Ute Bock: „Leitkultur, das ist uns übriggeblieben aus dem Dritten Reich“

Ute Bock ist am 19. Jänner 2018 in Wien verstorben. Linkswende jetzt veröffentlicht erneut ein Interview von damaligen Aktivist_innen mit der großartigen Menschenrechtsaktivistin aus dem Herbst 2005. Sie spricht über die Anfänge ihrer Arbeit in der Flüchtlingshilfe, über Rassismus, und sie lässt es sich nicht nehmen, den Wiener Wahlkampf zu kommentieren. Am 2. Februar wird Ute Bock im Rahmen eines Lichtermeeres am Wiener Heldenplatz verabschiedet.
31. Januar 2018 |

Wieso hast du angefangen, im Asylbereich zu arbeiten? 

Ute Bock: Das geht zurück auf meinen Beruf, ich war Erzieherin und 33 Jahre lang Heimleiterin in einem Jugendwohnheim, und habe dort in den letzten Jahren mit Ausländern zu tun gehabt. Das waren Leute mit Visum, Kinder von Gastarbeitern und später sind eben auch Asylwerber dort untergebracht worden. Dadurch bin ich mit dieser Problematik konfrontiert worden.

Ende 1997/98 haben wir die ersten Afrikaner gehabt. Sie durften dort nur sehr beschränkt wohnen und haben eigentlich fast keine Rechte gehabt, das heißt die Rechte von diesen Fremden sind eigentlich immer mehr eingeengt worden. Und dann wurde mir nahegelegt, ich solle die Afrikaner entlassen. Das war eben wahnsinnig schwierig, und seither bin ich aufmüpfig. Ich habe dann versucht, ihnen irgendwie zu helfen und sie irgendwo unterzubringen. Es ist mir nicht geglückt, also ich habe sie trotzdem in der Zollergasse schlafen lassen. Wir haben in den Zimmern zwei oder drei Afrikaner einquartiert, obwohl dort nur einer vorgesehen war. Es war fürchterlich.

Die Gemeinde Wien war damit nicht zufrieden. Also ist im September 1999 eine Razzia veranstaltet worden, bei der eigentlich alle Afrikaner verhaftet worden sind: Verdacht auf Drogendealen. Es wurde gesagt, bei uns im Haus hätte es drei Drogenringe gegeben, von denen alle Mitglieder verhaftet worden wären – aber nur Afrikaner! Die haben zum Beispiel in ein Zimmer hineingeschaut, in dem ein weißer, österreichischer „Giftler“ geschlafen hat und alles voller Spritzen war. Die Polizisten haben die Tür gleich wieder zugeworfen. Es ging ihnen eben nur um die Afrikaner.

Und meiner Meinung nach haben sie gar nicht so sehr nach Drogen gesucht. Sie wollten sie einfach nur rauswerfen, das war alles. Ich war damals der Meinung, es sei so wie immer: 60 würden festgenommen, 10 behalten. So war es aber nicht. Ich dachte, die Verhafteten würden bald wiederkommen. Also habe ich Unterkünfte gesucht und die ersten Wohnungen angemietet. Zunächst vom evangelischen Flüchtlingsdienst, der mir drei zur Verfügung stellte, und dann hat mir ein Privatmann zwei Eigentumswohnungen kostenlos angeboten. Vor meiner Tür sind jeden Tag mehr obdachlose Afrikaner gestanden, und ich habe sie eben in diesen Wohnungen untergebracht. So hat alles begonnen.

Wie viele Leute betreust du jetzt ungefähr? 

Wir haben uns inzwischen um eine Beratungsstelle mit vier Vollzeitmitgliedern beworben, mittlerweile sind es nur noch drei, weil eingespart wird. Aber sie werden von der Stadt Wien bezahlt, es ist also eine offizielle Beratungsstelle. Wir haben jetzt also Bezirke, für die wir zuständig sind. Und es ist genauso gekommen, wie ich es mir gedacht habe. Ich habe also jetzt diese 1.000, die zuvor schon da waren, und nun sind noch 1.000 dazugekommen. Dann haben wir jeden Samstag Rechtsberatung, mit drei Juristinnen. Die kümmern sich um Berufungen und solche Dinge, und dann kommen auch noch Ehrenamtliche, die am Abend nach der Arbeit auch noch Berufungen und anfallende Sachen schreiben, und das funktioniert eigentlich sehr gut. Das ist auch das wichtigste – dass die Asylsuchenden ihre Verfahren verfolgen können.

