10 Jahre arabische Revolutionen
Am 17. Dezember 2010 zündete sich der tunesische Gemüsehändler Mohamed Bouazizi in Sidi Bouzid, einer Stadt in Tunesien an. Bouazizi protestierte mit der Tat gegen die willkürliche Schließung seines Gemüsestandes durch die Polizei. Diese hatten ihn nicht nur verprügelt und öffentlich gedemütigt, sondern seinen mobilen Marktstand gleich noch konfisziert. Zu solchen Ereignissen kam es in Tunesien mit erschreckender Regelmäßigkeit. Wer nicht genug Geld für die teuren Standgebühren aufbringen konnte, baute seine Stände illegal auf und war damit der Willkür der Polizei schutzlos ausgeliefert.
Während Bouazizi sich anzündete, schrie er: „Wie soll ich mein Leben finanzieren“. Am Abend desselben Tages zogen Hunderte vor das Hauptquartier der örtlichen Polizei. Zwei Tage später traten Studierende in allen Universitäten des Landes in den Streik und organisierten Proteste, denen sich immer breitere Bevölkerungsschichten anschlossen. Während sich die Führer der wichtigsten tunesischen Gewerkschaft, der UGTT, noch ruhig verhielten, beteiligten sich bereits tausende ihrer Mitglieder an Protesten. Selbstständig organisierten sie Betriebsversammlungen und kleinere Streiks. Die Forderung nach dem Sturz des Regimes Ben Ali, vereinte alle Demonstrant_innen.
Erster Sieg
In einer verzweifelten Fernsehansprache versuchte Ben Ali am 13. Jänner die Bewegung durch Zugeständnisse zu beruhigen: Freilassung der politischen Gefangenen, Erhöhung des Arbeitslosengeldes. Doch auch diese kleinen Reförmchen konnten ihn nicht mehr retten. Die Betriebsversammlungen und Streiks hatten die UGTT-Führung bereits so weit unter Druck gesetzt, dass sie ihre für Gewerkschaften klassische Vermittlerposition zwischen Arbeiter_innen und herrschender Klasse aufgeben mussten. Für den 14. Jänner mobilisierte die UGTT zu einem Generalstreik. Die Verhängung des Ausnahmezustands inklusive Ausgangssperre konnte den Streik nicht mehr aufhalten: Die Angst hatte die Seiten gewechselt.
Die tunesische Armee versagte Ben Ali die Gefolgschaft und begann seine Familienmitglieder zu verhaften. Ben Ali selbst befand sich bereits in einem Flugzeug voller Gold nach Saudi-Arabien. Das erste Regime war gestürzt – weitere würden folgen. Dass Ben Ali genau am Tag des Generalstreiks fallen gelassen wurde, zeigt nicht nur die Macht der Arbeiter_innenklasse. Sondern auch, dass die Chef-Theoretiker der Autonomen, Michael Hardt und Antonio Negri, komplett danebenlagen, als sie behaupteten, bei den arabischen Revolutionen handelte es sich um den Aufstand „eines horizontales Netzwerk, das keinen einzelnen, zentralen Leiter hat.“ Waren die ersten Tage der Revolte von solch einem spontanen Aufstand geprägt, hing das Gelingen davon ab, die Führung der großen Massenorganisationen zum Handeln zu zwingen.
Das Feuer weitet sich aus
Die Flucht Ben Alis war ein Symbol für die Macht der Massen – ein Zeichen dafür, dass auch die brutalsten Diktaturen gestürzt werden können.
Inspiriert von diesem Beispiel mobilisierten NGOs und linke Aktivist_innen in den sozialen Medien zu einem Tag des Zorns in Ägypten am 25. Jänner. Dem Aufruf schlossen sich Hunderttausende an, der zentrale Tahrir-Platz wurde besetzt. Während sich die politische Führung der Muslimbruderschaft anfangs noch abwartend zu den Protesten positionierte, kämpfte ihre Basis bereits mit der Polizei. Bis zum Rücktritt Mubaraks wurden mindestens 820 Menschen von der Polizei ermordet. Die Basis der Muslimbruderschaft zwang ihre politische Führung dazu, sich hinter den Aufstand zu stellen. Hätte die Führung das nicht getan, sie hätte jedwede politische Glaubwürdigkeit verloren. Wie auch in Tunesien begannen Arbeiter_innen Streiks zu organisieren. Am 11. Februar musste das Militär auf Seiten der Aufständischen intervenieren, Mubarak wurde zum Rücktritt gezwungen.
