Wie Corona-Verschwörungstheorien von Rechtsextremen als Werkzeug genutzt werden
Ja, die jetzige Pandemie muss tatsächlich ernst genommen werden. Das heißt aber nicht, dass jeder, der Maßnahmen wie das Einschränken des Demonstrationsrechts oder des Rechts auf Asyl kritisiert, ein „Lebensgefährder“ ist. Menschen, die schon vor der Coronakrise in einer prekären Situation waren, fühlen sich von der Regierung allein gelassen. Dieses Gefühl der Unsicherheit wird von rechtsextremen Gruppen ausgenutzt, indem sie die Leute zu sich auf ihre Seite holen, mit Hilfe von rassistischen und antisemitischen Verschwörungstheorien Panik stiften, die Bevölkerung spalten und teils sogar zu Gewalttaten aufrufen.
In rechten Social Media-Kanälen aus den USA mit bis zu tausenden Mitgliedern werden Chines_innen und Asiat_innen für die Verbreitung des Virus verantwortlich gemacht. Mal wird der Coronavirus als Teil einer jüdischen Verschwörung bezeichnet, die Weiße dazu bringen soll, sich zu Hause einzuschließen, während die Regierung ihnen ihre Rechte nimmt. Mal ist er eine Biowaffe, aus der Profit geschlagen werden soll.
In Internetforen wie 8chan, auf denen unter anderem der Christchurch-Attentäter Brendon Tarrant sein Nazimanifest veröffentlicht hat, hetzen User, dass der Virus zwar aus einem chinesischen Labor stammen soll, die Übeltäter in Wirklichkeit aber Jüd_innen seien: „Die Kikes (antisemitische Beschimpfung) gebührt dafür die Ehre. Es waren die Kikes. Es sind immer die Kikes.“ Rechtsextreme aus den USA fühlen sich in ihrem Glauben bestätigt, dass die Gesellschaft vor dem Zusammenbruch stehe und dass die Regierung die Kontrolle über die Krise verliere.
Damit schließen sie direkt an die Naziverschwörungstheorie der jüdischen Weltverschwörung an, in der „die Juden“ als geheime Macht im Hintergrund agieren, die die Fäden in der Hand hält und Politiker oder sogar ganze Regierungen kontrolliert. Rechtsextreme selbst wollen die chaotische Situation für sich nutzen und mehr Menschen radikalisieren. Auch zu Anschlägen könnte es kommen. Im Bundestaat Missouri konnte noch ein Bombenanschlag eines Neonazis auf ein Krankenhaus, in dem Corona-Patient_innen behandelt werden, verhindert werden. Er soll auch Attentate auf Schwarze, eine Moschee und eine Synagoge geplant haben.
Der „Große Austausch“
Auch in Europa ist sowas denkbar, wie in der Reichsbürger-Szene, die sich auf einen „Tag X“ vorbereiten, einem Umsturz des Systems. Der Attentäter von Halle, der eine Synagoge stürmen wollte, wurde ebenfalls von Verschwörungstheorien motiviert. Ungarische Medien, wie das inoffizielle Regierungsblatt Magyar Nemzet stilisieren den jüdischen Milliardär George Soros zum Sündenbock in ihrer rassistischen und antisemitischen Verschwörungstheorie vom „Großen Austausch.“. Laut dieser soll er eine große Zahl an Migrant_innen und Flüchtlingen nach Europa lenken, um die dort lebende, „ursprüngliche“ Bevölkerung zu ersetzen.
Nun kommt der Aspekt der Coronakrise hinzu, es wird Soros vorgeworfen, durch Einwanderung Corona in Ungarn zu verbreiten. Magyar Nemzet titelt dazu: „Soros´ Leute untergraben die Seuchenmaßnahmen der Regierung“. Der Frontmann der faschistischen „Identitären“ Martin Sellner hetzt auf YouTube gegen den „Multikulturalismus“, Migrant_innen und Muslim_innen. Er faselt panisch, dass Diversität dafür sorgt, dass Gesellschaften in Krisensituationen nicht zusammenhalten und im schlimmsten Fall ein Bürgerkrieg droht.
Dass migrantische Menschen aus Pariser Vororten sich kaum an Ausgangsbeschränkungen halten können, da sie oft auf engen Raum zusammenleben und wegen fehlender finanzieller Absicherung weiter arbeiten gehen müssen, nutzt Sellner, um Vorurteile gegen sie zu schüren. Im FPÖ-Blatt Neue Freie Zeitung vom 12. März 2020 werden Leserbriefe abgedruckt, in denen von der „Corona-Hysterie“ als strategisches Ablenkungsmanöver gegen das Thema Flüchtlinge oder als Mittel zum Einleiten einer Wirtschaftskrise gesprochen wird. Man darf Rechtsextremen keine Chance geben, die Unsicherheit von Menschen während der Coronakrise auszunutzen, um zu hetzen und ihre politischen Strategien zu verfolgen.