Trauer und politisches Kalkül nach der Messerattacke in Villach
Der ÖVP-Innenminister kündigte bei der Pressekonferenz in Kärnten „Massenüberprüfungen“ an, weil der Täter vor seiner Tat nicht auffällig gewesen sei. Sinn ergibt dies keinen, aber Karner nannte als Zielgruppen für „anlasslose Kontrollen“ vor allem „Asylberechtigte mit syrischem und afghanischem Hintergrund“. Dass der Einzeltäter mutig von einem aus Syrien geflüchteten Essenslieferanten gestoppt wurde, passt nicht so recht ins Bild des Innenministers. Alle Flüchtlinge müssen als gefährlich behandelt werden und der Staatsschutz müsse endlich die „nötigen Möglichkeiten“ bekommen. Der Möchtegern-Volkskanzler Kickl reibt sich die Hände und legt schnell mit Rundum-Schlägen nach. Im politischen Spiel bleibt keine Zeit für Trauer um den Ermordeten und die Sorge um die Verletzen oder gar eine ernsthafte Motivsuche für die schreckliche Tat.
Ähnliche Erfahrungen gibt es auch im Wahlkampf in Deutschland nach Todesopfern bei Anschlägen. Die Täter kommen aus desolaten Verhältnissen, aus (Bürger-)Kriegsgebieten und mit Gewalterfahrungen während der Flucht. Sie sind zudem geprägt von der Hoffnungslosigkeit jemals Anerkennung in der neuen Gesellschaft zu bekommen und haben sich per Internet radikalisiert. Das Buch Die Wütenden von dem Sozialarbeiter Fabian Reicher und der Journalistin Anja Melzer ist allen Leuten zu empfehlen, denen es wirklich darum geht, falsche, reaktionäre Vorstellungen unter Jugendlichen zu bekämpfen. Diese Abwesenheit von jeglicher Perspektive macht sie empfänglich für dschihadistische Propaganda und der Sehnsucht nach einem Ort oder einer Gesellschaft, wo sie auch als traumatisierte Jugendliche wie vollwertige Menschen behandelt und wertgeschätzt werden.
Gewalt und Willkür erzeugen Gewalt und Willkür
Die Erfahrungen haben gezeigt, dass der sogenannte „Krieg gegen Terror“ Gewalt und Terror schürt. Der Islamische Staat (IS) entstand als Produkt des brutalen Irak-Krieges. Terror lässt sich nicht mit noch mehr westlichen Kriegen oder rassistischen Sondergesetzen bekämpfen. Auch der Täter von Villach sympathisierte laut Polizei mit dem IS und stach wahllos auf Menschen ein, auch auf muslimische. Terroristische Strömungen können nur bekämpft werden, wenn ihm der soziale Nährboden entzogen wird. Die islamistischen Anschläge seit den Angriffskriegen in Afghanistan und Irak waren vor allem Ausdruck eines Problems innerhalb der europäischen Gesellschaften, in denen junge Muslime sich ausgegrenzt fühlen. Dieser Rassismus war einer der tragenden Säulen des ÖVP-Erfolgs unter Sebastian Kurz. Er tat, was Politiker wie Orbán oder Trump vorgemacht hatten und verschob die Grenzen des Erträglichen immer weiter nach rechts. Die migrantischen und muslimischen Communities wurden verstärkt abgewertet und ins staatliche Visier genommen.
So bereitete die ÖVP auch den Faschisten mit deren Hetze über „Bevölkerungsaustausch“ und „Remigration“ den Boden auf. Die FPÖ kann ihre antidemokratischen Ideen nun unter viel günstigeren Verhältnissen verbreiten. Aus allen Parteien kommen von Politiker:innen aktuell schrille Abschiebeforderungen, auch aus jenen die sich gerne das Label antirassistisch umhängen. „Unsere Werte“ werden beschworen, während sie eine noch unmenschlichere Asylpolitik fordern. Für die FPÖ ist die Themenverlagerung günstig, weg vom hochrangigen Mitarbeiter des Nationalratspräsidenten Rosenkranz, gegen den offenbar Ermittlungen im Zusammenhang mit der deutschen Neonazi-Gruppe Sächsische Separatisten, Nazi-Devotionalien und Munition laufen.
Die antirassistische Bewegung darf sich keinen Sand in die Augen streuen lassen. Sie muss die geplanten Massenüberwachung ablehnen, sich klar zu den Menschenrechten bekennen und Deportation von straffälligen Flüchtlingen ablehnen. Wir Linke müssen gemeinsam dagegen halten und uns entschlossen an die Seite der Flüchtlinge und muslimischen Bevölkerung stellen. Lassen wir uns nicht spalten. Auch wenn es leider gerade nicht so aussieht, eine friedliche und solidarische Welt ist möglich. Unsere wichtigsten Bündnispartner sind die Angegriffenen, die Krieg und Terror ablehnen und sich für die Überwindung von Vorurteilen engagieren. Kein Fußbreit!