Am 27. Jänner begannen die Proteste im Jemen, trotz des Einsatzes des Militärs gegen die Aufständischen musste der Langzeitdiktator Ali Abdullah Salih Mitte Februar seinen Rücktritt bekanntgeben. In Mauretanien musste die Regierung Anfang März die Lebensmittelpreise um 30% reduzieren, um die Wut von zehntausenden Demonstrant_innen zu beruhigen. Unter dem Slogan „Die Menschen wollen den Sturz des Regimes“ protestierten in ganz Syrien Millionen gegen den Langzeitdiktator Assad. Teile des syrischen Militärs schlossen sich den Demonstrant_innen an. Russland, Iran und die Hisbollah intervenierten auf Seite Assads gegen die Revolution und konnten sie nach Jahren militärisch niederschlagen.
Am 14. Februar besetzten Zehntausende in Bahrain Plätze in der Hauptstadt Manama. Nur ein Einmarsch des saudischen Militärs konnte eine Ausweitung der Revolution verhindern. In Marokko mobilisierten Aktivist_innen zu einem „Tag der Würde“ am 20. Februar. Tausende lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei und entzündeten Bankfilialen im ganzen Land. Anfang März musste der König Zugeständnisse an die Aufständischen ankündigen.
In Libyen eröffneten Soldaten am 18. Februar das Feuer auf Demonstrant_innen in der Hafenstadt Bengasi. Mindestens 12 Menschen wurden getötet. Ähnlich wie in Syrien spaltete sich das Militär, ein Teil unterstützte den Diktator Gaddafi, die Mehrheit den Aufstand. Die Nato intervenierte auf Seiten der Aufständischen. Gaddafi wurde am 20. Oktober gestürzt und erschossen.
Kreativität der Massen
Revolutionen sind nicht nur notwendig, weil sie die einzige Möglichkeit sind, die herrschende Klasse zu stürzen, sondern auch „weil die stürzende Klasse nur in einer Revolution dahin kommen kann, sich den ganzen alten Dreck vom Halse zu schaffen und zu einer neuen Begründung der Gesellschaft befähigt zu werden,“ wie Marx in der Schrift Die deutsche Ideologie schreibt. Aus diesem Grund legte Marx so viel Wert auf die Selbstaktivität der Arbeiter_innenklasse. Im gemeinsamen Kampf erschaffen sich die Arbeiter_innen als Kollektiv und überwinden spaltende Ideologien wie Egoismus, Nationalismus, Rassismus, Sexismus usw.
Dies demonstriert ein Augenzeugenbericht aus der ägyptischen Revolution: „Nie war Kairo so lebendig wie während der ersten Besetzung des Tahrir-Platzes. Da nichts mehr funktionierte, trug jeder Sorge für das, was ihn umgab. Die Leute nahmen sich der Abfälle an, reinigten selbst den Gehsteig und strichen ihn manchmal neu, zeichneten Fresken auf die Mauern, kümmerten sich umeinander. Sogar der Verkehr war auf wundersame Weise flüssig geworden, seit es keine Verkehrspolizisten mehr gab. Am Tahrir-Platz trafen Menschen ein und fragten spontan, wo sie helfen konnten, gingen in die Küche, trugen die Verletzten auf Bahren weg, bereiteten Transparente, Schilder, Steinschleudern vor, diskutierten, dachten sich Lieder aus.“
Ein anderes Beispiel für dieses Phänomen wäre, dass es während der Besetzung des Tahrir-Platzes üblich war, das unverheiratete Männer und Frauen am selben Ort schliefen. Im gemeinsamen revolutionären Kampf wurden konservative Verhaltensvorschriften überwunden. Genauso konnte auch beobachtet werden, wie religöse Vorurteile im Zuge der Revolte verschwanden. Am Tahrir Platz schützten Muslim_innen betende Christen und umgekehrt. In Syrien skandierten die Demonstrant_innen: „Das syrische Volk ist eins und vereint“ um die vom Regime eingesetzte sektiererische Spaltung der Bevölkerung in Sunniten, Schiiten, Christen, Alewiten, Kurden usw. zu überwinden.
