Wir sind das Kanonenfutter an der vordersten Front

„Systemrelevant“ ist für mich ganz klar das Unwort des Jahres. Ich wusste nicht, welche Aggressionen ein Wort bei mir auslösen kann. Ich arbeite als Pädagogin in einem Hort, also durchgängig unter bedrohlichen und gefährlichen Umständen.
12. Januar 2021 |

Als um 18 Uhr noch geklatscht wurde, und alle Politikerinnen und Medien die Angestellten in so gefährdeten Berufen „in den Himmel“ gelobt haben, da dachte ich mir noch: „Wow, endlich sieht man, wie wichtig wir sind.“

Dann wurde mir allerdings ziemlich schnell klar: Wir sind einfach nur Kanonenfutter an der vordersten Front. Trotzdem war ich noch ziemlich naiv und glaubte wirklich, wir würden wenigstens deutliche Zeichen der Wertschätzung bekommen – angefangen von Bonuszahlungen über dauerhafte Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Oder dass zumindest Vorkehrungen für unsere Sicherheit getroffen würden. Mit „uns“ meine ich Angestellte in all diesen Schlüsselberufen, die während der Lockdowns weiter arbeiten und ihr Leben aufs Spiel setzen müssen. Schließlich wurde erstmals öffentlich anerkannt, dass wir dazu an die Front geschickt werden, damit andere überhaupt noch ihren Alltag bestreiten oder auch arbeiten gehen können. Ich habe mir wirklich eine deutliche Verbesserung unserer Situation erwartet.

Es sind ja genau wir Angestellte in den „systemrelevanten“ Berufen; in den Spitälern, in der Pflege, in der Elementarpädagogik, den Schulen, in den Supermärkten, den Verkehrsbetrieben usw., die oft die schlechtesten Löhne und miesesten Arbeitsbedingungen haben. Ohne uns würde alles zusammenbrechen, das meinen die da oben mit „systemrelevant“, und trotzdem hat sich für uns nichts geändert. Wir arbeiten genauso wie davor, oder es geht uns noch schlechter: weil sich so viele von uns anstecken und an Covid-19 erkranken, und weil so viele sprichwörtlich ausbrennen, müssen diejenigen, die übrig bleiben, noch härter arbeiten.

Von der Regierung haben wir tolle Vorgaben bekommen: waschts euch die Hände und haltets Abstand. Aber wer mit Kindern arbeitet, weiß, dass man das nicht 1:1 umsetzen kann. Vor allem das Abstand halten ist wegen des Alters der Kinder oder wegen der räumlichen Enge praktisch unmöglich. Bis heute wurden in unserem Haus schon vier Kinder und fünf Elternteile positiv auf Corona getestet.

Worums mir also geht: ich will echte Lohnerhöhungen für uns alle sehen und Zeichen von echter Wertschätzung erleben. An dem Mangel von Wertschätzung sind schon manche Kolleginnen zugrunde gegangen. Gerade jetzt erfahren wir oft das Gegenteil. Wir Kinderbetreuer_innen kommen bei den ganzen Pressekonferenzen einfach nicht vor und auch bei den Studien lässt man uns aus. Es wird auf uns eingedroschen, weil die Regierung einen irren Druck von oben auf die Arbeitnehmerinnen – sprich Eltern – aufbaut und manche geben den dann auch an uns weiter. Den Eltern wurde zwar versprochen, dass sie für die Betreuung ihrer Kinder zuhause eine Sonderfreistellung bekommen, aber in der Praxis sieht das ganz anders aus. Sie bekommen Druck von ihren Chefs und müssen arbeiten gehen, oder sie bringen Kinder und Homeoffice nicht zusammen, und wir haben die Auflage, die Gruppen für die Betreuung der Kinder offen zu halten.

Der Gipfel war dann, dass die Regierung beschlossen hat, dass wir Elementarpädagog_innen automatisch als K2 eingestuft werden, und gar nicht mehr als K1 in Quarantäne gehen können, wenn in unserer Arbeit Kinder positiv getestet werden. Das ist genau zu dem Zeitpunkt umgesetzt worden, als Österreich die Weltrangliste bei Neuinfektionen und Todeszahlen angeführt hat.

Wenn von oben und den Gewerkschaften da keine Hilfe kommt, dann sollten wir strenger sein: wenn es heißt Lockdown, dann richtig Lockdown. Wir sollten Schulen und Kindergärten schließen, damit alle zuhause bleiben müssen und die Infektionszahlen endlich runter gehen.

Leserinnenbrief von Astrid Gaggl Elementarpädagogin
Siehe auch: Englische Lehrer erzwingen Lockdown
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