Wenn Krise zur Normalität wird
Im dritten Quartal 2015 „wuchs“ die Wirtschaft der Eurozone bloß um 0,3%; nur eines von vielen Anzeichen, dass die Krise noch lange nicht überstanden ist. Die aktuelle wirtschaftliche „Erholung“ verdient eigentlich diesen Namen nicht: Die Wirtschaftsleistung bleibt weit hinter dem zurück, was von Vor-Krisen-Trends erwartet wurde. In der Eurozone lag sie im zweiten Quartal noch hinter dem Niveau von vor der Krise zurück. Es wird davon ausgegangen, dass die potentielle Produktion dieses Jahr um 8,4% unter dem liegt, was vor der Krise prognostiziert wurde. Um das Ausmaß des Schadens durch die Krise zu verstehen: Das ist ungefähr so als würde die deutsche Wirtschaft vom Erdboden verschwinden.
Die OECD revidierte ihre Prognose des weltweiten Wirtschaftswachstums auf 2,9% für 2015 und 3,3% für 2016 – von vormals 3% bzw. 3,6%. Grund dafür dürfte auch die Verlangsamung des Wirtschaftswachstum in den USA sein, das im dritten Quartal 2015 von 3,9% auf 1,5% zurückging. Catherine Mann, OECD-Chefökonomin, sagte: „Die bisher im Jahr 2015 beobachteten Wachstumsraten wurden in der Vergangenheit mit globaler Rezession in Zusammenhang gebracht.“ Tatsächlich! Sogar die Schwellenländer sind nun betroffen: Trotz ihres großen Angebots an Niedriglohn-Arbeit verlangsamt sich das Wirtschaftswachstum dort ebenfalls.
Die Gründe
Chinas starkes Wachstum nach 2008/9 verlieh Schwellenländern, die China mit Lebensmitteln und Rohmaterialen beliefern, Auftrieb. Doch der chinesische Kapitalismus unterliegt derselben Logik wie der westliche. Die produktiven Kapazitäten wurden schneller ausgebaut als Märkte die Waren absorbieren konnten. Diese Investitionen werden nun zurückgeschraubt, so dass chinesische Importe und Exporte im Oktober fielen. Das hat einen Domino-Effekt auf die Zuliefer-Wirtschaften, wie Brasilien: Aufgrund des Nachfrage-Ausfalls Chinas fallen die Preise für Eisen und andere Rohstoffe, was wiederum die Profite der transnationalen Konzerne, die in diesen Ländern Minen betreiben, unter Druck bringt.
All das veranschaulicht abermals das, der Krise zugrunde liegende, Problem: Die Profitraten sind zu niedrig, weshalb die Konzerne nicht gewillt sind zu investieren. „Die Verlangsamung des Welthandels und die andauernde Schwäche der Investitionen sind sehr besorgniserregend“, so OECD-Generalsekretär Angel Gurría.
Niedrige Investitionen
Niedrige produktive Investitionen und niedriges Produktivitätswachstum – das kennzeichnet die USA seit der Krise: Das Investitionswachstum in den USA verlangsamte sich auf 2,1% – von 4,1% im Vorquartal. Investitionen in neue Anlagen sanken sogar um 4%. Die Industrieproduktion fiel im September zum achten Mal in den vergangenen neun Monaten. Globale Kapitalinvestitionen waren im ersten Halbjahr flach, mit einem Rückgang von 2,3% in „capex“ (Ausgaben der Unternehmen für neue Ausstattung, Büros, etc.), so die US-amerikanische Investmentbank JP Morgan.
In den USA wurden weit weniger Arbeitsplätze geschaffen als vor einem Jahr. In den letzten Monaten wurden 187.000 Jobs geschaffen, 2014 waren es durchschnittlich noch 260.000 pro Monat. Ähnliches trifft auf Österreich zu und erklärt die hohe Arbeitslosigkeit.
„Was ist, wenn die krisenartigen Zustände anhalten… für Jahrzehnte?“
Auf der Suche nach Profiten wird, anstatt Investitionen (in neue Arbeitsplätze) zu tätigen, Druck auf Arbeiter_innen ausgeübt, noch mehr für weniger Geld zu arbeiten, und die Ausbeutung von Arbeit erhöht. Die Propaganda um eine Senkung der Lohnnebenkosten ist ein gutes Beispiel dafür.
Die nächste Krise
Anfang Oktober berechnete der Internationale Währungsfonds (IWF) dass sich das Risiko einer Rezession in den meisten Industriestaaten und Lateinamerika, erhöht hatte. IWF-Chefökonom Maurice Obstfeld bemerkte, dass eine vollständige Erholung noch nicht erreicht sei und „sechs Jahre nach … der Rezession bleibt eine Rückkehr zu … globaler Expansion schwer erreichbar“.
Die Weltwirtschaft kriecht dahin, aber die Zinssätze sind so niedrig wie noch nie zuvor und die Aktienmärkte sind überbewertet, d.h. die Kurse sind höher als die zugrunde liegenden Werte. Eine brenzlige Situation: Eine Erhöhung der Kosten für Kredite oder eine Senkung der Profitabilität würden das Dahinkriechen der Wirtschaft in einen Crash verwandeln.
Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman fragte kürzlich: „Was ist, wenn die Welt in der wir die letzten fünf Jahre lebten, die neue Normalität ist? Was ist, wenn die krisenartigen Zustände anhalten, nicht für weitere ein, zwei Jahre, sondern für Jahrzehnte?“ Diese Frage macht eines klar: Mehr Staatsausgaben, um die Privatwirtschaft zu stimulieren, werden nicht ausreichen. Wir müssen die kapitalistische Produktionsweise durch geplante Investition und Produktion ersetzen, die endlich nach den Bedürfnissen der Menschen und nicht der Märkte ausgerichtet sind. Ansonsten können wir Krise nach Krise erwarten – mit grauenhaften Folgen für die Mehrheit der Menschen.