Was bedeutet der Sturz von Assads blutigem Regime? Interview mit einem syrischen Sozialisten

Der syrische Sozialist Ghayath Naisse erklärte Arthur Townend, dass der Sturz von Baschar al-Assad Möglichkeiten für eine Rückkehr des Kampfes von unten eröffnet. Ein Artikel von Arthur Townend im Socialist Worker, übersetzt von Echo Vinasha Lex.
8. Dezember 2024 |

Nach Jahrzehnten blutiger und repressiver Diktatur in Syrien ist das Assad-Regime gestürzt. Baschar al-Assad, der das Land seit dem Tod seines Vaters im Jahr 2000 regiert hat, floh Sonntagmorgen aus der Hauptstadt Damaskus.

Freude und Angst

Hayat Tahrir al-Sham (HTS), eine bewaffnete islamistische Gruppe, startete vor zehn Tagen eine Blitzoffensive gegen das Assad-Regime. Nach der Erstürmung der Stadt Aleppo im Norden setzte HTS seinen Vormarsch in Richtung Süden nach Damaskus fort.

Das hat den langen Bürgerkrieg erneut aufflammen lassen. Der Volksaufstand wurde 2011 von Assad in Blut ertränkt, und rivalisierende Großmächte intervenierten in dem Land.

Der syrische Sozialist Ghayath Naisse erklärte gegenüber Socialist Worker, dass Assads Sturz „ein großer Moment in der Geschichte Syriens“ ist. „Es gibt viele Chancen und viele Gefahren“, erklärte er. „Es ist eine große Freude, dieses Ereignis nach all der Zeit und all dem Kampf zu sehen.“

„Es herrscht Freude, weil es dieses Assad-Regime – diese autoritäre, blutige Diktatur – nicht mehr gibt. Aber neben dieser Freude haben wir auch einige Sorgen, weil der Akteur der Veränderung nicht der ist, den wir uns wünschen. Es gibt so viel Angst wegen HTS und dem, was es darstellt.“

Der „Akteur der Veränderung“ – die von Abu Mohammad al-Jolani angeführte HTS-Gruppe – stürzte Assad mit türkischer Unterstützung. Assad stürzte nicht durch Massenmobilisierungen der Bevölkerung.

Das türkische Regime von Recep Erdogan unterstützte die Offensive der HTS, um das Assad-Regime zu schwächen und mehr regionalen Einfluss zu gewinnen. Das geschah sowohl aus wirtschaftlichen Interessen als auch, um die Kurden in Syrien und der Türkei, die ihre Rechte einfordern, weiter angreifen zu können.

Aber HTS hat das Assad-Regime mit schockierender Kraft gestürzt und die Schwäche von Assads Herrschaft offengelegt. Ghayath betont, wie wichtig es ist, den Kontext zu verstehen – und warum das Assad-Regime so schnell gestürzt wurde.

Geschwindigkeit des Sturzes

Er sagte: „Erstens sind alle in Syrien nach Jahren des Bürgerkriegs sehr erschöpft, auch das Regime. Die Situation ist sehr schlecht – die Wirtschaft wird von Jahr zu Jahr schlechter und das Regime kann den Menschen nicht einmal das Nötigste bieten. Deshalb hatte Assad keine wirkliche soziale Basis in Syrien.“

„Zweitens sind die Hauptmächte, die Assad unterstützen – Russland und der Iran – geschwächt“. Er erklärte, dass „Russland aufgrund seines Engagements in der Ukraine Assad nicht mehr so helfen kann“ wie 2015, als es intervenierte, um das Regime zu retten.

„Dem Iran geht es auch nicht so gut“, fügte er hinzu. „Die Kriege im Gazastreifen und im Libanon hat den iranischen Einfluss in der Region enorm geschwächt. Heute sehen wir also, wie die Regionalmächte das Assad-Regime fallen lassen, weil sie nicht helfen können.“

Der Bürgerkrieg hat dazu geführt, dass rivalisierende imperialistische und regionale Mächte in Syrien intervenierten, darunter die Vereinigten Staaten, Russland, der Iran und die Türkei.

Ghayath, der Syrien zuvor als Schmelztiegel imperialistischer Rivalitäten bezeichnet hatte, argumentierte, dass die Spannungen zwischen den verschiedenen Mächten zunehmen würden. „Der Sturz des Regimes hat viele Konsequenzen auf geopolitischer Ebene“, erklärte er.

„Israel, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Russland werden verlangen, dass sie in das ein Übergangsprogramm einbezogen werden. Das ist nicht das, was die Menschen in Syrien brauchen, und viele werden sich dem widersetzen, was HTS tun wird und welche Vereinbarungen es treffen wird.“

Kämpfe von unten

Es wird argumentiert, dass HTS das Erbe der syrischen Revolution von 2011 fortsetzt. Die Wut über Jahre der Armut und Diktatur entlud sich 2011 in Massenprotesten, und im März 2011 kämpften riesige Kräfte gegen die staatliche Unterdrückung.

Doch als Reaktion darauf begann Assad einen brutalen, sektiererischen Bürgerkrieg, und ertränkte die Revolution in Blut. Sein Krieg sollte Massenaufstände unmöglich machen. Rivalisierende Großmächte nutzten dies als Vorwand, um einzugreifen.

Ghayath sagte, dass HTS nicht die Volksrevolution fortsetzt: „HTS hat keine soziale Basis in Syrien“, erklärte er. „Sie rekrutieren aus den Verzweifeltsten, sind aber keine Volksorganisation.“

Ghayath argumentierte jedoch, dass der Sturz Assads für die einfachen Syrer die Möglichkeit biete, Kämpfe von unten zu organisieren. „Wir sind gegen HTS, aber dennoch öffnet es die Türen für soziale und politische Kämpfe – und das ist der wichtigste Aspekt“, sagte er.

„HTS sind nicht die einzigen Herren über das Schicksal Syriens. Die Menschen können jetzt in dieser Zeit mobilisieren. Der Sturz des Assad-Regimes hat dem syrischen Volk neue Horizonte eröffnet, um erneut zu kämpfen und sich gegen die Wiederkehr eines weiteren autoritären Regimes zu wehren.“

Es ist die Möglichkeit solcher Kämpfe von unten „für demokratische Ziele und die Erfüllung der politischen und sozialen Bedürfnisse der Menschen“, die in Syrien Hoffnung bieten.

OriginalArtikel
https://socialistworker.co.uk/international/what-does-the-fall-of-assad-regime-mean-interview-with-syrian-socialist/