Wie Ölkonzerne die Klimabewegung mit einer CO2-Steuer zähmen wollen

In den Diskussionen rund um die UN-Klimakonferenzen wurde in den letzten Jahren Stimmen nach einem „Ausstieg aus fossilen Energieträgern“ immer lauter. Just zur gleichen Zeit begannen die großen fossilen Konzerne die Forderung nach einer Bepreisung von Kohlendioxid aufzugreifen.
4. November 2019 |

13 fossile Giganten, darunter Saudi Aramco, BP, Shell und ExxonMobil, die zusammen über die Hälfte der weltweiten Förderung von Öl und Gas kontrollieren, haben am Papier alle das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet, das sie verpflichtet, die Produktion drastisch zu reduzieren. Sie haben sich, um die Klimakrise zu bewältigen, sogar in einer eigens dafür gegründeten Oil and Gas Climate Initiative (OGCI) zusammengeschlossen. Alles nur grüne Augenauswischerei. Diese 13 Konzerne haben in den letzten drei Jahren ihre Produktion um sieben Prozent gesteigert.

Forderungen der Klimagerechtigkeitsbewegung nach „Keep it in the ground!“ (Lasst es im Boden!), die in den letzten Jahren immer häufiger gestellt wurden, bringen die Ölmultis dabei in die Bredouille, weil sie die öffentliche Debatte dahin verschieben, wo es um Existenz der fossilen Giganten selbst geht. Sie richten die Scheinwerfer von der Einschränkung der Nachfrage (etwa durch Verteuerung kohlenstoffintensiver Waren) hin zum Ursprung – zur drastischen Reduktion des Angebots von fossilen Energieträgern und damit auf eine rückläufige Produktion. Nicht umsonst bezeichnete die mächtige Organisation der erdölexportierenden Länder (OPEC) die Klimabewegung als „die vielleicht größte Bedrohung der Öl-Industrie für die Zukunft“.

Drastische Reduktion

Sven Teske von der Technischen Universität Sydney zeigt im von ihm herausgegebenen Buch Achieving the Paris Climate Agreement Goals (2019) mittels Computersimulationen anschaulich, welche dramatischen Einschnitte wir in der Förderung fossiler Energieträger vornehmen müssen, um die Erderwärmung auf 1,5 °C Celsius zu beschränken und das Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Die Produktion von Kohle muss bis 2030 um drei Viertel des Niveaus von 2015 zurückgefahren werden, die Förderung von Erdöl um fast 60 Prozent. Die Großkonzerne haben mit diesen Berechnungen ganz sicherlich keine Freude.

Um die Erderwärmung auf unter 1,5 °C zu beschränken, muss die Erdölproduktion bis 2030 um 59% gegenüber 2015 reduziert werden (grüne Linie). Die rote Linie zeigt den Trend, wenn wir so weitermachen, wie bisher (5,0 °C Erderwärmung).
Szenarien: Sven Teske, Achieving the Paris Climate Agreement Goals (2019). Grafik: Linkswende jetzt


2016 stellte das Stockholm Environment Institute (SEI) fest: „Sorgen darüber, dass die Förderung fossiler Brennstoffe eingeschränkt werden könnte, sind wesentliche Triebkräfte gegen Klimaschutzpolitik, international und in einzelnen Ländern.“ Die Sichtweise, wonach bereits die Förderung der Ursprung der Umweltverschmutzung ist, habe „rasant an Bedeutung gewonnen als ein Antrieb für politisches Handeln und soziale Mobilisierung“. Der Widerstand gegen fossile Infrastruktur (von der Förderung über den Transport bis zu den Kraftwerken) habe, so das SEI, die „Beschäftigung der Zivilgesellschaft mit Klimathemen neu belebt“.

