazu wurde auch gezielt Gewalt gegen diese „religiös definierte Rasse“ ausgeübt.
Diese Definition lässt allerdings den gesellschaftsorganisatorischen Kontext (die bestehenden Herrschaftsgegebenheiten) außer Acht. In einer Feudalgesellschaft war Ungleichheit durch Stände, Feudalherren und den Adel an der Tagesordnung. In rigiden Klassenherrschaften kommen mit diesen Klassen auch Diskriminierung, Ausbeutung, Pflichten und Privilegien. Das geschah mit zahlreichen Gruppen, angefangen von Juden, die aus religiösen Gründen Geldgeschäften nachgehen konnten, während Christen das nicht durften, bis hin zu Prostituierten, die eigene, andere Rechte und Pflichten hatten. Auch Sündenbockpolitik ist im Mittelalter nichts Neues – Herrscher haben schon im antiken Griechenland und auch davor, ausgedachte Sündenböcke für die Legitimierung ihrer Maßnahmen und Ziele verwendet.
Der Unterschied zwischen dieser Art der Diskriminierung und echtem bzw. modernem Rassismus entsteht mit dem Kapitalismus – die historische Analyse zeigt das sehr gut. Im Kapitalismus verfügt die Klasse der Besitzenden über die Produktionsmittel, während die Besitzlosen darauf angewiesen sind, der Kapitalistenklasse ihre Arbeitskraft zu verkaufen – oder zu verhungern. Dabei bekommen wir aber nicht den ganzen Wert unserer Arbeit ausbezahlt. Ein Teil wandert als Profit in die Tasche des Kapitalisten – deshalb sprechen wir im Kapitalismus von Ausbeutung. Der Prozess der Ausbeutung ruft Widerstand hervor, der durch rassistische – spaltende – Politik im Zaum gehalten werden soll.
Präkolonialismus
Wer die Definition von Rassismus aufmerksam gelesen hat, bemerkt, dass es dabei „nicht einfach nur um Fremdenfeindlichkeit“ geht. Die Angst vor Unbekannten dürfte viel älter sein und auf die Neolithische Revolution zurückgehen (vgl. Chris Harman, A People’s History Of The World, 2017), als es mit der Sesshaftwerdung und der Akkumulation von Ressourcen, um Krisen zu bewältigen, das erste Mal zu gezielten Tötungsdelikten zwischen Menschen gekommen ist. Lange Zeit und in unterschiedlichsten Regionen der Welt hat es aber keinen Unterschied gemacht, wie die andere Person aussah. Berichte aus Griechenland, Indien, Afrika, Südamerika und Forschungsreisen zu „Urvölkern“ zeigen immer wieder, dass beispielsweise Hautfarbe keine soziale Barriere war. Wer das Vertrauen gewinnen konnte, hatte den anfänglichen Antagonismus umgangen und konnte ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft werden. Einige alte Texte erwähnen zwar physiologische Unterschiede von Menschen, zeigen aber eher Interesse anstatt Ablehnung und Geringschätzung dafür und oft (wie Beispiele aus Indien zeigen) waren imaginäre Tiere wichtiger als die Hautfarbe oder der Körperbau der ansässigen Bevölkerung. Auch Dipankar Gupta, Soziologe und ehemaliger Professor an der School of Social Sciences an der Jawaharlal Nehru Universität schreibt:
„Unabhängig davon, woher wir kommen oder in welchem Stadium der wirtschaftlichen Entwicklung wir uns befinden, ist der Glaube, dass unsere Kultur, unsere Bräuche und unsere Sprache allen anderen überlegen sind, in buchstäblich jeder Ecke, jedem Winkel und jeder Rundung der Erde zu finden. Es ist jedoch auch wahr, dass solche kulturellen Unterschiede traditionell nie als Rechtfertigung für Eroberung oder Vorherrschaft benutzt wurden.“
Früher Kolonialismus und Sklaverei
Kolonialismus ist eine dem Kapitalismus eigene, fürchterliche Expansionspraxis. Die Eroberer geben sich das Recht zu unterwerfen, zu töten und zu versklaven, und rechtfertigen das mit der Überlegenheit der eigenen Kultur. Dabei ist überlegene Waffengewalt und Brutalität das einzige Geheimnis ihrer Macht. Ein Unterschied zu anderen Expansionsarten ist dabei die fehlende Integration mit der lokal ansässigen Bevölkerung – meist werden keine Ehen geschlossen, oder andere enge Bündnisse eingegangen. Marxismus definiert Kolonialismus als eine Ausgeburt des Kapitalismus zum Zwecke der ursprünglichen Akkumulation: Land wird unter eigene Kontrolle gebracht, die „Einheimischen“ vertrieben oder versklavt. Die lokal vorhandene Kultur wird dabei größtenteils nur studiert, nicht aber aufgenommen oder in die eigene integriert. Das Zeitalter des Kolonialismus beginnt 1492 mit der „Entdeckung“ Amerikas und der Etablierung der spanischen, portugiesischen, französischen und britischen Kolonien; ein großer Raubzug, der Großbritannien die Entwicklung der Industrie ermöglichte. Frühere Expansionen, wie Übernahmen von fremden Königreichen nach kriegerischen Auseinandersetzungen, wie sie in der Geschichte aller Erdteile zuhauf vorkommen, laufen nach anderen Gesetzmäßigkeiten, zeigen eine weniger strikte Trennung von „Eingeborenen“ und Eroberern, und zählen deshalb auch nicht zum Kolonialismus.