Neoliberalismus im arabischen Raum
Wenn wir verstehen wollen, wie die Selbstverbrennung eines Gemüsehändlers die Geschichte veränderte, müssen wir uns die gesellschaftlichen Bedingungen des arabischen Raums näher anschauen. Tunesien unter Ben Ali genauso wie Ägypten unter Mubarak galten als Vorzeigeprojekte des Neoliberalismus im arabischen Raum. Unter dem Slogan „infitah“ hatte der ägyptische Diktator Anwar Sadat, Vorgänger Mubaraks, 1974 eine Politik der ökonomischen Öffnung für ausländische Investitionen eingeläutet. Im Zuge dieser Öffnung wurden staatliche Unternehmen privatisiert. In Kombination mit einer geopolitischen Annäherung an Israel und den US-Imperialismus brach Sadat mit der Politik seines Vorgängers Nasser. Dieser verfolgte eine „staatskapitalistische Ökonomie“ und eine geopolitische Nähe zur Sowjetunion.
Auf Drängen des Internationalen Währungsfonds (IWF) hatte Anwar Sadat 1977 die staatliche Subventionierung für Brot zurückgefahren, woraufhin die Preise rasant stiegen. Dies führte zur sogenannten „Brot-Intifada“, Massenproteste brachten das ägyptische Regime an den Rande des Zusammenbruchs. Auch wenn Sadats Nachfolger Mubarak die neoliberale Politik seines Vorgängers fortsetzte, so versuchte er doch durch umfassende Subventionssysteme auf Brot, Wasser, Strom und Gas die Bevölkerung bei Laune zu halten. Finanziert wurden diese Subventionen durch die Einnahmen aus dem Export von Öl. Die anderen arabischen Staaten folgten dieser Mischung aus neoliberaler Öffnung und Öl-finanzierter Sozialpolitik.
Wirtschaftskrise von 2008
Während der arabische Raum vor 2008 ein halbes Jahrzehnt des wirtschaftlichen Aufschwungs erlebte, welcher die Auswirkung des Neoliberalismus durch niedrige Arbeitslosenzahl abfedern konnte, endete dieser abrupt mit der Wirtschaftskrise von 2008. Der globale Abschwung von Produktion führte zu einem kurzfristigen Absturz des Öl-Preises, genauso gingen Investitionen westlicher Unternehmen zurück. Der Politikwissenschaftler Richard Javad Heydarian fasst in seinem Buch How Capitalism failed the Arab World zusammen: „Ein makroökonomischer Abschwung war nicht alles, womit die arabischen Volkswirtschaften zu kämpfen hatten. Die globale Finanzkrise wurde von aufeinanderfolgenden Runden von Rohstoffpreissteigerungen begleitet. Die Große Rezession begann, das Vermögen sowohl der arbeitenden Klassen als auch der besoldeten Bourgeoisie zu untergraben – die beiden Kräfte, die sich schließlich gegen die arabischen Autokratien verbündeten“.
Wir sollten nicht den Fehler begehen, die Revolutionen nur aus der Wirtschaftskrise 2008 zu erklären. Historische Ereignisse können nie rein ökonomisch erklärt werden, es geht um das Zusammenspiel von ökonomischen und ideologischen Faktoren. Die ökonomische Verelendung und die Korruption der Diktaturen, erzeugte eine explosive Stimmung. Das Selbstbewusstsein die vorhandene Wut auch in politische Praxis umzusetzen, erhielten die arabischen Massen durch die jahrzehntelangen Kämpfe der antikapitalistischen und insbesondere antiimperialistischen Bewegungen. Die zweite Intifada im Jahre 2000 (Aufstand der Palästinenser_innen gegen die israelische Besatzung) wurde in der arabischen Welt mit Solidaritätsprotesten begrüßt. Genauso demonstrierten Millionen gegen den zweiten Irakkrieg 2003. In Ägypten entstand der Slogan Kefaya, zu Deutsch „es ist genug“. Die Protestbewegungen führten zu einer Delegitimierung der arabischen Diktaturen in den Augen der Bevölkerung. Weder unterstützten sie den Kampf der Palästinenser_innen noch bekämpften sie den US-Imperialismus. Während sich die ideologische Macht der Diktaturen auflöste, erhielten regimekritische Kräfte neues Selbstvertrauen durch die Bewegungen.
