Soziale Arbeit: Kampf ist das Richtige im Falschen

„Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ formulierte der prominente Vertreter der Kritischen Theorie, Theodor W. Adorno, ein heute geflügeltes Wort. Für die Beschäftigten im psycho-sozialen Hilfesystem, die sich gegen Notstandspolitik wehren und ihre Arbeits- und die Lebensbedingungen ihrer Klient_innen nachhaltig verbessern wollen, kann das ein wichtiger Leitsatz sein.
9. Dezember 2022 |

Beschäftigte im breiten Feld der Sozialen Arbeit arbeiten in einem Hamsterrad, in dem sie Probleme bekämpfen, von denen sie wissen, dass sie immer wieder auftreten werden. Sie müssen an die Wirksamkeit ihrer Arbeit glauben, sonst wäre sie sinnlos, gleichzeitig erleben sie, dass die kapitalistische Gesellschaft permanent neue Probleme schürt. Dieser Widerspruch führt oft zu Selbstzweifeln und Resignation. Abgefedert wird diese Sinnkrise durch die Erfahrung, in der persönlichen Beziehung zu den einzelnen Klient_innen wirksam zu sein und Linderung zu verschaffen. Das ist ein legitimer Aspekt Sozialer Arbeit. Sich damit zufrieden zu geben bedeutet jedoch, die gesellschaftlichen Bedingungen als unveränderlich hinzunehmen.

Die Soziale Arbeit sich ihrer Widersprüche bewusst werden und einen eigenen, politischen Auftrag entwickeln, mit dem Ziel die Gesellschaft grundlegend zu verändern.


Eine andere Strategie, mit diesem Widerspruch umzugehen, besteht darin, sich in immer machtvollere Positionen hochzuarbeiten, um innerhalb des Systems größeren Einfluss zu gewinnen. Zwar macht es einen Unterschied, welche politischen Ideen die Sozialpolitik bestimmen und wie Ressourcen verteilt werden, doch bleibt die Soziale Arbeit letztlich den kapitalistischen Zwängen unterworfen. Sie wird darüber nicht die nötige Sprengkraft entfalten, um sich aus dem zerstörerischen Kreislauf zu befreien. Doch ist sie dazu überhaupt in der Lage?

Widerspruch in der Sozialen Arbeit


Schließlich lindert Soziale Arbeit nicht nur die Probleme der Klient_innen, sondern hat seit ihrer Entstehung im Zuge der Industrialisierung bis heute auch den Auftrag, die gesellschaftlich verursachten Schäden auszubessern, Betroffene innerhalb der Gesellschaft wieder funktionsfähig zu machen, Arbeitskraft zu reproduzieren und das bestehende System zu stabilisieren. Sie vermittelt Normen, die den vorherrschenden Ideologien entsprechen, kompensiert strukturelle Benachteiligungen und kaschiert somit auch gesellschaftliche Missstände.


Daraus zu schließen, Soziale Arbeit mache sich schuldig und gehöre abgeschafft, würde heißen, Hilfsbedürftige bewusst verelenden zu lassen und den Kampf für soziale Gerechtigkeit aufzugeben. Stattdessen muss die Soziale Arbeit sich der Widersprüche bewusst werden und einen eigenen, politischen Auftrag entwickeln, mit dem Ziel die Gesellschaft grundlegend zu verändern. Denn innerhalb der „falschen“ Verhältnisse kann es keine „richtige“ Sozialarbeit geben.


Die Werkzeuge dazu hat sie bereits in der Hand. Soziale Arbeit erlebt die Probleme des Systems unmittelbar und ist seine größte Kritikerin. Sie hat Zugang zu den Teilen der Bevölkerung, die am meisten unter dem System leiden, kann ihnen mit einer solidarischen Haltung begegnen und sie in der Emanzipation unterstützen. Im Kampf um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen können Beschäftigte wie Betroffene sich als selbstwirksam erleben und sich selbst organisieren. Ein zentraler Hebel liegt in der Abhängigkeit des Systems von der Ausbeutung der Arbeitskraft und den systemerhaltenden Leistungen der Sozialarbeit.


Klar ist: Die Sozialarbeit kann den Kapitalismus weder alleine stürzen, noch ist es ihre alleinige Verantwortung. Sie sollte ihre Kraft aber auch nicht unterschätzen, sondern sich solidarisch mit anderen Bewegungen, die die herrschenden Verhältnisse infrage stellen, selbstbewusst an der Kampflinie positionieren.