Im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit beginnt das Vereinte Königreich bereits, seine Kolonialisierungsstrategien zu erproben: Irland kommt Ende des 16. Jahrhunderts weitestgehend unter britische Kontrolle. (Die Geschichte zwischen Irland und England/Großbritannien ist recht komplex und wird hier nur sehr verkürzt dargestellt – auch der Status als „Kolonie“ ist umstritten. Es handelt sich aber auf jeden Fall um eine Kolonie-ähnliche Situation.) Hier gibt es schon Beweise, dass Siedler und Missionare auf grausige rassistische Ideen zurückgreifen, indem sie die ansässige Bevölkerung als Menschen niedrigeren Entwicklungsgrades darstellten, und so die britische Herrschaft über „das Volk der Iren“ legitimieren. Die Entwicklung von Rassismus als eine Praxis der Unterwerfung beginnt.
1607 beginnen sich die ersten britischen Kolonien in Nordamerika zu formen. Export- und gewinnorientiert konzentrierten sich die Kolonien zu Beginn auf Handel, und bald danach auf den Anbau von Nahrungsmitteln und Baumwolle, erkannten jedoch schnell, dass es in der „Neuen Welt“ zu wenig Arbeitskräfte gab, um die aufwändige Feldbestellung und Ernte durchzuführen. Die Baumwolle wurde aber keineswegs in den Kolonien so dringend gebraucht. In dieser Geburtsstunde des Kapitalismus benötigte Großbritannien Ressourcen, um die Baumwollproduktion zu industrialisieren. Viele billige Arbeitskräfte wurden gebraucht, um den europäischen Markt mit Textil zu fluten und damit zu dominieren. Nachdem sich die „Indianer“ (in den Südstaaten Nordamerikas) nicht dazu zwingen ließen, auf Plantagen zu arbeiten und in dem Gebiet auch bestens fliehen und sich zurechtfinden konnten, war schnell eine andere Lösung gefunden: vertragliche Leibeigenschaft. Siedlern, unter anderen vielen Iren, wurde die Übersetzung in die Kolonien von Unternehmern bezahlt, vorausgesetzt, sie würden sich für einige Jahre zur Leibeigenschaft verpflichten. Zu Beginn ein vielversprechendes Modell, denn der neu eroberte Westen stand für einen Neuanfang und Freiheit. Die Verhältnisse der Leibeigenen glichen, mit wenigen Ausnahmen, denen von Sklaven. Nachdem ihre Leibeigenschaft jedoch verstrichen war, waren die Siedler frei eigene Unternehmen zu gründen und zur Kolonie beizutragen. Auch einige Afroamerikaner fanden sich so auf einer eigenen Farm mit weißen Leibeigenen, also auf der Seite der herrschenden Klasse wieder, und hatten das Recht zu wählen.
Die Ströme an Siedlern begannen gegen Ende des 17. Jahrhunderts jedoch zurückzugehen – Leibeigene wurden dementsprechend teurer (auch weil sie nach der Leibeigenschaft oft Land bekamen). Der kapitalistische Zwang Profite zu machen und Kosten zu minimieren ließ die Kolonien also auf Sklaven aus afrikanischen Kolonien umsteigen. Damit ergab sich auch ein Dreieck des Profits zwischen Großbritannien, Afrika und den Kolonien der Neuen Welt: Die Kolonien machten Profite durch die billige Sklavenarbeit, Großbritannien konnte Märkte mit Baumwolle und Tabak fluten und Händler machten Profite mit dem Sklavenhandel.