Permanente Revolution
In Tunesien wie auch in Ägypten schritt das Militär ein, um die alten Machthaber zu beseitigen. Wir sollten daraus aber nicht den falschen Schluss ziehen, dass das Militär auf Seiten der Aufständischen gewesen wäre. Viel eher versuchte das Militär eine Rebellion in den eigenen Reihen zu verhindern, es war bereits zu Verbrüderungen von Soldaten und Aufständischen gekommen. Des Weiteren sollte die Ausschaltung der Diktatoren eine Vertiefung der Rebellion verhindern.
Bis jetzt forderten die Demonstrant_innen ökonomische Reformen und die Errichtung parlamentarischer Demokratien. Noch handelte es sich bei den Revolutionen um demokratische oder bürgerliche Revolutionen.
Während Stalinisten davon ausgehen, dass Revolutionen in Etappen verlaufen, betonte Leo Trotzki in seiner Schrift Die Permanente Revolution die Möglichkeit des Ineinanderwachsens von demokratischer und sozialistischer Revolution: „Die demokratische Revolution wächst unmittelbar in die sozialistische hinein und wird dadurch allein schon zur permanenten Revolution“.
Diese Kombination ist keine historische Notwendigkeit, sondern eine Möglichkeit, die von zwei Faktoren abhängig ist. Erstens: Der Entstehung einer Situation der Doppel-Herrschaft. Klassisch war dies während der russischen Revolution 1917 zu beobachten, als sich Arbeiter_innen, Soldaten und Bauern in Räten organisierten. Diese Räte waren für Lenin und Trotzki nicht einfach Organe der Selbstverteidigung der Arbeiter_innenklasse, sondern in ihnen steckte das Potential zu einer umfassenden Demokratisierung der gesamten Gesellschaft.
Auch wenn in den arabischen Staaten solche Prozesse von Selbstorganisierung zu beobachten waren (Verteidigungskomitees für Stadtviertel und Platzbesetzungen, Streikkomitees, Räte zur Aufrechterhaltung der Infrastruktur oder Versorgung von Verletzten) wurden diese Rätestrukturen nie zu einer zentralisierten Gegenmacht zu den Institutionen der Herrschenden aufgebaut. Dies lag nicht zuletzt am Fehlen des zweiten Faktors: Eine revolutionäre Partei, die über genug Rückhalt in der Arbeiter_innenklasse verfügt, um solch einen Prozess anzuführen. Darum blieben die Revolutionen auch in den beiden Ländern, in denen sie am weitesten gekommen waren Ägypten und Tunesien, in ihrer demokratischen Phase stecken.
Wahlen: Sieg des politischen Islams
In Tunesien fanden die ersten Parlamentswahlen nach der Revolution am 23. Oktober 2011 statt, in Ägypten vom 28. November 2011 bis zum 10. Jänner 2012. In beiden Fällen gewannen Parteien des politischen Islams die Wahlen. In Ägypten erhielt die Muslimbruderschaft mit 10 Millionen Stimmen (36%) eine relative Mehrheit und stellte damit den Präsidenten Mohammed Mursi. In Tunesien gewann die Ennahada Partei die Wahlen mit 1,5 Millionen Stimmen (37%).
Liberale und auch manche Sozialist_innen zogen aus dem Sieg von Parteien des politischen Islams die falsche Schlussfolgerung, die Revolutionen wären ihrem Wesen nach reaktionär gewesen. Die rassistische Variante dieses Arguments lautet, Muslime seien nicht zur Demokratie fähig. Richtiger ist, in beiden Fällen gewannen Parteien die Wahl, welche nur halbherzig hinter der Revolution gestanden hatten. Vergleichbar mit sozialdemokratischen Parteien während der revolutionären Welle 1917-1920 in Europa, waren die Parteien durch ihre proletarische Basis dazu gezwungen worden, sich als Freunde der Revolution darzustellen. Diese proletarische Basis besaßen die Muslimbruderschaft und die Ennahada Partei aufgrund ihres sozialen Engagements: Hilfe für Erdbeben-Opfer, Armenküchen, Essen für Schulkinder usw.