Welche legalen Jobs gibt es für deine Klient_innen, wenn sie überhaupt irgendetwas arbeiten dürfen? 

Es gibt für Asylwerber die Möglichkeit, als Saisonarbeiter zu arbeiten. Ich habe mich natürlich erkundigt, weil ich ja immer so etwas suche. Da sagte eine Angestellte vom Arbeitsamt zu mir: Machen Sie das nicht, das ist reine Sklavenarbeit. Die Arbeit ist im Marchfeld und die Erntehelfer kriegen 3 Euro pro Stunde. Sie müssen täglich 15 Stunden in der prallen Sonne arbeiten. Da wäre noch eine grauslichere Geschichte: Ein großes österreichisches Möbelhaus baut in Rumänien eine Filiale. Es holt sich Leute von dort hierher, die in Österreich angeblich ausbildet werden, damit diese dort ordentlich leiten. Die Leute schlafen hier in einem ehemaligen Lager vom Möbelhaus, schleppen Tag und Nacht Möbel, lernen nichts und kriegen fast nichts bezahlt. Wer sagt, ich höre auf, muss dann eine Pönale zahlen.

Zum neuen Asylgesetz, spürst du schon Auswirkungen davon? 

Ja, es wird schon damit gedroht. Mir wurde schon am Telefon gesagt, im nächsten Jahr würde ich eingesperrt (lacht). Ab nächstem Jahr ist das, was ich mache, strafbar.

Rechnest du damit, dass du selber oder Leute, die mit dir arbeiten, dann rechtliche Schwierigkeiten kriegen? 

Die Frau Innenministerin Prokop hat gesagt, solange ich nicht provoziere, wird sie mir nichts tun. Das hat sie aber nicht mir gesagt, sondern es ist in einer Zeitung gestanden. Da wurde sie dann gefragt, ob sie mit mir Probleme habe.

Stichwort Prokop – sie musste ja beim Kopftuchverbot einen Rückzieher machen. Merkst du, ob nach dem Bombenattentat in London auch in Wien die Feindlichkeit gegenüber Muslim_innen viel schlimmer geworden ist, vor allem gegenüber Kopftuchträgerinnen? 

Also, das fällt mir ja schon lange auf. Das Wort Kopftuchweiber, ja, das ist grauenhaft. Aber ich muss dazu sagen – die vielen jungen Mädchen mit den Kopftüchern, ja, das ist schon auch ein Zeichen des Protests. Ich kann mich noch erinnern, wie die Gastarbeiter gekommen sind. Das waren ja auch Türkinnen und Jugoslawinnen – viele Musliminnen, kaum eine hat ein Kopftuch getragen. Aber jetzt ist das eben die Folge dieser Entwicklungen und des ewigen Anfeindens.

Ich habe etwas erlebt, was ich überall erzähle, weil das für mich eigentlich ein Schlüsselerlebnis ist: Ich war am Sozialamt und habe dort eine türkische Frau gesehen, die kein Wort deutsch gesprochen hat. Ihr etwa acht- oder neunjähriger Sohn hat übersetzt. Die Sozialarbeiterin hat ständig gesagt: Sagst ihr …. sag ihr … und wenn sie das nicht macht, dann… und in welchem Ton! So kann es passieren, dass der Junge seine Mutter verachtet, weil sie sich das gefallen lässt.

Im Wiener Wahlkampf ist von der „europäischen Leitkultur“ geredet worden. Was sagst du zu unserer Leitkultur? 

Ja, das ist uns übriggeblieben aus dem Dritten Reich.

Auch die Medien haben oft geschrieben, Muslim_innen in Österreich stellten eine Parallelgesellschaft dar – als wären da womöglich potentielle Bombenattentäter. 

Was für ein Blödsinn. Eine Parallelgesellschaft werden wir nur haben, wenn wir ständig ausgrenzen, das ist klar. Wenn Muslime überall abgelehnt werden, dann werden sie sich zusammenschließen und unter sich bleiben. Dann wird es parallel. Das ist klar, oder? Aber das ist unsere Schuld, bitte.