Mehr und mehr breiteten sich auch Unruhen unter der Leibeigenschaft aus – nach Versprechen von Freiheit und Gleichheit begannen die Leibeigenen – gemeinsam mit den Sklaven um Rechte zu kämpfen. Iren, Afroamerikaner, Leibeigene und Sklaven kämpften gemeinsam, sie waren letztendlich in derselben Situation und erkannten das auch. So wurde Jamestown, Virginia, während der Bacon’s Rebellion im Juli 1676 für mehrere Monate durch Rebellen übernommen. Jedoch war diese Freiheit nicht von Dauer. Britische Truppen schafften es Ende Oktober schlussendlich die Kolonie wieder einzunehmen. Man erkannte aber, dass die Masse der Leibeigenen und Sklaven zu groß geworden war, um sie effektiv kontrollieren zu können. Sie setzten auf die bewährte Politik von „Teile und Herrsche“: also begannen die Plantagenbesitzer den weißen Siedlern und Leibeigenen Rechte einzuräumen und stiegen zum Massenimport von „Negroes“ um. Auch das nicht ohne Kalkül: Die irische Bevölkerung war inzwischen stark angewachsen und hätte sich unter dem Banner der versprochenen Freiheit und Gerechtigkeit vereinen können. Importierte schwarze Sklaven aus Afrika, die aus ihren Communitys herausgerissen wurden und aus unterschiedlichen Gegenden kamen, waren dagegen eine zersplitterte Gruppe, die keine Illusionen auf ein besseres Leben haben konnte, nachdem sie in die Sklaverei gezogen wurden.
Hier prallte also das leere Freiheitsversprechen des Kapitalismus auf die grausame Tendenz, alles zur Ware zu machen – auch Menschen. Gemeinsam mit dem wachsenden Bewusstsein, die Gesellschaft in Nationen und Völker einzuteilen, und dem kleinbürgerlichen Herbeisehnen eines Staates der „Freiheit“, entwickelte sich nach und nach der Gedanke der „White Supremacy“, der weißen Vorherrschaft, derzufolge Weiße den Schwarzen kulturell und auch biologisch überlegen seien. Die Grundlage für rassistische Pseudowissenschaften war geboren. Der Gedanke war für die Plantagenbesitzer und die herrschende Klasse doppelt nützlich: Weiße Siedler, auch Leibeigene, bekamen ein Gefühl der Überlegenheit, das sie mit ihren Knechtern verband – dieser Rassismus setzte sich fest und erstickte eine potenzielle Solidarisierung zwischen weißen und farbigen Ausgebeuteten und ist bis heute tief in unserer Gesellschaft verwurzelt. Rassismus wurde mit der Geburtsstunde des Kapitalismus also erstmals gezielt, im großen Stil, die primäre Form der strategischen Unterdrückung der Massen.
Sklaverei in der Antike
„Aber Griechenland und Rom hatten doch Sklaverei“, ist ein gern verwendetes, liberales Argument um nicht dem Kapitalismus die Schuld in die Schuhe zu schieben, das wegen seiner „Beliebtheit“ extra behandelt gehört: Zuallererst beweist das den starken Eurozentrismus unserer Geschichtsschreibung: Auch Sklaverei gab es schon viel früher. Meistens wurden in Kriegssituationen gefangen genommene Menschen versklavt. Auch Frauenraub, mit dem Ziel diese als Sexsklavinnen zu missbrauchen um die eigene Population zu vergrößern, ist oft belegt. Allerdings spielten in diesen Formen der Sklaverei die „Herkunft“ oder „Rasse“ keine Rolle. So verhielt es sich auch im antiken Rom und Griechenland. Beide Gesellschaften stützten sich auf die Arbeit von Sklaven, doch waren Sklaven in keiner von beiden eine homogene Gruppe. Über beide wurden zahlreiche Bücher gefüllt, mit dem Ergebnis, dass Rassismus weder Vorbedingung noch Resultat dieser Sklaverei war. Für diese Gesellschaften waren Sklaven eine Selbstverständlichkeit, die nichts mit Rasse, Aussehen oder Herkunft zu tun hatte. Im Krieg Unterlegene oder Verurteilte wurden versklavt. Das hat mit Rassismus nichts zu tun, weil es durchaus möglich war, schwarz oder ein Gallier und frei zu sein, genauso, wie es möglich war, griechisch und ein Sklave zu sein – der Status war nicht in Stein gemeißelt.