In den meisten Revolutionen der Geschichte zeigte sich, dass die Massenbewegung, welche die Revolution machte, radikaler war, als die erste aus der Revolution erwachsende Regierungsform. In Russland folgte auf die Februarrevolution 1917 eine Koalitionsregierung aus Sozialdemokraten und Liberalen, in Frankreich folgte auf den Sturm auf die Bastille 1789 eine Regierung, die von einer konstitutionellen Monarchie träumte. In beiden Fällen führte das Scheitern dieser reformistischen Regierungen zu einer tiefergreifenden Radikalisierung, welche linksrevolutionäre Parteien an die Macht brachte.
Der Sieg der Parteien des politischen Islams war nicht Ausdruck irgendeiner arabischen Besonderheit, sondern ein Zeichen für die Schwäche der revolutionären Linken. Der englische Marxist Chris Harman diskutiert den politischen Islam in seiner Schrift Der Prophet und das Proletariat als kleinbürgerliche Bewegung, die aus dem Scheitern der politischen Linken, einen Bruch mit Imperialismus und Kapitalismus herbeizuführen, profitierte. Gerade am Beispiel Ägyptens lässt sich das demonstrieren. Der Vorvorgänger von Mubarak, Nasser, verfolgte eine politische Strategie die als „Arabischer Sozialismus“ beschrieben wird. Geopolitisch setzte dieser arabische Sozialismus auf ein Bündnis mit der Sowjetunion, wirtschaftlich auf einen starken, intervenierenden Staat. Auch der syrische Diktator Assad ebenso wie der libysche Gaddafi können dieser Tradition zugerechnet werden. Der Großteil der Aufständischen verband mit dem Wort Sozialismus diese blutrünstigen Diktaturen, nicht die echten Ideen von Marx und Engels über die Selbstbefreiung der Arbeiter_innenklasse.
Islamismus an der Macht
An der Regierung zeigte der politische Islam deutlich, dass er weder gewillt, noch dazu in der Lage ist, die soziale Ungerechtigkeit an ihrer Wurzel zu bekämpfen. Sowohl in Ägypten als auch in Tunesien wurden marktwirtschaftliche Reformen eingeführt und das soziale Elend nicht gelindert. Anders, als westliche Kommentatoren gerne behaupten, arbeiteten die Parteien aber auch nicht auf die Einrichtung eines Gottesstaates hin. Es bestand die Möglichkeit, dass sich die proletarische Basis vom politischen Islam lösen würde. In Ägypten zerstörte das Militär diese Möglichkeit durch einen Putsch gegen die Muslimbruderschaft.
Revolution ist möglich
Auch wenn die Erfolge der arabischen Revolutionen dadurch geschmälert werden, dass zehn Jahre später neue repressive Regimes an der Macht sind, sollten wir sie nicht als komplett gescheitert betrachten. Im ersten Moment waren sie ein Symbol dafür, dass wir die Welt ändern können.
Doch die Erfolge der Revolutionen waren nicht rein symbolischer Natur. Sie haben vier Diktatoren gestürzt. Millionen Arbeiter_innen machten die Erfahrung, dass sie es sind, welche die Gesellschaft am Laufen halten. Genauso lernten sie, dass sie sich demokratisch selbst organisieren können. Und nicht zuletzt müssen viele aus den Revolutionen die Konsequenz gezogen haben: Beim nächsten Mal fordern wir den Sturz des gesamten staatlichen Machtapparats. Ende 2019 erlebten wir gigantische Proteste im Irak und dem Libanon, der libanesische Präsident musste zurücktreten. Die Corona-Pandemie wird, ähnlich wie die Finanzkrise von 2008, zu einer Verschärfung der sozialen Spaltung führen. Die Massenproteste zum 10. Jubiläum der tunesischen Revolution, auf denen der Sturz der aktuellen Regierung gefordert wurde, zeigen, dass die Möglichkeiten für ein Wiederaufflammen der Revolutionen nach wie vor vorhanden sind.
Nimm teil an unserer Online-Konferenz "Ägyptischer Sozialist berichtet über 10 Jahre Arabische Revolution" Donnerstag 28.Jänner ab 19:00 Uhr. Das Treffen findet per Zoom-Onlinekonferenz statt. Schreib uns eine Mail an linkswende@linkswende.org, und wir schicken dir den Link zur Online-Konferenz.