Warnstreiks in der Sozialwirtschaft: „Es geht um den politischen Zugang“

Am 15. und 16. Februar führen die Gewerkschaften GPA-djp und vida österreichweite Warnstreiks in der Sozialwirtschaft durch. Linkswende jetzt hat im Vorfeld mit Axel Magnus, Betriebsrat in der Sucht- und Drogenkoordination Wien (SDW), über den Arbeitskampf, Rassismus und die Bewegung gegen Schwarz-Blau gesprochen.
14. Februar 2018 |

Linkswende jetzt: Die ÖVP/FPÖ-Regierung will den 12-Stunden-Arbeitstag umsetzen. Wie reagieren die Belegschaften auf diesen Vorstoß? Ist das für einige überraschend gekommen oder war das absehbar?

Axel Magnus: Ich persönlich bin überhaupt nicht verwundert, dass diese Regierung auf eine vollkommene Deregulierung der Arbeitszeit setzt. Alleine schon, wenn wir uns ansehen, welche Großspender_innen die ÖVP im Wahlkampf hatte, war klar, dass diese Regierung zu einem Frontalangriff auf die Rechte der Arbeiter_innenklasse im Interesse des Kapitals blasen wird.

Bei uns im Betrieb sehen die Kolleg_innen das relativ gelassen. Wir haben eine Betriebsvereinbarung, die 12-Stunden-Tage nicht zulässt und daran wird sich auch nichts ändern. Für viele Beschäftigte gerade im Handel, Tourismus und der Industrie ist der 12-Stunden-Tag der pure Wahnsinn. Arbeiten bis zum Umkippen ohne Erholung wird ihre Zukunft sein.

Da müssen auch die Betriebsrät_innen härter werden, die das bis jetzt zugelassen haben. Und wir sollten jene Beschäftigten, die keinen Betriebsrat haben, dabei unterstützen, einen zu gründen, weil ja nach derzeitigem Stand die Ausweitung der Arbeitszeit nur mit Zustimmung des Betriebsrates möglich sein wird – aber eben nur wenn es einen gibt…

Für die rund 100.000 Beschäftigten der Sozialwirtschaft fordern die Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp) und die Gewerkschaft vida dagegen in den Kollektivvertrags-Verhandlungen offensiv eine Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 35 Stunden. Wie kam es dazu?

Viele unserer Kolleg_innen sind an der Grenze ihrer Belastbarkeit. Sie können einfach nicht mehr, da sie heute viel mehr in der gleichen Zeit leisten müssen wie früher. Gleichzeitig haben andere so wenige Stunden, dass sie davon nicht leben können und würden gerne mehr arbeiten. Die gesamtgesellschaftliche Arbeitslosigkeit sinkt kaum. All diese Probleme können mit nur einer Maßnahme gelöst werden: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich!

Dazu muss gesagt werden, dass die 35 Stunden nur ein Zwischenschritt sein können. Unsere offizielle Forderung als GPA-djp lautet 30 Stunden. Und ich persönlich bin der Meinung, dass wir mit der Arbeitszeitverkürzung erst aufhören können, wenn alle Menschen, die arbeiten wollen, das auch können.

Am 15. und 16. Februar führt „deine Gewerkschaft“, die GPA-djp, gemeinsam mit der Gewerkschaft vida österreichweit in Betrieben der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ) Warnstreiks durch. Wie kam es dazu und wie ist die Stimmung unter den Kolleg_innen?

Die SWÖ – also der Verein von Sozialbetrieben, mit dem wir den danach benannten Kollektivvertrag verhandeln – hat bisher unsere Forderungen nicht ernst genommen. So gibt es zur Arbeitszeitverkürzung noch gar kein Angebot, jenes zur korrekten Einstufung der Pflegeberufe ist lächerlich und das Gehaltsangebot unzureichend.

Rund 3.000 Beschäftigte der Sozialwirtschaft demonstrierten am 24. Jänner über die Mariahilferstraße zum Arbeitgeberverband. Foto: Christian Volek

 

Wir haben schon Betriebsversammlungen gemacht, eine Demonstration in Wien, eine österreichweite Betriebsrät_innenkonferenz und Aktionen vor den Betrieben der Verhandler_innen der SWÖ. Wenn all das nicht reicht, gibt es nur mehr die Möglichkeit, mit Warnstreiks zu beginnen und diese Schritt für Schritt auszuweiten, bis es ein akzeptables Angebot gibt. Der Streik ist nichts anders als Selbstverteidigung.

Du hast immer eine klare Haltung pro Flüchtlinge, gegen Rassismus und Sexismus bezogen und wurdest als deklarierter Linker auch zum Betriebsrat gewählt. Liegt das auch daran, dass in der Sozialwirtschaft die Belegschaft ja oft nicht der klassische „weiße Mann“ ist?

Eine schwierige Frage. Gerade Kolleg_innen aus Osteuropa haben oft mehr Angst als in Österreich geborene Menschen und werden seltener Gewerkschaftsmitglied, beteiligen sich seltener an Kampfmaßnahmen. Andererseits leiden Frauen schon immer unter schlechteren Arbeitsbedingungen und wir sind eine Branche, in der überwiegend Frauen arbeiten. Vielen davon reicht es!