Indien, Südafrika und die Duch East Indies
Etwas zeitversetzt begannen ähnliche Prozesse im Südpazifik, am Kap der Guten Hoffnung und im Britischen Raj auf dem indischen Subkontinent. In Südafrika kolonialisierten ab den 1650er-Jahren „Boers“ aus den Niederlanden die Küste und später das Inland, schon unter dem Banner der religiösen und rassischen Überlegenheit. Sie setzten auf Sklavenarbeit, rekrutiert aus den, von ihrem Land vertriebenen, „Inlanders“ und auf Sklaven aus Indonesien, Indien und Madagaskar. Ihre Reinheitsphantasien und ein Massaker der nachfolgenden britischen Kolonialherren die unter anderem (wieder) auf importierte Sklaven aus Indien setzten, mündeten in der Gründung der „Afrikaner Broederbond“ – dem Nervenzentrum der Apartheid und eine Sympathisantin der NSDAP. Auch im heutigen Indonesien setzten die Niederlande Rassismus gezielt ein und spalteten so die ansässige Bevölkerung.
In Indien griff das Vereinte Königreich zur Rechtfertigung der Unterdrückung, befähigt von vorangegangen Kolonialisierungsexperimenten, schon von Beginn an auf Pseudowissenschaft zurück. Die Gesellschaft in Indien war zum Missfallen der Kolonialherren zu diesem Zeitpunkt recht komplex organisiert. Mithilfe alter, religiöser Texte, die nur einen Bruchteil davon erklärten, wurden alle Mittel in Bewegung gesetzt, um eine Vier-Kasten Gesellschaft am ganzen indischen Subkontinent zu errichten. Unter diesen Kasten standen noch die Dalit, die Unberührbaren. Die britische Krone nahm sich also eines komplexen mittelalterlichen Feudalsystems an, stutzte es für ihre Zwecke zurecht und implementierte so gezielt ein rassistisches Kastensystem.
Rassismus gegenüber einzelnen Religionsgemeinschaften und eine Theorie über eine hellhäutigere Ober-Kaste von Ariern, die Indien vor der Kolonialzeit beherrscht haben soll, spielten dabei eine große Rolle. Eine Theorie, die nie belegt werden, die Gesellschaft aber in unterschiedliche „Farbabstufungen“ trennen konnte. Obwohl sämtliche Versuche, diese Kasten zu definieren und die Bevölkerung darin einzuteilen kläglich gescheitert sind und die Arier-Theorie vollkommen widerlegt werden kann, existiert dieses Kastenwesen und der arisch-rassistische Kontext in Indien bis heute.
„Postkolonialer“ Rassismus
Kolonien, mit all ihren rassistischen Konsequenzen, gibt es auch heute noch. Frankreichs „postkoloniale“ Departements in unterschiedlichsten Teilen der Welt, Inseln, die immer noch unter britischer Kontrolle sind oder die sogenannten „Territorries“ der USA: Puerto Rico, American Samoa, Guam, die Northern Marina Islands und die United States Virgin Islands. Menschen in diesen modernen Kolonien sind bis heute Menschen 2. Klasse, die täglich mit persönlichem und strukturellem Rassismus zu kämpfen haben. Nirgendwo ist das aber so offensichtlich und gut dokumentiert wie im kolonialen Siedlerstaat Israel.
Anti-Palästinensischer Rassismus wird von Israel und seinen Unterstützern ganz gezielt und strategisch dazu verwendet, die illegalen Siedlungen in der Westbank, die grausamen Gewalttaten gegen die ansässige Bevölkerung und den Genozid an den Palästinensern zu legitimieren. Yasmeen Abu-Laban (University of Toronto) und Abigail B. Bakan (University of Alberta) beschreiben diesen Rassismus im Detail: Gezielt werden Nakba-Verharmlosung, Apartheid-Leugnung und Täter-Opfer-Umkehr dazu verwendet, die heterogene Gruppe der Palästinenser rassistisch unter dem Begriff „Terroristen“ zusammenzufassen. Dadurch werden auch Organisationen, die Menschenrechte schützen und Palästina-solidarische Personen und Gruppen zu „Terroristen in Anzügen“, wie ein israelischer Regierungsbericht titelt.
