Holocaustüberlebender führt Demo gegen FPÖ-Angelobung im Parlament an

Ausgerechnet am Gedenktag an die Novemberpogrome, am 9. November, zogen so viele deutschnationale Burschenschafter in den österreichischen Nationalrat ein, wie nie zuvor. Im Parlament verweigerten diese demonstrativ den Applaus für die Erinnerung an die „Reichspogromnacht“. Auf der Wiener Ringstraße demonstrierten während der Angelobung der FPÖ-Mandatare an die 300 Antifaschist_innen – angeführt wurden sie vom KZ-Überlebenden Rudolf Gelbard.
9. November 2017 |

Am 9. November, ausgerechnet am Gedenktag an die „Reichspogromnacht“, wurden im österreichischen Nationalrat Mitglieder von deutschnationalen Burschenschaften angelobt, die sich niemals von den Traditionen des Nationalsozialismus gelöst haben. Im Parlament verweigerten die FPÖ-Abgeordneten demonstrativ den Applaus für die Erinnerung an die Pogrome. Der Überlebende des Konzentrationslagers Theresienstadt, Rudolf Gelbard, dessen Familie zum Großteil von den Nazis „ausgerottet“ wurde, demonstrierte mit hunderten Antifaschist_innen gegen diese ungeheuerliche Provokation.

 

Gelbard zitierte den antifaschistischen Dichter Hans Sahl – „Wir sind die Letzten. Fragt uns aus.“ – und erinnerte daran, dass die Burschenschafter in der FPÖ noch heute Nazikriegsverbrechern „ein ehrendes Andenken“ bewahren und diese nicht ausgeschlossen haben (seine Rede siehe Video oben). Dazu zählen der Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, der Mordzentrale des Dritten Reiches, Ernst Kaltenbrunner (Burschenschaft „Arminia Graz“), der Kommandant des Vernichtungslagers Treblinka, Irmfried Eberl („Germania Innsbruck“) und Gerhard Lausegger („Suevia Innsbruck“), Führer eines SS-Kommandos in der Reichspogromnacht und Mörder des Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde in Tirol und Vorarlberg.

„Diese Fakten muss man kennen, dann versteht man meine Empörung“, sagte Gelbard. Als einer der letzten Überlebenden der Schoah forderte er die Demonstrant_innen auf: „Ihr müsst die Stafette weitertragen!“

Fast jeder zweite FPÖ-Mandatar ist „teutsch“

20 von 51 FPÖ-Abgeordneten gehören deutschnationalen und rechtsextremen Verbindungen an. „Man darf es nicht kommentarlos hinnehmen, dass so viele deutschnationale Burschenschafter ins Parlament einziehen, wie nie zuvor!“, sagt Chemiestudent Stefan (20 Jahre). „Ich hoffe, dass viele vom heutigen Protest erfahren und sich dadurch noch mehr Leute engagieren und mobilisieren lassen. Wir brauchen Druck von unten!“

Für besondere Empörung sorgte die FPÖ bereits im Vorfeld. Der freiheitliche Stadtrat Anton Mahdalik denunzierte die Demonstration, die im Aufruf explizit an die Ermordung und Deportation tausender Jüdinnen und Juden in der Reichspogromnacht erinnerte, als „Deppen-Demo“ von „streng riechender Langzeitstudenten und gelangweilter AMS-Stammkunden“ und forderte ein Verbot: „Solcher und ähnlicher Schwachsinn muss sofort unterbunden werden.“ Das ist ein Vorgeschmack auf den gefährlichen Demokratieabbau, der unter der Ägide eines von der FPÖ geführten Innenministeriums auf uns zu kommt.

Vereint den Widerstand

Knapp 300 Menschen folgten dem Appell um 10 Uhr vormittags vor der Universität Wien. Die Route führte von der Universität Wien über die Ringstraße zur Oper, nahe des Denkmals gegen Krieg und Faschismus von Alfred Hrdlicka. Auf Schildern wurde gefordert „Nazis raus aus dem Parlament“ und „Lasst Nazis nicht regieren und niemals aufmarschieren“. Zum Protest aufgerufen hatte Linkswende jetzt und die Sozialistische Jugend Wien. Der Chor „TrotzAlleDem“ stimmte mit Liedern der Friedensbewegung ein.

