Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der Bild-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.“ So lautet die Vorbemerkung von Heinrich Bölls Pamphlet Die verlorene Ehre der Katharina Blum, das 1974 erschien und für einen Skandal sorgte.
Hintergrund war die Hetzjagd der Bild-Zeitung (von Böll nur ZEITUNG genannt) gegen Sympathisanten der Roten Armee Fraktion (RAF), von der etwa der in Hannover lehrende, marxistische Psychologieprofessor Peter Brückner, der dem RAF-Mitglied Ulrike Meinhof eine Nacht Unterschlupf gewährte, betroffen war. Auch Böll selbst geriet ins Kreuzfeuer des Springer-Verlags, nachdem er im Spiegel den Essay Will Ulrike Gnade oder freies Geleit? veröffentlichte. Darin setzte er sich mit den Motiven und Methoden der RAF auseinander und wurde prompt als Terror-Sympathisant dargestellt.
Was in den 1970er-Jahren provozierte, hat seine Brisanz mitnichten eingebüßt. Das Thema der Terrorismusbekämpfung sowie die Wechselwirkung zwischen Politik und Medien bleiben aktuell. Diese Kontinuität greift das WERK X auf, wo die Theateradaption der Katharina Blum von Regisseur Harald Posch zu sehen ist.
Medienhetze
Die ZEITUNG hat in Poschs Inszenierung mehrere Namen: Heute, Österreich, Krone, … Doch eines haben sie gemeinsam – immer auf der Jagd nach Sensationen lieben sie es, andere in den Schmutz zu ziehen. So auch Katharina Blum (Jennifer Frank). Die 27-Jährige lernt bei einem Faschingsfest Ludwig Götten kennen und sie verbringen eine gemeinsame Nacht. Am nächsten Tag stürmt die Polizei ihre Wohnung, es stellt sich heraus, dass Götten verdächtigt wird, die Bundeswehr bestohlen zu haben (er desertierte) und im „Asylbusiness“ tätig zu sein. Katharina, die nun als Mittäterin gilt, soll ihm zur Flucht verholfen haben.
Katharina wird von Journalisten bedrängt, jeder ihrer Schritte wird verfolgt und kommentiert. Freunde, Nachbarn, Verwandte werden befragt und in den Zeitungen zitiert – auf Boulevard-Art. So wird der Satz „Katharina ist eine sehr kluge und kühle Person“, gesagt von ihren Arbeitgebern, dem Ehepaar Blorna, kurzerhand zu „eiskalt und berechnend“. Katharina wird zur gesellschaftlich geächteten Außenseiterin. Die Aussage der Nachbarn, sie würde häufig Herrenbesuch empfangen, drückt ihr den Flittchen-Stempel auf. Und natürlich darf auch der Vorwurf, wenn sie nichts zu verbergen habe, solle sie sich doch nicht aufregen, nicht fehlen.
Vielschichtig
Die Inszenierung besticht mit einer Vielseitigkeit an künstlerischen Ausdrucksformen. Einleitend wird dem Publikum ein wahres Wirrwarr an politisch höchst korrekten Argumenten geliefert. Es wird über den 11. September 2001, die Flüchtlingspolitik, die Finanzkrise debattiert. Auf einer Leinwand werden Schlagzeilen wie „Gewalt durch Flüchtlinge“ gezeigt, gleichzeitig scrollt jemand durch Twitter. Gudenus und sein widerlicher Krätze-Tweet (wonach Ausländer die Krankheit nach Österreich schleppen würden) tauchen auf. Gleich darauf ein Foto von Straches Nachwuchs. Man weiß nicht, wo man zuerst hinsehen, hinhören soll. Und was kann man glauben?
Viel Raum gibt das zweistöckige Bühnenbild von Daniel Sommergruber. Gehetzt springen die Schauspieler_innen von Katharinas Wohnung zur Polizeiwache und weiter in die Zimmer der Blornas, überall werden die intimsten Einblicke gewährt, häufig per Kameraaufnahmen für jeden sichtbar auf eine Leinwand projiziert. Auch Kurz darf die Bühne mal betreten und sich den Medienchefs anbiedern. Wenig später erscheint Kickl in Strapsen.
Sehr berührend ist die Szene, in der Katharina und Götten im Duett Nick Caves Henry Lee singen, eine Mörderballade. Ein Vorgriff – Katharina erschießt am Ende den Journalisten Tötges, da er sie auch noch sexuell bedrängt.
Terror und Gefährder
In einer Entwurfsfassung konzipierte Böll einen Selbstmordversuch Katharinas. Diese Variante übernimmt auch die Bühnenfassung und zeigt, welche selbstzerstörerische Wirkkraft die öffentliche Diffamierung annehmen kann. Katharina wehrt sich gegen den Rufmord, und so wird ein weiteres heikles Thema aufgemacht: Mord an Journalisten. Das Stück gedenkt der Ermordung des slowakischen Investigativ-Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnírová, ebenso der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia, die wie Kuciak Korruption in der Politik aufdeckte.
Auf der Bühne werden Fotos als Zielscheiben aufgestellt, dem Publikum wird eine Waffe angeboten. Wollen Sie einmal auf Fellner schießen? Oder auf Höferl, den Chefredakteur des FPÖ-Mediums unzensuriert Das Publikum schreckt zurück – natürlich nicht.
Mit der Aufführung trifft das WERK X einen aktuellen Nerv. Die „Post-Truth“-Ära, in der „Fake-News“ zum allgemeinen Sprachgebrauch gehören und kritische Journalisten unter Beschuss geraten, während andere Medien zum Propagandainstrument werden, um die Hetze gegen Linke und Flüchtlinge voranzutreiben. Eine Debatte um Staatsgefährder, Überwachung und die autoritäre Wende des Staates, gepaart mit medialer Kriegsführung, die uns noch länger beschäftigen wird. Passend das Zitat von Hannah Arendt in der Ankündigung des Stückes: „Man kann sagen, dass der Faschismus der alten Kunst zu lügen gewissermaßen eine neue Variante hinzugefügt hat – die teuflischste Variante, die man sich denken kann – nämlich: das Wahrlügen.“
Nächste Spieltermine: 21. und 22. Juni. Alle Infos unter werk-x.at