Menschen mobilisieren

Fergus Green und Richard Denniss argumentieren in ihrem Artikel Cutting with both arms of the scissors (2018), dass eine das Angebot einschränkende Klimapolitik „im Allgemeinen höhere gesellschaftliche Unterstützung erfährt als nachfrageseitige Politik“. Sie verweisen auf mehrere Studien, warum „Menschen manche klimapolitische Instrumente gegenüber anderen bevorzugen (z.B. Vorschriften und Überwachungsmaßnahmen gegenüber marktbasierten Instrumenten)“. Marktbasierte Instrumente wären etwa die Bepreisung von Kohlendioxid oder der CO2-Zertifikat-Handel.

Angebotsorientierte Klimapolitik sei von Vorteil, so Green und Denniss, weil sie „fossile Brennstoffe direkt ins Visier nehmen“. Menschen könnten sich Kosten beziehungsweise Vorteile sehr viel konkreter anhand bestimmter Energieformen vorstellen (etwa die Umweltschädigung durch auslaufendes Öl), als anhand abstrakter Konzepte wie „Kohlenstoff“ oder „Klima“. Darüber hinaus argumentieren sie, dass „Menschen eher Klimaschutzmaßnahmen unterstützen, wenn sie annehmen können, dass die umweltverschmutzenden Industrien die finanziellen Kosten tragen müssen“. Green und Denniss vermuten, dass hierbei auch ein Teil des öffentlichen Widerstands gegen eine CO2-Bepreisung herrührt, weil sie ausschließlich auf der Nachfrageseite ansetzt und Menschen das Gefühl gibt, sie als Endverbraucher müssten die Zeche bezahlen.

Zeitenwende

Der Ansatz, die Produktion selbst einzuschränken und nicht erst am Markt auf gewünschte Effekte bei der Emissionsreduktion zu warten, wurde in den letzten Jahren immer breiter diskutiert. Ottmar Edenhofer und Matthias Kalkuhl vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) stellten fest, dass „die bisherigen klimapolitischen Maßnahmen und Vorschläge fast ausnahmslos auf die Verringerung des Verbrauchs fossiler Ressourcen“ abgezielt hätten, „ohne aber die Angebotsdynamik ausreichend zu berücksichtigen“, was sowohl auf die politische wie wissenschaftliche Diskussion zugetroffen hätte.

In den 1990er- und 2000er-Jahren ging man davon aus, dass man nur einen Bruchteil der Kohle-, Öl- und Gasreserven jemals zutage fördern könnte (sogenanntes Peak Oil) Deshalb wäre es verständlich gewesen, argumentiert das SEI, dass sich Klimaverhandler und politische Entscheidungsträger damals „auf die Einschränkung der Verwendung, nicht des Angebots fossiler Brennstoffe“ konzentriert hätten. Man habe besonderen Wert auf die Steigerung der Energieeffizienz und der Entwicklung erneuerbarer Energieträger gelegt. Das SEI habe deswegen auch Maßnahmen wie Emissionshandel und CO2-Bepreisung zur Nachfragereduktion unterstützt.

Aber, argumentiert das SEI heute, „diese Pläne und Politiken und Strategien vernachlässigten dabei ein wesentliches Hindernis: die gesellschaftliche, politische, institutionelle, und wirtschaftliche Verhaftung in fortwährenden Investitionen in die Gewinnung und Lieferung fossiler Brennstoffe, die sich von 2000 bis 2014 verdreifacht haben, und die weiterhin den größten Teil der Investitionen im globalen Energiesektor ausmachen. Heute fördern die wichtigsten Volkswirtschaften die Suche und Gewinnung fossiler Brennstoffe noch immer mit etwa 18-70 Milliarden US-Dollar pro Jahr.“

Ausstieg aus Fossilen

Wir sind an einem „Wendepunkt“ angelangt, befindet das SEI, „an dem den politischen Entscheidungsträger und der Zivilgesellschaft bewusst wird, dass die Gestaltung des Übergangs weg von fossilen Energieträgern ein wesentliches Element zur Erreichung der Klimaziele ist“. In der sogenannten Lofoten-Deklaration vom August 2017 erklärten über 500 NGOs, dass „die fortdauernde Suche nach und Gewinnung fossiler Energieträger ohne einen geordneten Rückgang und einen gerechten Übergang (just transition) mit ernsthaften Klimaschutzmaßnahmen unvereinbar sind“.

