Selbstorganisiert für die gute Sache: Flüchtlinge helfen Flüchtlingen!

Im Zuge der Solidaritätsbewegung mit Schutzsuchenden haben sich 2015 Flüchtlinge in Wien selbst organisiert. David Albrich hat den Verein Refugees for Refugees am Gelände des Geriatriezentrums Wienerwald besucht und mit dem Obmann Fahim Baraki über ihre Motivation, anderen Flüchtlingen zu helfen, gesprochen.
15. September 2017 |

Hinter dem Schreibtisch hängen mehrere Bilder, darunter eine Kohlezeichnung. Es zeigt einen Menschen, der von einem Felsvorsprung auf die Hochhäuser einer Stadt herabblickt. Das Werk ist von Fahim Baraki, Obmann des Vereins Refugees for Refugees (R4R), selbst Flüchtling aus Afghanistan. „Das hier oben bin ich, am Mönchsberg in Salzburg“, erzählt er mir. Das Bild sei eine Metapher: „Von oben sieht alles schön aus, wie für alle Flüchtlinge, die nach Europa kommen. Aber wenn du nach unten in die Straßen gehst, du hier ankommst, merkst du, dass dir viele Steine in den Weg gelegt werden.“

Damit meint Fahim die Realität mit den Behörden und dem Leben hier, aber auch zwischenmenschliche Probleme, die notwendigerweise auftauchen, wenn so viele Menschen auf so engem Raum zusammenleben. Die Motivation von R4R – gegründet im Herbst 2015, inmitten der großen Solidaritätsbewegung mit Flüchtlingen – fasst er so zusammen: „Wir wollen die Probleme, mit denen wir hier konfrontiert sind, selbst lösen.“

Gegenseitiger Respekt

Fahim, der bereits in Afghanistan als Wahlmanager viel Erfahrung gesammelt hat, deutet auf die unzähligen Listen, Pläne und Kontaktnummern, die hier im Büro von R4R in Pavillon XII hängen. In drei freistehenden Gebäuden des Geriatriezentrums Wienerwald und Krankrenhauses Hietzing sind hier Flüchtlinge untergebracht.

Omar aus dem Irak ist einer der zwei hauseigenen Friseure bei Refugees For Refugees.

In den umfunktionierten Notquartieren der Pavillons X, XII und XVII finden bis zu 630 Menschen Platz, betrieben werden sie von wieder wohnen. Inspiriert von der Hilfsbereitschaft, begannen sich Flüchtlinge im Oktober 2015 zu organisieren. „Wir haben unterschiedliche Kulturen, aber wir sind alle Menschen, respektieren uns gegenseitig und wollen das Miteinander stärken“, betont Fahim, wenn er über R4R erzählt. Sie organisieren Projekte mit der Stadt Wien, bieten Freizeitaktivitäten, Informationen über Bildungsmöglichkeiten, Sprach- und Universitätskurse an, schreiben eigene Theaterstücke, vermitteln Jobangebote.

Viele Projekte

Etwa 300 Schutzsuchende engagieren sich bei R4R, auch Leute von außerhalb des Areals in Hietzing nehmen an den Aktivitäten teil. Besonders stolz sind sie auf die Organisation ihres eigenen Putz- und Securitydienstes. Während ich mit Fahim das Interview führe, besuchen uns mehrere Flüchtlinge im Büro; Murtaza besteht darauf, dass ich unbedingt davon berichten soll, „wie viel Geld sie den Österreichern gespart haben“, da sie selbst für Sicherheit und Sauberkeit sorgen und keine teuren Firmen bezahlt werden müssen.

In der Werkstatt wurde unter anderem die Tribüne für den Volleyballplatz vor dem Pavillon gezimmert.

 

Im Pavillon gibt es zahlreiche Projekte und Teams, darunter eine eigene Fußballmannschaft. Fahim zeigt mir den Garten, in dem sie selbst Gemüse und Kräuter anpflanzen, und die Freizeitanlage mit Bänken, einen Beachvolleyballplatz, an den sogar zwei kleine Tribünen aus Holz gebaut wurden. „Das hat unser technisches Team selbst gebaut“, erzählt Fahim stolz. Er führt mich in die hauseigene, bestens ausgestattete Werkstatt. Hier wird gesägt, geschraubt, Fahrräder werden repariert. Die Werkzeuge und Maschinen hat eine kleine private Firma gespendet.

Du bist hier willkommen

Direkt neben dem Garten werden wir vom Palästinenser Kaseem in der eigenen, improvisierten Cafeteria „Cafe Salami“ begrüßt – was übersetzt so viel heißt wie „Du bist hier willkommen“. Untergebracht ist die Cafeteria im Vorraum zum ehemaligen Lastenaufzug. R4R haben sogar einen eigenen Frisiersalon. Omar aus dem Irak ist einer der zwei Friseure. Er zeigt mir stolz seine Ausstattung in einem Kellerabteil des Pavillons. Gleich nebenan ist die Schneiderei, hier wird geflickt und genäht.

Der Palästinenser Kaseem bewirtet die Bewohner_innen im „Cafe Salami“ mit frischen Getränken.

Im Vorstand von R4R teilt man sich die Arbeit in Finanzen, Marketing, Pressearbeit, Frauenarbeit und Projektmanagement auf. Die Frauengruppe trifft sich, um den eigenen Zusammenhalt zu fördern. Sie gestalten Schmuck, verzieren kleine Schatullen und Gläser, die sie bei Anlässen (wie bei der Feministischen Tischgesellschaft am 10. Juni auf der Mariahilfer Straße) für Spenden anbieten.

Politisches Engagement

Das Team engagiert sich bewusst auch politisch: R4R beteiligten sich unter anderem an der internationalen Demonstration gegen Rassismus am 18. März und gegen die Abschiebungen nach Afghanistan am 20. Mai, organisierten eigene Demoblöcke, bereiteten Spruchbänder und Plakate vor und mobilisierten mit Flugblättern in anderen Asylunterkünften.

Aktivist_innen von Refugees For Refugees am internationalen Aktionstag gegen Rassismus am 18. März 2017 in Wien. Foto © Refugees For Refugees

 

In Hietzing leben derzeit Menschen aus Afghanistan, aus dem Irak, Iran, auch Leute aus Nigeria, China und Indien sind hier. „Ich frage sie nicht danach, woher sie kommen“, sagt Fahim. „Wir ziehen alle an einem Strang, jeder übernimmt verschiedene Aufgaben hier.“ Eines der nächsten größeren Projekte von R4R: sie wollen Außenstellen im Burgenland, in Salzburg und anderswo aufbauen.

Linke müssen von Rassismus Betroffene und ihre Initiativen unterstützen. Dann kann eines Tages auch Fahims Traum von einer Welt frei von Unterdrückung, Krieg und Ausbeutung, unten in der Stadt, in Erfüllung gehen.

Samstag, 7. Oktober, 14:00 Uhr: Demonstration „Unsere Antwort: Solidarität! Gegen Rassismus, Sexismus und Sozialabbau“. U2 Schottentor, Universität Wien. Es mobilisieren die Plattform für eine menschliche Asylpolitik und die Offensive gegen Rechts. Mehr dazu | Facebook
Freitag, 13. Oktober, 18:00 Uhr: F*CK STRACHE-Demo! #RefugeesWelcome. U2 Schottentor, Universität Wien. Protest gegen die Verharmlosung und gegen jede Zusammenarbeit mit der FPÖ. Mehr dazu | Facebook
Wer Refugees for Refugees unterstützen möchte, kann ihre Facebook-Seite besuchen und spenden:

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