Interview aus Gaza

Akram Marwan Abu Raida berichtet über die entsetzlichen Bedingungen, unter denen die Menschen im Bombenhagel der israelischen Armee leben, über Solidarität und Verrat der internationalen Gemeinschaft und die schleichende Normalisierung des Horrors.
19. Dezember 2023 |

Vor dem Hintergrund dieses Krieges, wie fühlt sich das tägliche Leben an, für dich und deine Gemeinschaft? Welche Emotionen und Herausforderungen sind in dieser Zeit bestimmend?

Das tägliche Leben in Gaza ist schwierig. Es beginnt schon beim Aufwachen. Wenn man trotz der Schwere der Bombenangriffe überhaupt geschlafen hat. Man steht auf und wartet zunächst einmal stundenlang in der Schlange vor der Toilette. Dann fängt man an Essen oder Milch für die Kinder zuzubereiten, um das zu tun, macht man ein Feuer auf Holz. Das heißt, wenn es Essen gibt. Wenn nicht, muss man sich in die Warteschlange für die Hilfe der Vereinten Nationen stellen. Für große Familien fällt diese Hilfe sehr gering aus, das bedeutet, dass sie nicht ausreicht, um die Leute zu sättigen. Dann stellst du dich an, um Wasser zu holen, oder fängst an, Blätter und Feuerholz für das Mittagessen zu sammeln. All das passiert, während in deiner Nähe Häuser und Personen bombardiert werden … neben den Geräuschen der Krankenwägen und den Leichen, aber das ist das Leben und es geht weiter, wir sind daran gewöhnt. Wenn einem etwas wichtiges fehlt, muss man mit den ältesten Fortbewegungsmitteln, dem Pferd oder Esel, losfahren, um es zu holen. Aufgrund des Mangels an Erdöl dauert es Stunden, bis man dort ankommt, wo man hinmöchte. Wer etwas kaufen möchte, muss aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit ein Vielfaches des eigentlichen Preises bezahlen.

Wenn du die internationale Reaktion beobachtest, was hältst du von den Maßnahmen (oder dem Fehlen solcher) der globalen Institutionen, die sich mit diesem Völkermord befassen und die darauf reagieren? Denkt ihr, dass die Welt zuhört, oder hat man das Gefühl, in diesen Zeiten im Stich gelassen zu werden?

Wir hören von internationalen Forderungen, die nicht ausreichen, um die Aggression gegen uns zu stoppen, und wir hören, dass sie Hilfe senden, aber davon sehen wir nichts. Israel kontrolliert, was hineinkommt oder nicht. Das macht die internationale Gemeinschaft nur zu einem Instrument für Gespräche und immer weitere Gespräche, ohne dass je etwas umgesetzt wird.

Welche Forderungen habt ihr an die internationale Gemeinschaft, sowohl an die Zivilgesellschaft als auch an die globalen Institutionen? Was brauchen die Menschen in Gaza jetzt?

Die internationale Gemeinschaft muss zunächst einen ernsthaften Waffenstillstand herbeiführen und dann Lebensmittel herbringen. Die Menschen in Gaza brauchen Lebensmittel, ich wiederhole mich, wir sitzen hier tagelang ohne Essen. Die Situation ist katastrophal.

Wie würdest du die politische Landschaft in Gaza beschreiben? Gibt es viele verschiedene Meinungen oder ist Gaza geeint, durch diese schreckliche Erfahrung des Krieges?

Ich denke, dass die Menschen in Gaza stärker vereint sind und zusammenstehen. Ich sage nicht 100 Prozent, aber ein guter Prozentsatz.

Wie nimmst du die Handlungen der Hamas wahr, insbesondere seit ihrer Aktion am 7. Oktober? Kannst du dich noch an deine Gedanken und Gefühle erinnern, als die Soldaten durch den Zaun schnitten? Und hat sich etwas an deiner Haltung verändert in den letzten zwei Monaten?