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Fiona Herzog, Vorsitzende der Sozialistischen Jugend Wien, forderte in ihrer Rede auf, die Kräfte zu bündeln: „Die Geschichte wird sich nicht eins zu eins wiederholen. Aber es wird nicht weniger schlimm werden, wenn wir nicht jetzt anfangen, dagegen aufzustehen.“ Ulrike verfolgte die Demonstration über Facebook und kommentierte: „Meine Mutter – 91 Jahre alt – erzählt mir gerade jetzt wieder und wieder wie harmlos und unscheinbar sich die Unmenschlichkeit 1937/1938 eingeschlichen hat… man muss wachsam und achtsam sein.“

Altes Präsidium für Demoverbot am Ring verantwortlich

Die Polizei verhängte eine völlig absurde Sperrzone, weshalb die Demonstration kurzzeitig den Ring verlassen musste. Obwohl der neue Nationalrat nur im Großen Redoutensaal in der Hofburg tagt, haben (laut Auskunft der Versammlungsbehörde) der Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt und das alte Nationalratspräsidium (in dem SPÖ, ÖVP und FPÖ vertreten waren) die halbe Hofburg zum „Parlament“ erklärt, inklusive Teile der Nationalbibliothek und der Stallburg (wo die Lipizzaner untergebracht sind).

Bei Nationalratssitzungen gilt um diesen festgelegten Gebäudekomplex eine sogenannte „Bannmeile“ von 300 Metern. Wo diese 300 Meter angesetzt werden ist aber strittig: manche argumentieren vom Rednerpult aus, andere von den Gebäudewänden. Es sieht jedenfalls so aus, als wollte der Verfassungsdienst und das Parlamentspräsidium Demonstrationen am Ring während Nationalratssitzungen verhindern, indem sie die Gebäudegrenze willkürlich auf die halbe Nationalbibliothek gelegt haben (erst dadurch wird ein Teil des Rings zur Sperrzone).

Wolf bleibt Wolf, auch ohne Kornblume

Die Demonstrant_innen ließen sich davon nicht beeindrucken. Soziologiestudent Markus (21) sagte: „Ich habe eure Plakate gesehen, auf denen ihr geschrieben habt, heute wäre wegen antifaschistischer Proteste vorlesungsfrei. Ich musste gleich lachen. Eine Demo ist wirklich ein guter Grund eine Vorlesung ausfallen zu lassen!“ Markus weiter: „Österreich hat seine Geschichte als Täterland nie aufgearbeitet. Deshalb überrascht es nicht, dass eine Partei die von SS-Offizieren gegründet wurde, fast 30 Prozent der Stimmen erhält.“ Die anderen Parteien haben im Nationalrat wieder geschwiegen, als die Burschenschafter angelobt wurden.

 

Die FPÖ-Abgeordneten können ihre wahre Gesinnung nicht offen zeigen. „Neonazismus“,  also ein offen zur Schau gestelltes Bekenntnis zur nationalsozialistischen Tradition, wäre eine „Todesgefahr für unsere Partei“, wusste schon der erste FPÖ-Obmann, der SS-Brigadeführer Anton Reinthaller. Deshalb sind die FPÖ-Mandatare auch der Empfehlung des Burschenschafters Norbert Hofer gefolgt – sie haben bei der Angelobung dieses Mal auf das Tragen des Nazi-Symbols der blauen Kornblume verzichtet. Aber, sagte David Albrich, Sprecher von Linkswende jetzt, in seiner Rede: „Der Wolf bleibt immer noch ein Wolf, und wird nicht zur Großmutter, nur weil er sich ein Edelweiß ansteckt.“

Am 9. November 1938 wurden in der „Reichspogromnacht“ 400 Jüdinnen und Juden ermordet, tausende Menschen in Konzentrationslager deportiert und 1.400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume sowie tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe zerstört.
Details und Belege im Buch von Hans-Henning Scharsach Stille Machtergreifung – Hofer, Strache und die Burschenschaften.