Dieser starke rassistische Kontext, gemeinsam mit der Opferrolle, in die sich der Staat Israel oft flüchtet, ermöglicht die staatlich angeordnete Auslöschung der palästinensischen Identität in der Geschichtsschreibung Israels, und damit Kriegsverbrechen gegen ein entmenschlichtes, „terroristisches“ Volk, das vom eigenen Gebiet vertrieben wurde. Es schürt auch das Überlegenheitsgefühl der Siedler selbst und legitimiert somit Gewalttaten und Völkermord.
Was nun?
„Wir sprechen über das Kastensystem nicht mit Reisenden aus anderen Ländern, sie würden es nicht verstehen“, „Inder sind nicht rassistisch, wir leben in einem multikulturellen Land“, „Die USA sind kein rassistisches Land, wir hatten Obama als Präsidenten“, „Struktureller Rassismus existiert [in den USA] nicht, unsere Verfassung sagt, dass alle gleich sind“, „Ich bin wirklich kein Rassist, aber Migranten […]“, „Moslems lassen sich nicht integrieren, wir sind einfach zu anders“. Diese Gesprächsfetzen, sollten zum Thema „postkolonialer“ Rassismus eigentlich alles sagen. Eigentlich. Geschichten, dass die Bürgerrechtsbewegung oder die Präsidentschaft Obamas in den USA den Rassismus abgeschafft hätten, dass Europa nach dem Zweiten Weltkrieg konsistent gesagt hätte, „Nie wieder“ oder dass Israel nicht rassistisch sein kann, sind alles schlechte Ausreden, um sich dem Problem nicht stellen zu müssen.
Wie die Definition und die Geschichte gezeigt haben, ist Rassismus ein komplexes, wandelbares Phänomen, das aus Kapitalismus heraus entsteht. Auch die Politik hat davon immer noch keinen Abstand genommen. Kickl, beispielsweise, der als gelungene Integration nichts anderes beschreibt als die vollkommene und freiwillige Assimilierung der Geflüchteten, während er darüber herzieht, dass es unter Migrant:innen keine Fachkräfte gibt und „sie“ nicht für ihre Kinder sorgen. Die Klassen der Kapitalisten und der Herrscher haben, wie damals nach Jamestown, die Zeichen der Zeit erkannt und werfen uns dieses Mal sogar multiple Formen von neuem Rassismus hin, den wir aufgreifen sollen, damit wir unsere Frustration mit einem Gefühl der Überlegenheit kaschieren können: „Normalität“ definiert sich danach, nicht in eine der zahlreichen rassistischen Kategorien zu fallen, zu denen ständig mehr dazukommen. „Normalität“ ist, Menschen als „Messermänner“ und „Terroristen“ hinzustellen und sie im großen Stil zu deportieren oder zu töten.
Das Narrativ, Rassismus sei „einfach ein Teil der menschlichen Natur“ und „dass man da eigentlich nichts dagegen tun könne“ ist ein guter Beweis dafür, wie tiefgehend uns dieses toxische Werkzeug des Kapitalismus verändert hat. So stark, dass wir davon ausgehen, Menschen seien dazu verdammt, auf andere herabzublicken, „weil sie, die anderen, von Natur aus so sind“.
Rassismus und alle Auswirkungen davon – Spaltung, Hass und Verbrechen gegen die Menschlichkeit – sind Schandtaten des Kapitalismus. Die Antwort auf Rassismus kann also nicht „da kann man nichts machen“ sein. Systeme, die auf der Ausbeutung von Massen basieren, müssen die Ausgebeuteten spalten, ansonsten würden sie leicht gestürzt. Die Antwort auf Rassismus muss also sein, den Kapitalismus zu stürzen. Die Antwort auf Rassismus beinhaltet politische Positionierung und beinhaltet Solidarität mit Palästina, den Menschen in Syrien und im Libanon und Solidarität mit LGBTIQ+-Personen – alles andere sind Doppelstandards. Der gemeinsame Kampf, das gemeinsame Organisieren und Seite an Seite auf der Straße zu stehen, hat eine Chance uns und unsere Gesellschaft von diesem kolonial-kapitalistischen Fluch zu befreien.