Regierung gestürzt, kann die Linke profitieren?

Natürlich feiern wir den Sturz der Regierung, wie alle linken und fortschrittlichen Kräfte. Diese Demütigung für Sebastian Kurz und kurz zuvor für Strache, Gudenus und Kickl ist eine Wohltat. Aber an den Grundlagen ihres politischen Durchbruchs hat sich wenig geändert.
31. Mai 2019 |

Zuerst einmal Gratulation an die SPÖ, sie hat mit dem Misstrauensantrag den nötigen Mut bewiesen. Nur, es wird unzweifelhaft eine Kursänderung brauchen, wenn die politische Rebellion, die im Land in Gange ist, nicht wieder von den Rechten für ihre Zwecke manipuliert werden soll.

Politisches Niveau

Österreich erlebt gerade die tiefste politische Krise der vergangenen Jahrzehnte. Genauer gesagt ist durch das unvermittelte öffentlich werden der politischen Verkommenheit durch das Ibiza-Video eine schon seit langer Zeit dahin schwelende politische Krise endlich aufgeflammt. Dass ein Würstel wie Sebastian Kurz sich als Erlöser von dieser Krise präsentieren konnte, ist bezeichnend für den spezifisch österreichischen Charakter dieser Krise.

Sebastian Kurz ist halbwegs wachen politischen Beobachtern noch durch seine unfassbar niveaulose „Geilomobil-Tournee“ in Erinnerung, oder durch eine manipulierte Studie über islamische Kindergärten, die zu nichts anderem diente, als mittels Schüren von Vorurteilen politisches Kleingeld zu machen. Eine ganze Liste von verabscheuenswürdigen politischen Manövern seit der Flüchtlingswelle von 2015 ließe sich hier anfügen. Der Punkt, den wir hier machen wollen ist der: so ein Politiker kann wirklich nur dann zum unangefochtenen Spitzenreiter in der Beliebtheitsskala aller Politiker werden, wenn das politische Niveau eines Landes schon völlig unter dem Hund ist.

Nicht nur die Parteien, auch die österreichischen Medien müssen in den letzten Jahren völlig versagt haben, anders ist dieser Aufstieg auf der Basis von Schaumschlägerei nicht zu erklären. Ausländische Kommentatoren können es oft gar nicht fassen, was hierzulande möglich ist. Trotzdem Sebastian Kurz nun der erste Kanzler war, der durch einen Misstrauensantrag gestürzt wurde, ist es mehr als wahrscheinlich, dass er im Herbst wieder die Wahlen gewinnt. Nicht weniger wahrscheinlich wird sich die FPÖ auch wieder erholen können.

Raus aus der Kuschelecke

Warum? Weil die „linke Reichshälfte“ krampfhaft an Zuständen festhalten will, gegen die längst eine massive Rebellion im Gange ist. Die SPÖ und die Gewerkschaften, aber auch die Grünen stehen für Harmoniesüchtigkeit in Zeiten, wo Konfrontation angesagt ist. Die Lohnabhängigen, nennen wir sie ruhig die Arbeiterklasse, hat seit den Siebzigerjahren keine offensiven Kämpfe mehr geführt, sondern nur mehr Rückzugsgefechte gegen Verschlechterungen.

Nicht nur das, sie war dazu verdammt, diese defensiven Kämpfe ohne Zugriff auf ihre stärksten Waffen – Streiks – zu führen. Aber die Zeit des Durchschwindelns sollte vorbei sein. Die schon erwähnte politische Rebellion richtet sich zum Teil gegen diese scheinheilige Harmonie zwischen den zwei großen Lagern, Arbeiter_innen und Kapitalisten. Ohne Arbeiterklassenpolitik, ohne offen geführten Klassenkampf, wird sich die Wut der Arbeiter_innen weiterhin in alle möglichen Richtungen entladen.

