Wie Staaten bewusst Massensterben organisieren

Der Weltklimarat IPCC geht davon aus, dass sich in den kommenden Jahrzehnten Wetterextreme häufen werden. Es wird zu einer Zunahme von Dürrekatastrophen, Hurrikans usw. kommen. Der bisherige Umgang des Staates mit Naturkatastrophen legt die Vermutung nahe, dass der Klimawandel zu einer Brutalisierung staatlicher Politik führen wird.
30. September 2019 |

Der irische Autor John Mitchel erklärte die irische Hungerkatastrophe 1844-49 folgendermaßen: „Der Allmächtige, gewiss, sandte die Kartoffelfäule, aber die Engländer schufen die Hungersnot“. Auch wenn nicht Gott, sondern die sogenannte kleine Eiszeit Anfang des 19. Jahrhunderts für den Dauerregen und damit die Kartoffelfäule verantwortlich war, so trifft der zweite Teil der Formulierung ins Schwarze.

Irland war eine Kolonie Großbritanniens. In einem Prozess, den Karl Marx im Kapital als ursprüngliche Akkumulation beschrieb, enteigneten die englischen Adeligen die Bauern und zwangen sie in die Städte, wo sie die historische Grundlage der städtischen Arbeiter_innenklasse bildeten. Die landwirtschaftliche Produktion diente nicht mehr der Selbstversorgung, sondern der Profiterwirtschaftung auf dem Weltmarkt.

Dies hatte zur Folge, dass während der Hungersnot mehr Getreide aus Irland exportiert wurde als in den Jahren zuvor. Genauso wurde auf Maßnahmen gegen die Hungersnot wie bspw. Exportverbote, Essensrationierung usw. verzichtet, dies hätte der modernen kapitalistischen Logik widersprochen.

Politik der Vernichtung

Marx fasste in seiner Rede Zur irischen Frage schonungslos zusammen: der englische Staat organisiert die „ruhige, geschäftsmäßige Vernichtung“ der irischen Bevölkerung. Im Zuge der Hungersnot sank die irische Bevölkerung um 2,5 Millionen Menschen. Den liberalen Einreisebestimmungen der USA war es zu verdanken, dass um die 1,5. Millionen Menschen vor dem Hungertod gerettet wurden.

In Britisch-Indien war derselbe Prozess zu beobachten. 1943 verhungerten zwischen 2,5 und 4 Millionen Menschen. In beiden Fällen wurde der Massenmord mit Rassismus rationalisiert. Der Staat betrachtete die kolonialisierte Bevölkerung als minderwertig. Wer jetzt glaubt, diese „ruhige, geschäftsmäßige Vernichtung“ sei eine Spezialität autoritärer Herrschaftssysteme, der irrt gewaltig.

Klima-Apartheid

Die Menschenrechtsorganisation der Vereinten Nationen warnt in ihrem aktuellen Armutsbericht vor einer drohenden Klima-Apartheid, in der es sich nur „Reiche leisten können, Überhitzung, Hunger und Konflikten zu entgehen, während der Rest der Welt leiden muss“.

Aktuell fliehen um die 20 Millionen Menschen vor den Auswirkungen des Klimawandels, bis 2050 kann die Zahl auf über 400 Millionen steigen. Die EU verwandelt das Mittelmeer und die Sahara schon jetzt in Massengräber.

Die Ausmaße, welche diese Vernichtung hinsichtlich der zu erwartenden hunderten Millionen Klimaflüchtlinge annehmen wird, sind kaum vorstellbar. Obwohl die Vorhersage genauso wie die Abfederung der sozialen Auswirkungen von Hurrikans, Taifunen, Dürreperioden usw. heutzutage ein leichtes wären, geschieht dies nur in den „fortschrittlichsten“ Staaten.

Das Global Humanitarian Forum schätzte 2010, dass über 90% aller durch Naturkatastrophen verursachten Tode, Menschen in Entwicklungsländern trafen.

Die Brutalisierung staatlicher Politik ist nicht auf die Außengrenzen beschränkt. Nachdem 2005 der Hurrikan Katrina New Orleans erreichte, befahl das Militär die Evakuierung der Stadt. Evakuiert wurden die ökonomisch Bessergestellten, die arme, vorwiegend schwarze Unterschicht wurde mit Waffengewalt von der Polizei am Verlassen der Stadt gehindert.

Als der Befehl zur Evakuierung des Memorial Hospital kam, stand schon der untere Teil des Gebäudes unter Wasser. 20 Menschen waren zu alt, zu instabil oder zu dick für die Evakuierung in kleinen Booten. Anstatt noch in letzter Sekunde zu versuchen, diese Menschen per Hubschrauber zu retten, gab das Management des Krankenhauses einen unfassbaren Befehl: Die nicht transportfähigen Personen durch Giftspritzen umzubringen.

Wir sehen: Leben und Überleben im Falle von Naturkatastrophen hängt vom Geldbeutel und dem Wohlwollen staatlicher Herrschaft ab.

Staat und Bewegung

Marx und Engels beschrieben den Staat als „ideellen Gesamtkapitalisten“, das bedeutet, einerseits reguliert er den Wettbewerb der Kapitalisten durch das Gesetz und andererseits verteidigt er die kapitalistische Eigentumsordnung gegen die Arbeiter_innen. Beide Ziele sind letztlich nur durch Gewalt durchzusetzen, wie aktuell in Frankreich beobachtet werden kann.

Im Zuge der Proteste der Gelbwesten wurden mittlerweile die Hände von fünf Demonstrant_innen zerfetzt und mehr als 26 wurde ein Auge ausgeschossen. Eine globale Bewegung, die versucht, den Slogan System Change not Climate Change in die Praxis umzusetzen, bedroht zwangsläufig die ökonomische Basis der Staaten. Zu glauben, dass sie mit weniger Gewalt auf diese Bewegung antworten werden, als auf die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit, ist pure Illusion.