Gleichzeitig arbeiten sie nicht im Sozialbereich, um die fette Kohle zu machen, sondern weil sie etwas Positives bewirken wollen. Das trägt schon ein Element von Solidarität in sich, das sich dann positiv auswirkt, wenn es darum geht, sich gegen die Spaltung der Gesellschaft entlang nationaler, sexueller oder anderer Linien zu stellen.

Letztlich geht es meiner Ansicht nach um den politischen Zugang. Wenn du dich als Betriebsrat um alle Anliegen bemühst (auch wenn sie noch so klein sind und selbst, wenn du keinen Erfolg hast), schätzen die Kolleg_innen das. Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren – dieser Zugang ist es, der Kolleg_innen für kämpferische Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit zugänglich macht.

Du bist eine führende Persönlichkeit bei den SozialdemokratInnen und GewerkschafterInnen gegen Notstandspolitik und hast beim Anti-Regierungsprotest am 13. Jänner vor 70.000 Menschen gesprochen. Warum ist es für Gewerkschaften wichtig, Teil dieser Bewegung zu sein?

„Führende Persönlichkeit“ ist ein wenig übertrieben. Wir sind viele. Einige können sich aufgrund ihrer Jobs nicht „outen“, andere stehen nicht gerne in der Öffentlichkeit und ich bin halt schon viele Jahre in den sozialen Bewegungen aktiv – auch schon in der Donnerstagsdemobewegung gegen die erste schwarzblaue Regierung. Das sind die Gründe, warum die Wahl auf mich gefallen ist, derzeit das Gesicht unserer Gruppe nach außen zu sein.

Wenn wir Politik aus der Klassenperspektive betrachten, ist es die Aufgabe dieser Regierung, einen Frontalangriff auf die Arbeiter_innenklasse im Interesse des Kapitals durchzuführen. Welche Organisation hat unsere Klasse, um sich gegen diesen Angriff zu verteidigen? Die Gewerkschaft!

Diese muss den Kampf gegen diesen Angriff auf allen Ebenen führen – von der betrieblichen, über die kollektivvertragliche und sozialpolitische bis hin zur gesamtgesellschaftlichen. Der Protest gegen den erzreaktionären Umbau der Gesellschaft drückt sich oft in sozialen Bewegungen aus. Ich bin mir nicht sicher, ob wir heute schon von einer Bewegung sprechen können; die bisherigen Demonstrationen gegen die Regierung könnten ein Anfang dafür sein. Also werden sich politisch bewusste Gewerkschafter_innen daran beteiligen.

Gleichzeitig müssen wir die Frage stellen, wer die Ressourcen hat – personell und materiell – um eine solche Bewegung zum Erfolg führen zu können. Und das sind derzeit nur die Gewerkschaften. Da muss ich aber schon auch ehrlich sein: Es liegt noch viel Arbeit vor uns, bis „die Gewerkschaft“ und nicht nur wachsende Teile der Basis sich an den nächsten Demonstrationen und sonstigen Protestmaßnahmen beteiligen. Viele Kolleg_innen auf allen Ebenen sind so in ihrem jahrelangen Trott gefangen, dass sie noch Zeit brauchen, um zu verstehen, welch radikalen Einschnitt diese Regierung bedeutet.

Wie können wir uns bestmöglich gegen die neoliberalen Sozialabbauer_innen und rechtsextremen Burschenschafter in der aktuellen Regierung wehren, beziehungsweise wo liegen Perspektiven für die österreichischen Linken?

Erstens müssen wir beginnen, die Dinge beim Namen zu nennen. Was diese Regierung will ist nicht „Veränderung“ oder „Reform“, sondern ein soziales Kettensägenmassaker und Rassismus. Sie will die wenigen gesellschaftlichen Fortschritte der letzten Jahrzehnte wieder auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgen. Eine Kritik an dieser Politik und auch an den rechtsrechten bis faschistischen Ansichten der Burschen geht nicht, ohne das System, das diese hervorbringt, in Frage zu stellen – den Kapitalismus.

Zweitens müssen wir unsere Schrebergärten einreißen. Um diese Regierung zu stoppen, müssen sich von der Gewerkschaftsbewegung über große Teile der Sozialdemokratie und linke Gruppen auch antirassistischen und antifaschistischen Initiativen usw. usf. auf ein Packel hauen, gemeinsam für eine Gesellschaft ohne Spaltungen eintreten und so die herrschende Solidaritätskrise beenden. Dazu müssen wir nicht alle einer Meinung sein, sondern uns nur auf gemeinsame Aktionen verständigen, die die Regierung von Mal zu Mal härter treffen. Wer das nicht verstehen will, hilft nur den Herrschenden.

Auf Facebook haben wir eine Zusammenstellung von Bildern der fantastischen Warnstreiks am 15. und 16. Februar erstellt.
Das Interview führte Karin Wilflingseder, selbst Betriebsrätin und Vorsitzende der Themenplattform der Elementar, Hort- und FreizeitpädagogInnen in der Gewerkschaft GPA-djp.