Streiks und Proteste breiten sich aus, während sich das weißrussische Regime an die Macht klammert

Der belarussische Präsident Aleksander Lukaschenko kämpfte am Montag um das Überleben seines Regimes. Massenproteste und vor allem Streiks folgten in der vergangenen Woche auf eine manipulierte Wahl in dem osteuropäischen Land.
20. August 2020 |

Rund 300.000 Menschen verwandelten am Sonntag die Hauptstadt Minsk in ein Meer aus Rot und Weiß, den Farben der Oppositionsflagge. Weitere Zehntausende schlossen sich landesweit den Protesten an, auch in Gebieten, die Lukaschenko zuvor unterstützt hatten. Am nächsten Morgen herrschte in Minsk ein Gedränge aus Demonstranten und streikenden Arbeiter_innen.

Lukaschenko bereitete sich auf ein „Treffen mit dem Volk“ bei der Schwerlastwagenfirma MZKT in Minsk vor. Zu den Arbeiter_innen sagte er: „Wir haben Wahlen abgehalten, und solange ihr mich nicht umbringt, wird es keine weiteren Wahlen geben“. Kaum war er fertig, riefen die Arbeiter_innen: „Hau ab!“ Seine Autorität schmolz dahin. Die Szenen erinnerten an den Sturz des rumänischen Diktators Nicolae Ceausescu im Jahr 1989.

Medienmitarbeiter der staatlichen Nachrichtensender STV und ONT sowie des Radiosenders BT stellten am Montag ihre Arbeit ein. Eine riesige Kundgebung fand vor dem ONT-Gebäude in der Vulica Kamunistyčnaja (Kommunistische Straße) statt.

Etwa 130 Mitarbeiter_innen des wissenschaftlichen Forschungsunternehmens Belenergosetprojekt legten die Arbeit nieder und gingen zu der Kundgebung. Sie hatten Anfang der Woche ihre Forderungen an die Unternehmensleitung gestellt.

Es gibt Berichte über Arbeitsniederlegungen von außerhalb der Hauptstadt in den Kaliumbergwerken von Belaruskali. Und am Morgen versammelten sich die Arbeiter_innen der Raffinerie Navapolatsk, eines der wichtigsten Unternehmen des Regimes. In der Zwischenzeit marschierten die Arbeiter_innen von einem Unternehmen zum anderen, um sich gegenseitig zu unterstützen, darunter das Kozlov-Elektrotechnikwerk, das MZKT, das MAZ-Autowerk, das MTZ-Traktorenwerk. Die Arbeiter_innen marschierten durch die Abteilungen des Belaz-Industriefahrzeugunternehmens, um die Menschen zur Unterstützung der Proteste zu bewegen. In einem Video aus dem BMZ-Stahlwerk in Zlobin im Südosten von Belarus sind Arbeiter_innen zu sehen, die sich vor dem Werk versammelten. Und die Belegschaft der Kraftwerke in Minsk verweigerten aus Solidarität die Arbeit im Minsker Heizkraftwerk. 

Aufgerüstet

In der vergangenen Woche sind Beschäftigte mehrerer Unternehmen aus Protest gegen die Polizeigewalt und die Wahlmanipulation aktiv geworden. Einige Beschäftigte legten die Arbeit nieder, andere protestierten in den Mittagspausen oder konfrontierten öffentlich die Unternehmensleitung mit ihren Forderungen.

In Minsk verließen am vergangenen Donnerstag Eisenbahner, Theaterarbeiter_innen des Janka-Kupala-Theaters und Beschäftigte des Pharmakonzerns Belmedpreparaty ihre Arbeit. In Brest und Baranovici, im Westen von Belarus, protestierten Ärzte mit den Worten: „Wir wollen Frieden in unserem Land“. Und Arbeiter_innen des Gasgerätetechniker-Unternehmens Hephaestus versammelten sich während ihrer Mittagspause in der Stadt und riefen „Hau ab“.

In Grodno schlugen die Beschäftigten der Textilfirma Conte zu. Die Beschäftigten der Grodno-Azot-Petrochemie, eines der größten Unternehmen des Regimes, gingen auf die Straße, und wurden von den Einheimischen als Helden begrüßt. In der vergangenen Woche zeigte eine Arbeitsniederlegung im Traktorenwerk, wie das Regime an Glaubwürdigkeit verliert.

Am vergangenen Dienstag verließen rund 70 Ingenieure und Techniker aus verschiedenen Abteilungen die Hallen und versammelten sich. Ein vom Regime ernannter „Stellvertretender Direktor für ideologische Angelegenheiten“ des Unternehmens kam am Mittag heraus und versuchte, sie wieder in die Arbeit zu zwingen. Dies scheiterte, weil, wie Nexta Live berichtete, „niemand mehr Ideologen glaubt“.

Lukaschenko behauptet den Sieg über die liberale Herausforderin Sviatlana Tichanowskaja mit 81 Prozent der Stimmen im Vergleich zu nur 11 Prozent errungen zu haben. Tichanowskaja war am Dienstag nach Litauen geflohen. Sie hat in einer neuen Erklärung erklärt, dass sie eine Interimsführerin sein könnte.

Verschiedene westliche Führer geben sich als Unterstützer des Freiheitskampfes in Belarus aus und prangern heuchlerisch die Polizeigewalt an. Der französische Präsident Emmanuel Macron forderte die Europäische Union auf, die belarussischen Demonstranten zu unterstützen. Seine Polizeikräfte gingen äußerst brutal gegen die Bewegung der Gelbwesten vor.

Eine echte Alternative zu Lukaschenkos Autoritarismus ist nicht mehr freier Marktkapitalismus.

Er liegt auf den Straßen und bei den Arbeiter_innen, die für Demokratie, soziale Gerechtigkeit und eine Gesellschaft kämpfen, in der sie das Sagen haben.

Der Artikel ist zuerst in der britischen Zeitung Socialist Worker erschienen. Übersetzung aus dem Englischen von Manfred Ecker 
Tomáš Tengely-Evans hält uns am 27. August um 19 Uhr im Amerlinghaus einen Vortrag zu den aktuellen Entwicklungen in Weißrussland.https://www.facebook.com/events/332932307892412