Menschen unterstützen Klimaschutzmaßnahmen, wenn sie greifbar sind (wie die simple Forderung, die Fördermengen zu reduzieren), zeigen Studien. Jeder weiß, dass Öl umweltschädlich ist (im Bild die Explosion auf der Ölplattform Deepwater Horizon im Jahr 2010). Mit abstrakten Konzepten wie CO2-Steuern zur „Emissionsreduktion“ können sie weniger anfangen.


In der Suva-Deklaration forderten die Mitglieder des Pacific Islands Development Forum (PIDF), ein Zusammenschluss der besonders durch Meeresspiegelanstieg und Flutkatastrophen bedrohten Pazifikinseln, kurz vor der Pariser Klimakonferenz „ein internationales Moratorium über die Entwicklung und Ausweitung der fossile Brennstoffe fördernden Industrie“, mit anderen Worten eine globale Übereinkunft über die Aussetzung der weiteren Gewinnung fossiler Energieträger. Die 47 am wenigsten entwickelten Länder der Welt (Least Developed Countries, LDC) verlangten ihm Rahmen der Klimakonferenz 2017 in Bonn gleichsam „einen Ausstieg aus fossilen Energieträgern“. Die Forderung nach einem Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle wurde inzwischen, wohl sehr zum Ärger der fossilen Giganten, vom UN-Klimasekretariat in der Zusammenfassung des sogenannten Talanoa-Dialogs zu den internationalen Klimakonferenzen festgehalten.

Globale Revolte

Eine CO2-Steuer ist daher, aus der Sicht der Großkonzerne, ein wichtiges Instrument, diese Entwicklung in der Klimabewegung abzubremsen und sie in harmlose Bahnen zu lenken, die ihrem Geschäftsmodell nicht gefährlich werden kann.

2019 forderte der wohlklingende Climate Leadership Council, der maßgeblich von Großkonzernen wie Shell, BP, ConocoPhilipps, Unilever, Ford, General Motors, Total und Microsoft finanziert wird, von der US-Regierung die Einführung einer CO2-Steuer. Für die Unterzeichner, darunter vier ehemalige Chefs der US-Notenbank, sei eine solche Steuer „der kostengünstigste Hebel, die Kohlenstoffemissionen zu reduzieren“. Sie würde die „unsichtbare Hand des Marktes“ einspannen, um „die wirtschaftlichen Akteure in Richtung einer kohlenstoffarmen Zukunft zu lenken“ und den „Bedarf nach Emissions-Regulierungen“ ersetzen.

Nach Abschluss des Pariser Klimavertrags forderte der Ölkonzern ExxonMobil die politischen Entscheidungsträger in einer offiziellen Stellungnahme auf, man möge „die Prinzipien des Marktes die Lösungen vorantreiben“ lassen. Eine „Carbon Tax“ (Kohlenstoffsteuer) sei die „beste Möglichkeit, diese Prinzipien zu erfüllen“, diese könne „ein sinnvoller politischer Rahmen sein“. Ganz offenbar kann und soll eine solche Steuer aus der Sicht der großen Konzerne eben den politischen Handlungsspielraum dergestalt einschränken, um die eigene fossile Bewegungsfreiheit unangetastet zu lassen.

Wir Aktivist_innen tun gut daran, skeptisch zu sein, wenn grüne Politiker_innen ökosoziale Steuerreformen fordern. Wir haben mit den Aufständischen gegen ein neoliberales Wirtschaftssystem in Ecuador, Chile, Libanon und Irak ohnehin die stärkeren Verbündeten.