Es ist Zeit für die bestimmenden Kräfte der Arbeiterbewegung, die SPÖ und die Gewerkschaften, sich den Angriffen zu stellen. Unverzeihlich war etwa der Verzicht auf Streiks gegen die Einführung des 12-Stunden-Tags. Es gibt ein wirkliches Bedürfnis nach Taten und nach Aktion, etwas, das die Lohnabhängigen gegen ihre wirklichen Feinde vereinen kann. Gäbe es ernsthafte Kämpfe, dann würde das die Situation drastisch verändern.

Passivität fördert Rassismus

Es ist aber nicht nur die ökonomische Seite, auf der die SPÖ etwas ändern muss. In Abwesenheit von Kämpfen von Seiten der Arbeiterbewegung haben ideologische Kämpfe einen sehr hohen Stellenwert in der Politik bekommen. Alle Studien über das Wahlverhalten der Lohnabhängigen zeigen, dass sie zu einem sehr hohen Prozentsatz ihre unmittelbaren Klassenfeinde wählen, ÖVP und FPÖ, weil ihre Verbitterung erfolgreich gegen Einwanderer, gegen Flüchtlinge und die muslimische Bevölkerung gerichtet wurde.

Die FPÖ hat zwar wegen des Ibiza-Videos bei den EU-Wahlen 7 bis 8 Prozentpunkte gegenüber den Prognosen verloren. 17,2 Prozent sind aber immer noch viel zu viel, vor allem weil das dominierende Wahlmotiv „Zuwanderung“ war, sprich Rassismus. Das bedeutet, dass es von linker Seite keinerlei Zugeständnisse gegenüber Rassismus mehr geben darf.

Jedes Zugeständnis in Richtung „man muss die Zuwanderung beschränken“ oder „die Muslime müssen sich besser integrieren“ und ähnliches spielt nur den rassistischen Wahlkämpfen der FPÖ und der ÖVP in die Hände. Diese Zugeständnisse machen es geradezu legitim für Arbeiter_innen, diese Parteien zu wählen, wenn sie in anderen Fragen näher an der Stimmung unter Arbeiter_innen agitieren.

Peinliche EU-Loyalität

Das gilt vor allem für EU-Kritik. Die EU ist zu Recht unter Lohnabhängigen sehr unbeliebt, schließlich ist sie tatsächlich eine Union der Bosse. Die ÖVP unter Sebastian Kurz und die FPÖ haben überhaupt keine Skrupel, die EU anzugreifen, aber die SPÖ (und die Grünen) verdammen EU-Kritik als allerschlimmstes Sakrileg. Man erinnere sich nur daran, was beide Parteien an einer Präsidentschaft von Norbert Hofer so schlimm gefunden hätten. Nicht, dass Hofer ein strammer deutschnationaler Burschenschafter ist, sondern dass er die EU kritisiert, hat am meisten Sorgen bereitet.

Dürfen wir erwarten, dass die SPÖ ihren Kurs ändern wird, zumindest aus der politischen Einsicht heraus, dass sie sonst bei Wahlen chancenlos bleibt? Die Aussichten sind nicht gut, in ganz Europa leiden die sozialdemokratischen Parteien unter denselben Schwächen und überall verlieren sie lieber an Bedeutung, als ihre Funktion als Kampforgane der Arbeiterbewegung wahrzunehmen. Aber unter dem Einfluss von starken Protestbewegungen kann sich hier viel verändern. Als Beispiel sei hier die Klimabewegung genannt, und deren Einfluss, die SPÖ-Führung beim 1. Mai-Aufmarsch Schilder mit Slogans gegen den Klimawandel ausgegeben hat.

Dort wo die radikale Linke stark ist, im Aufbau von antirassistischen und antifaschistischen Bewegungen, dort müssen wir konsequent weiter machen und Rassismus schwächen, wie es uns nur möglich ist. Gleichzeitig müssen wir offen sein für eine möglichst breite Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften. Erstens um stärker zu werden und zweitens um Antirassismus in der Arbeiterbewegung einen höheren Stellenwert zu geben.