Ich möchte nicht auf der Seite der Menschen stehen, die die Tötung unschuldiger Zivilisten unterstützen, aber ich erinnere daran, dass die Führer der Hamas und des Gazastreifens immer sagten, dass sie die Belagerung aufheben und Siedlerangriffe auf der ganzen Welt stoppen würden. Ohne Erfolg. Ich glaube, dass das eine Verteidigung von Rechten ist, und diese Haltung wird sich nicht ändern.

Ein großer Teil der globalen Medienberichterstattung folgt orientalistischen Narrativen oder ist offen rassistisch, insbesondere wenn es um das Thema „Terrorismus” geht. Was würdest du anderen Ländern über die Menschen in Gaza gerne sagen?

Ich weiß nicht, ob meine Worte diese Länder berühren, aber sie müssen der Wahrheit folgen, mit dieser Doppelmoral aufhören und Gaza in seiner wahren Form betrachten. Es ist ein besetztes Land. Die Geschichte ist klar, der Täter, das heißt, der Verbrecher ist klar, und die Unterdrückten sind klar. Sie müssen Palästina genauso betrachten wie die Ukraine.

Welche persönlichen Geschichten kannst du erzählen, über Resilienz und Humanität im Krieg?

Ich glaube, dass hier alle gleich sind. Menschen aus verschiedenen Regionen schlafen gemeinsam in einem Zelt, verteilen Lebensmittel untereinander und versuchen, Hilfe an diejenigen zu bringen, die sie nicht kaufen können. Es gibt Menschen, die ihre Häuser für Vertriebene öffnen.

Bleiben wir beim Persönlichen, welche Herausforderungen begegnen dir im täglichen Leben und wie beeinflussen sie dein Leben in der Gemeinschaft?

Ich persönlich versuche, täglich nach Nahrungsmitteln zu suchen, weil diese knapp sind, und Milch für meine Kinder zu besorgen. Was die Gesellschaft betrifft, versuche ich, so gut es geht Spenden von Freunden außerhalb des Gazastreifens zu erhalten und jene mit Nahrungsmitteln zu versorgen, die es sich nicht leisten können. Leider nur für einen kleinen Bruchteil, der Personen, die es brauchen.

Erlebt ihr, dass es von außerhalb Gazas Solidarität mit euch gibt und wie wichtig ist diese für euren Kampf- und Überlebensgeist?

Persönlich erfahre ich viel Solidarität, weil ich Freunde habe. Ich habe seit Jahren Freunde, sie fragen immer nach mir und bieten mir Hilfe an. Ich danke ihnen allen, aber ich bin nur einer von 2 Millionen Menschen.

Zuletzt: kannst du ein Beispiel nennen, wo die palästinensische Gemeinschaft besonders viel Stärke gezeigt hat? Wie unterstützen sich die Menschen gegenseitig in Krisenzeiten?

Meistens versuchen die Menschen allein, im engsten Kreis der Familie irgendwie zurechtzukommen, aber wenn in der Nähe ein Bombenanschlag oder ein Brand passiert, gehen die Menschen Risiken ein und ziehen sofort los, um die Verwundeten zu retten und Personen aus den Trümmern hervorzuholen. Sie transportieren sie dann in ihren privaten Autos und Fahrzeugen ab. Manchmal haben die Menschen in Chan Yunis Essen gekocht und vertriebene Menschen aus Gaza mit Wasser empfangen, aber jetzt ist ganz Gaza in der gleichen Situation.

Willst du noch etwas ergänzen?

Ich hoffe, dass die Welt und die Weltführer aufhören, die Menschen zu täuschen und dass sie endlich die Fakten erzählen, weil sie die Fakten kennen. Die Lösung der Palästina-Frage wird viele Probleme in der Welt lösen, da wette ich darauf. Wenn man den Menschen ihre Rechte gibt, wird die Situation friedlicher, weltoffener und ein Austausch zwischen den Kulturen wird möglich.

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